Montag, 2. Dezember 2024

Voraussichtlich im kommenden Mai eine weitere Verhandlungsrunde - 100 Länder haben sich zur Reduktion von Plastik bekannt

Standard  hier  Andreas Danzer  2. Dezember 2024

Plastikabkommen scheitert am Widerstand der Öl- und Gasfraktion – warum trotzdem nicht alles verloren ist

Mehr als 170 Staaten schafften keine Einigung, vor allem der Streit um Geld und Produktionsmengen wog schwer. Doch sogar Greenpeace kann dem Ende etwas abgewinnen
Am Schluss wurde über eine Minute lang applaudiert, auch wenn es keinen Erfolg zu beklatschen gab. Juliet Kabera, die Verhandlerin aus Ruanda, ermutigte die Vertreterinnen und Vertreter von über 100 Staaten, die immer noch etwas gegen die zunehmende Plastikflut tun wollen, aufzustehen und ein Zeichen zu setzen – doch der Beifall signalisierte in Wahrheit nur Hilflosigkeit.

Die fünfte und an sich letzte Verhandlungsrunde für ein internationales Plastikabkommen endete am Sonntagabend im südkoreanischen Busan ergebnislos. Eine Woche lang hatten Delegierte aus über 170 Ländern diskutiert, um nach jahrelanger Vorbereitung verbindliche Maßnahmen gegen die globale Plastikverschmutzung zu beschließen. Doch nach wie vor lagen die Positionen zu weit auseinander. Bei einer Einigung wäre es zu einem der bedeutendsten Umweltschutzabkommen seit den Pariser Klimaschutzvereinbarungen von 2015 gekommen. Das Ziel lautete, die Umweltverschmutzung bis 2040 massiv zu verringern und auch die Neuproduktion von Plastik einzudämmen.

Plastikmüll im Meer
150 Millionen Tonnen Plastikmüll landen jährlich im Meer. Dennoch hat es die Weltgemeinschaft nicht geschafft, sich auf eine Eindämmung der globalen Plastikverschmutzung zu einigen. Im Mai 2025 soll es überraschend weitergehen.

Das Scheitern kommt nur wenige Tage nach dem vielkritisierten Abschluss der Weltklimakonferenz COP 29 in Aserbaidschan. Dort legten die Länder ein neues globales Ziel für die Mobilisierung von 300 Milliarden Dollar jährlich für die Klimafinanzierung fest, eine Vereinbarung, die von kleinen Inselstaaten und vielen Entwicklungsländern als völlig unzureichend angesehen wird. DER STANDARD hat berichtet.

Streitfrage Produktionsmenge
Die zentrale, bisher ungelöste Streitfrage betrifft eine Obergrenze für die Plastikproduktion, wie sei von der sogenannten High Ambition Coalition gefordert wird. Ihr gehören 100 gleichgesinnte Staaten an – darunter Mexiko, Panama, Ruanda und die EU inklusive Österreich. Ölstaaten wie Saudi-Arabien, der Iran und Russland hingegen hatten sich vehement gegen Produktionsgrenzen ausgesprochen und stattdessen gefordert, dass sich das Abkommen auf eine effiziente Abfallwirtschaft fokussieren solle. Aber auch Staaten wie China, Indonesien und Indien standen auf der Bremse.

Der Grund ist einfach erklärt: Wegen der Trendwende Richtung erneuerbarer Energie ist die Kunststofferzeugung als Hoffnungsträger der Öl- und Gasindustrie verblieben. Greenpeace zufolge hat auch die starke Lobbyarbeit von Konzernen wie BASF und Exxonmobil einen erfolgreichen Abschluss verhindert. Ein weiterer großer Streitpunkt ist – wenig überraschend – die Finanzierung, vor allem die Frage, wie man den Globalen Süden monetär unterstützen kann, um entsprechende Infrastruktur für Recycling und Ähnliches aufzubauen. Als Drittes konnte man sich nicht einigen, welche gefährlichen Chemikalien aus der Produktion verbannt werden sollen.


Es gibt noch Hoffnung
Ganz will man die Hoffnung aber nicht aufgeben, vor allem weil es voraussichtlich kommenden Mai nun doch eine weitere Verhandlungsrunde geben soll. "Schlussendlich mangelte es an der Zeit, hätten wir drei Tage mehr gehabt, wäre ein Abschluss möglich gewesen", sagt Hugo Schally, der als hoher Beamter für die EU-Kommission das Abkommen mitverhandelt, zum STANDARD. "Wir haben nun als Grundlage einen voll ausgearbeiteten Vertragstext, das ist ein wesentlicher Schritt nach vorne. Auch wenn es diesen Text schon in der vierten Verhandlungsrunde hätte geben sollen, aber damals war es nicht möglich."

Selbst bei der Umweltorganisation Greenpeace kann man dem Nichtergebnis etwas abgewinnen. "Ein schwaches Abkommen wäre das eigentliche Scheitern gewesen, doch die ambitionierten Länder haben ihre Position bis zum Ende aufrechterhalten. Zum ersten Mal haben sich über 100 Länder zu einer Reduktion der Plastikproduktion bekannt. Wir müssen dieses positive Momentum für weitere Verhandlungen nutzen", meint Moritz Jäger-Roschko, der für die NGO vor Ort war, zum STANDARD. Die einmalige Chance für ein starkes Abkommen lebe noch.


Plastik im Gehirn
Jährlich werden weltweit rund 400 Millionen Tonnen Kunststoff hergestellt, wovon über 90 Prozent aus fossilen Rohstoffen wie Erdöl und Erdgas stammen. Experten schätzen, dass jedes Jahr etwa 150 Millionen Tonnen Plastik in die Ozeane gelangen, ein großer Teil davon in Form von winzigen Mikroplastikpartikeln. Expertenschätzungen zufolge könnte die weltweite Plastikproduktion bis 2060 auf 1,2 Milliarden Tonnen anwachsen und noch tiefer in Organismen von Umwelt und Lebewesen eindringen. Mikro- und Nanoplastikpartikel finden sich bereits überall auf der Welt, von Ozeanen und Bergen über Tierkörper bis hin zum Gehirn. Forschende der Universität Wien haben diesen beunruhigenden Befund wissenschaftlich bestätigt.

Zahlreiche Beobachter und einige Delegierte erklärten, dass der ergebnislose Gipfel das Scheitern des konsensbasierten Umwelt-Multilateralismus verdeutliche. Sie argumentierten, dass die Notwendigkeit, alle Länder zu einer Einigung zu bringen, zögerlichen Nationen zu viel Vetomacht verleihe. NGOs wie das Center for International Environmental Law hoffen, dass das Scheitern Gespräche in dieser Woche als Lehre für zukünftige UN-Verhandlungen dienen wird.



Podcast im Deutschlandfunk hier  Pfister, Sandra | 02. Dezember 2024

Umweltschutz: Was tun nach dem Scheitern des UN-Plastikgipfels

Was nach dem Scheitern des UN-Plastikgipfels passiert

Trotz langer Vorbereitung ist in Busan das UN-Plastikabkommen gescheitert. Mit den erdölproduzierenden Ländern muss nun intensiv verhandelt werden, damit bei der nächsten Runde die Obergrenze für Plastik vereinbart wird, sagt Volkswirt Henning Wilts.

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