hier 10.12.24 Rico Grimm
Der Grundlast-Trugschluss
Warum die Grundlast nicht mehr ganz so wichtig ist
Worum es geht
•Viele energiepolitische Diskussionen drehen sich um die sogenannte Grundlast.
•Damit ist die minimale Leistung gemeint, die im Netz gebraucht wird, um den rund um die Uhr vorhandenen Strombedarf abzudecken. Kühlschränke, Beatmungsgeräte in Krankenhäusern und Alarmanlagen zum Beispiel ziehen konstant Strom.
•Deutschland braucht mindestens 40 GW Leistung, um diesen Bedarf zu decken.
•Für eine Woche aus dem Jahr 2023 siehst du hier eine idealisierte Darstellung. Hellblau ist die Grundlast, tagsüber kommt dann die Mittellast (die Computer in den Büros zum Beispiel) hinzu, während die Spitzenlast nur in einzelnen Stunden auftritt.
Quelle: ESYS Impuls Grundlast, PDF, S.9
•Die Grundlast ist eine Herausforderung in einem erneuerbaren System, weil Wind und Sonne nur wechselhaft Strom liefern.
•Als Grundlastkraftwerke agierten in Deutschland lange Zeit Atom- und Braunkohlekraftwerke. Allerdings hat die Bundesregierung im letzten Jahrzehnt alle Atommeiler abgeschaltet und planmäßig gehen in 2038 die letzten Braunkohlekraftwerke in der Lausitz vom Netz.
Warum die Debatte wichtig ist
Natürlich muss ein Stromsystem den konstanten Bedarf decken können. Es müsste das auch in einer Welt von 100 % erneuerbarer Energie tun können. Da sind sich alle einig.
Die Debatte um Grundlast entspinnt sich aber immer wieder entlang zweier Pole:
•Der negative Pol: Ein rein erneuerbares System ist ohne Kraftwerke, die die Grundlast absichern, unmöglich.
•Der positive Pol: Herkömmliche Grundlastkraftwerke rechnen sich in einem erneuerbaren System nicht mehr. Es braucht und gibt erneuerbare Alternativen.
Die Debatte ist also wichtig, weil sie einen Übergang von einem fossilen System in ein erneuerbares System markiert und je nachdem, wie sie ausgeht, verschwinden fossile Kraftwerke früher oder später.
Außerdem geistert das Grundlast-Argument schon seit langer Zeit durch die Öffentlichkeit und kommt oft als Totschlag-Argument daher. Dabei ist es kein Argument, das eine Debatte beenden kann. Es ist eher ein Argument von gestern, was weniger am Konzept der Grundlast an sich liegt als an den Grundlastkraftwerken.
Warum wir nicht einfach Grundlastkraftwerke bauen und den Rest mit Erneuerbaren versorgen
Alle Kraftwerke, die theoretisch rund um die Uhr Strom erzeugen können, sind grundlastfähig. Atomkraftwerke, Kohlekraftwerke, Gaskraftwerke sind die offensichtlichen Typen. Aber auch Geothermie und Biogasanlagen sind prinzipiell dazu in der Lage.
Alle diese Kraftwerke haben eine Gemeinsamkeit: Sie überhaupt in Betrieb nehmen zu können, braucht vergleichsweise viel Geld auf einen Schlag und sie anschließend am Laufen zu halten ist wegen der Brennstoffkosten im Vergleich zu Erneuerbaren mit ihren null Brennstoffkosten auch teuer. Sie haben hohe Investitionsausgaben (capital expenditure) und hohe Betriebsausgaben (operational expenditures).
Diese Kraftwerke lohnen sich eigentlich nur, wenn sie durchlaufen können, jahrein, jahraus, jahrzehntelange. Irgendwann haben sie alle ihre Kosten wieder reingeholt und liefern abzüglich der Betriebsausgaben einen satten Reingewinn. So jedenfalls sah die Welt ungefähr in den 1990er Jahren aus Sicht der Kraftwerksbetreiber aus.
Heute laufen nur noch die wenigsten Kraftwerke in Deutschland durch, weil Wind und Sonne immer mehr Leistung liefern. Die Auslastung eines durchschnittlichen deutschen Gaskraftwerks liegt etwa bei 30 bis 40 Prozent, die eines Kohlekraftwerks bei ca 60 Prozent.
siehe im Original: Grafik: Nicht ausgelastet – wie viel Prozent der Zeit deutsche Gaskraftwerke im Jahr 2024 liefen. Quelle: Energy Charts
Außerdem sind Gas- und Kohlekraftwerke ja genau die Kraftwerke, die wir abschalten wollen! Biogasanlagen wiederum haben das durchaus erhebliche Problem, dass es in Deutschland nicht genug Biogas gibt.
