hier Louise Osborne 2.12.24
Höchstes Gericht der Welt beginnt Klima-Anhörung
Im größten Fall seiner Geschichte hört der Internationale Gerichtshof Stellungnahmen von fast 100 Ländern zum Klimawandel an. Damit könnten die völkerrechtlichen Pflichten der Staaten für Klimaschutz verstärkt werden.
Früher lebten die Inselgemeinschaften im Pazifik in Einklang mit dem Meer. Jetzt sind ihre Häuser vom steigenden Meeresspiegel bedroht. Grund sind die steigenden Temperaturen im Zusammenhang mit dem Klimawandel, vor allem verursacht durch das Verbrennen von Öl und Gas.
"Der Anstieg des Meeresspiegels ist für kleine Inselstaaten mit begrenztem Lebensraum ein Riesenproblem", sagt Jule Schnakenberg, Geschäftsführerin der Organisation World's Youth for Climate Justice. Viele Inseln sind vom kompletten Untergang bedroht. Der Zugang zu frischem Trinkwasser, Wasser für die Landwirtschaft oder das Kochen ist zum Teil bereits erheblich eingeschränkt.
Aktivisten sehen in solchen Auswirkungen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, darum haben sie eine Reihe von Regierungen dazu gebracht, rechtliche Schritte einzuleiten.
Vergangenes Jahr beschloss daraufhin die UN-Generalversammlung, den Internationalen Gerichtshof (IGH) um eine völkerrechtliche Stellungnahme zum Klimawandel zu ersuchen.
Deshalb werden in den kommenden zwei Wochen 98 Länder, angeführt vom Inselstaat Vanuatu, sowie zwölf internationale Organisationen vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Hag Stellungnahmen abgeben.
Die Richter sollen ein Gutachten zu den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Staaten im Umgang mit dem Klimawandel erstellen. Darin soll auch geklärt werden, ob und welche rechtlichen Konsequenzen Regierungen erwartet, wenn sie zu wenig für den Klimaschutz tun oder politische Entscheidungen treffen, die der Umwelt schaden.
"Für einige von uns war dies eine fünfjährige Reise. Es ist ein Meilenstein, wir sind aber nicht am Ziel. Es ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung im Kampf für Klimagerechtigkeit," so Siosiua Veikune, Aktivist in der Gruppe Pacific Island Students Fighting Climate Change.
Staaten "verstecken sich hinter dem Pariser Klimaabkommen"
Ob Dürren, Hochwasser oder Stürme, die Folgen eines wärmeren Planeten sind überall zu spüren. Kleine Inselstaaten im Westpazifik sind vor allem durch einen immer höheren Meeresspiegel bedroht. Dort stieg er seit 1993 zwischen 10 bis 15 cm (4 bis 6 inches) an, doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt, so die Weltorganisation für Meteorologie.
Die UN geht davon aus, dass die aktuellen Ziele der Staaten zur Reduzierung der Emissionen von Treibhausgasen bis Ende des Jahrhunderts zu einer Erderwärmung von 2,9 Grad Celsius führen werden. Das liegt deutlich über dem im Pariser Klimaabkommen vereinbarten Ziel, die Erwärmung auf 1,5 Grad und deutlich unter 2 Grad zu begrenzen.
"Es gibt eine so unerträgliche Kluft zwischen dem, was die Staaten tun sollten, und dem, was Gerechtigkeit und Wissenschaft einfordern, um eine Klimakatastrophe abzuwenden", so Joie Chowdhury, leitende Anwältin am Center for International Environmental Law (CIEL), zur DW.
Das Gutachten des IGH soll die Verpflichtungen der Staaten im Rahmen bereits bestehender Rechtsvorschriften klären und über den Geltungsbereich des Pariser Abkommens hinausgehen, so hoffen Rechtsexperten.