Geothermie ist eine fantastische Technik, weil sie neben Grundlast auch Flexibilität und Wärme kann, steckt aber in vielen Regionen Deutschlands außer in Bayern noch in der Konzeptphase.
Für die vorhandenen Anlagen bzw. sogar neue Anlagen dauert es entsprechend länger bis sie sich rechnen. Alle von ihnen könnten zwar der Nachfrage folgen und immer nur so viel Leistung liefern, wie gerade benötigt wird, aber gerade für diesen Einsatz baut niemand für 20 bis 25 Milliarden Euro ein Atomkraftwerk (und wartet darauf zehn bis fünfzehn Jahre.)
All das sind übrigens Fragen, die sich die Bundesregierung gerade beim Kapazitätsmarkt stellt. Mit ihm will sie ein Mindestmaß an Reserveenergie bereitstellen, aber: Wie viel müssen wir zahlen, damit die großen Betreiber noch Kraftwerke bauen? Wie viel wäre zu viel?
Wie Grundlast in einem erneuerbaren System funktionieren könnte
Mit zwei Worten: gar nicht. Oder jedenfalls nicht wie bisher.
Das ist ja der Witz eines erneuerbaren Systems.
Viele kleinere, verteilte Einheiten greifen ineinander,
um ein widerstandsfähiges und verlässliches System zu bilden.
Keine dieser Einheiten ist für sich genommen zwangsläufig grundlastfähig. Das System an sich ist es aber schon.
Eine Kombination aus Speichern aller Art (Batterie, Methan, Wasserstoff, Wärme) kann über alle möglichen Zeiträume hinweg (vom Sekunden- bis in den Monatsbereich) Energie liefern. Und sollte das immer noch nicht reichen, könnten herkömmliche Gaskraftwerke mit CO₂-Abscheidung zum Einsatz kommen.
Deswegen ist Grundlast, wie wir sie Jahrzehnte verstanden haben,
in einem von erneuerbaren dominierten System ein wenig hilfreiches Konzept.
Wir brauchen keine Leistung, die konstant geliefert wird, sondern die schnell und jederzeit einspringen kann, sollten Sonne und Wind nicht genug liefern. Flexibilität statt Grundlast.
Flexibilität wiederum verschlechtert die Wirtschaftlichkeit aller Kraftwerke, die hohe Anfangsinvestitionen und hohe Betriebsausgaben haben, also aller Großkraftwerke, die einen Brennstoff benötigen.
Aber bemerkenswerterweise, das zeigt eine neue Studie von Acatech, der Leopoldina und der Akademieunion wären die Kosten für neue Grundlastkraftwerke bei einem großflächigen Einsatz vergleichbar mit den Kosten bei einem voll erneuerbaren System. Das ist angesichts des Wirtschaftlichkeits-Dilemma überraschend, erklärt sich aber dadurch, dass ein voll erneuerbares System auch hohe Investitionen in Speicher und Netze erfordert.
Die Studienautoren und -autorinnen sehen den Nutzen dieser Grundlast-Kraftwerke allerdings vor allem darin, Wasserstoff herzustellen, um Flexibilität im System zu ermöglichen.
Ob das angesichts der Risiken bei Bau, den aktuell hohen Zinsen, die alle Projekte verteuern und den langen Bauzeiten der klügste Pfad wäre, sagen die Forscher und Forscherinnen nicht. Sie halten sich in einer Bewertung zurück.
🍏 Was ich denke
Hier meine persönliche Einschätzung. Feedback willkommen - ob Kritik oder Lob. Antworte direkt oder nutze die Kommentarsektion.
Prinzipiel sind Grundlast und Flexibilität zwei Gegenspieler im System. Dass wir heute noch so viel über Grundlast sprechen, ist Folge unseres bestehenden Kraftwerkspark, der unser Denken geprägt hat.
Würden wir heute ein Energiesystem komplett neu entwerfen, würden wir es maximal flexibel auslegen. Wir würden es darauf optimieren, möglichst intelligent Angebot und Nachfrage möglichst vor Ort in Einklang zu bringen.
Das bedeutet, dass viele Diskussionen, die Energiewirtschaft und Politik gerade führen, eigentlich nach hinten und nicht nach vorne gerichtet sind.
Anstatt zu fragen “Wie viele Gaskraftwerke mit CO2-Abscheidung brauchen wir?” wären bessere Fragen, wie viele Speicher welcher Art nötig sind, wie die Wasserstoff-Logistik organisiert wird, wie wir die Netze cleverer nutzen können, wo es Netzausbau braucht und wie eigentlich bekommen wir einen Smart Meter in jeden deutschen Keller? (Das kann doch nicht so schwer sein.)
Das sind die relevanten Fragen. Gäbe es darauf Antworten, wäre das “Grundlast-Problem” leicht zu lösen. Denn es wäre ein nebensächliches Problem.
Bitte im Original weiter lesen
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