"Die großen Verschmutzer versuchen, sich hinter Paris zu verstecken und behaupten, das sei das Einzige", sagte Margaretha Wewerinke-Singh im DW-Interview. Sie vertritt Vanuatu bei den Klimaanhörungen vor dem IGH. Die eigentliche Frage sei, "ob das Gericht bestätigen wird, dass es mehr als das Pariser Abkommen gibt und dass diese anderen Verpflichtungen zusätzlich dazu gelten".
Drei Internationale Gerichte erstellen Gutachten zu Klimawandel und Völkerrecht
Der IGH ist eines von drei internationalen Gerichten, die um ein Gutachten zu den Verpflichtungen der Staaten beim Klimaschutz gebeten wurden.
- Im Mai gab der Internationale Seegerichtshof als erstes Gericht seine Beurteilung ab. Darin werden Treibhausgase als eine Form der Meeresverschmutzung anerkannt und die Verpflichtungen der Staaten im Rahmen des Seerechts unterstrichen, die über die Verpflichtungen des Pariser Abkommens hinausgehen.
- Nach Anhörungen Anfang des Jahres wird demnächst auch die Stellungnahme des Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte zu den Verpflichtungen der Staaten zum Schutz der Menschenrechte erwartet.
- Experten zufolge wird der IGH nicht nur diese beiden Gutachten berücksichtigen, sondern auch andere bedeutende Urteile zum Klimawandel. Dazu gehört auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, das feststellte, dass die Schweiz die Menschenrechte ihrer Bürger verletzt hat, weil sie ihre Emissionsziele verfehlte.
"Wir wollen uns in Richtung einer rechtsbasierten Klimapolitik bewegen, so dass die Menschen wissen, dass sie ein Menschenrecht haben, und dass ihre Staaten alle notwendigen Maßnahmen ergreifen müssen [...] und zwar auf der Grundlage der besten verfügbaren Wissenschaft. [...] Und wenn Staaten das nicht tun, haben sie ein legitimes Recht, ihre Regierung oder auch Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen", so Schnakenberg.
Vorlage für künftige Klimaprozesse
Obwohl beratende Stellungnahmen des IGH nicht rechtlich bindend sind, haben sie doch politische und juristische Bedeutung. Im Oktober entschied beispielsweise die irische Regierung, den Handel mit Israel für Produkte aus dem besetzten Westjordanland einseitig auszusetzen. Zuvor hatte es ein IGH-Gutachten über die Verletzung der Rechte der palästinensischen Bevölkerung gegeben.
Rechtsexperten zufolge könnte das IGH-Gutachten zum Klimawandel ähnliche politische Auswirkungen haben. Vor allem jetzt, im Vorfeld des nächsten UN-Klimagipfels im November 2025, während Regierungen neue Ziele zur Reduzierung von Treibhausgasen erarbeiten.
"Das wäre wohl das ideale Szenario: Das Gericht sorgt für die nötige Kurskorrektur bei den Verhandlungen selbst, wodurch die Ambitionen gesteigert werden", so Wewerinke-Singh.
Sollte dies nicht der Fall sein, könnte das IGH-Gutachten laut Chowdhury eine "juristische Muster-Vorlage" für mögliche Rechtsstreitigkeiten vor nationalen und internationalen Gerichten liefern. Derzeit laufen weltweit mehr als 2000 Klimaverfahren gegen Staaten und Unternehmen.
"Natürlich muss man die Kausalität beweisen, und es hängt immer vom jeweiligen Fall ab. Aber das Gericht kann darlegen, dass das Rechtsprinzip für Abhilfe und Wiedergutmachung im internationalen Recht existiert", fügt Chowdhury hinzu.
Dem Erfolg, nach jahrelangen Bemühungen eine Anhörung vor dem IGH in Den Haag erreicht zu haben, macht Schnakenberg und anderen Aktivisten Mut.
"Während dieser Kampagne haben wir immer gesagt, dass wir hartnäckige Optimisten sind. Ich denke, wir müssen einfach daran glauben, dass ein Wandel möglich ist", sagt sie.
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