hier Spiegel Artikel von Arvid Haitsch 13.12.24
Warum Ursula von der Leyen die letzte Hoffnung für die Wende zu mehr E-Autos ist
Ursula von der Leyen muss jetzt einiges aushalten. Die Präsidentin der EU-Kommission ist seit diesem Monat innerhalb der Behörde auch für die Autoindustrie zuständig, und auf diesem Feld steht eine harte Probe bevor. Kann die CDU-Politikerin ihr Versprechen halten, den European Green Deal – dessen Verabschiedung sie in ihrer ersten Amtszeit mit der Mondlandung gleichsetzte – in ihrer zweiten Amtszeit zumindest nicht rückabzuwickeln?
Ihr wichtigstes Instrument dabei sind die Flottenziele, die den Konzernen einen Weg zum klimafreundlicheren Autoverkehr vorgeben. Wer Fahrzeuge mit insgesamt zu hohem CO₂-Ausstoß verkauft, muss dafür zahlen. Das ist geltendes Recht, aber Industrielobby und weite Teile der Politik machen sich daran, die Regeln im laufenden Spiel zu ändern. Besonders umkämpft ist das Verbrenner-Aus, also das Ziel von null Emissionen durch Neuwagen ab 2035. In der aktuellen Krisenstimmung von Volkswagen und Co. könnte aber sogar eine Marke mit viel näherliegenden Folgen kippen: Ab 2025 müssen die Hersteller ihre Emissionswerte im Durchschnitt auf 95 Gramm CO₂ je gefahrenem Kilometer senken.
Das ist eine gute Nachricht für Autofahrende, denn die Industrie hat so einen starken Anreiz, viele E-Modelle zu einem günstigen Preis anzubieten und damit ihre Klimabilanz zu verbessern.
Es drohen Bußgelder in Höhe von 16,7 Milliarden Euro
Damit der Green Deal wirksam und akzeptiert wird, müssen Elektroautos endgültig aus der elitären Ecke raus. Weil sich nur die wenigsten Europäer einen Neuwagen leisten, kann in den nächsten fünf Jahren aber nur dann ein breites Angebot an guten Gebrauchten um die 10.000 Euro entstehen, wenn bald viele E-Fahrzeuge für unter 30.000 Euro auf den Markt kommen. Und nur dann scheint verkraftbar, dass irgendwann nach 2030 Benzin und Diesel drastisch teurer werden, worauf der Plan eines neuen europäischen Emissionshandels abzielt. Besser, wenn bis dahin niemand mehr von den fossilen Stoffen abhängig ist.
Der Plan zum Absenken der zulässigen Emissionswerte ist zugleich eine schlechte Nachricht für Aktionäre von Autofirmen. Der Branche drohten im kommenden Jahr Bußgelder von 16,7 Milliarden Euro für verfehlte CO₂-Ziele, rechnet der Marktanalysedienst Rho Motion vor. Allein der Volkswagen-Konzern müsste 7,7 Milliarden Euro aufbringen. Das kommt ungelegen.
Deshalb hat sich nun auch die rot-grüne Bundesregierung einem Ruf angeschlossen, der zuvor aus der Autolobby, konservativen Parteien und einer Pro-Verbrenner-Allianz aus EU-Staaten von Italien bis Polen tönte: »Das Geld muss in den Unternehmen bleiben«, forderte kürzlich Kanzler Scholz von der SPD.
Auch Wirtschaftsminister Habeck von den Grünen findet nun, in dieser »schwierigen Zeit« sollte die Autoindustrie von CO₂-Bußen verschont werden, denn die könnten ja auf Kosten von Investitionen in die Elektromobilität gehen. Die dann wohl irgendwann später Früchte tragen sollten, nur nicht schon 2025. Seine Idee, dass Konzerne ihre Klimaschuld anschreiben und in späteren Jahren ausgleichen, bezeichnete schließlich auch seine Parteikollegin Umweltministerin Steffi Lemke als »gangbaren Weg«.
Ursula von der Leyens Europäischer Volkspartei, die gegen das Verbrenner-Aus Wahlkampf machte, baut die Bundesregierung damit eine goldene Brücke: Mithilfe des Verrechnungsmodus könnte die Partei die Flottenziele auf dem Papier unangetastet lassen, aber in Wahrheit vertagen und so einen Gesichtsverlust für von der Leyen abwenden. Zugleich bestünde nur ein geringes Risiko, dass Firmen, die sich auf die seit Jahren bekannten Bedingungen eingestellt hatten, gegen die plötzliche Wettbewerbsverzerrung klagen.
Die Konservativen könnten sich als Retter des Verbrenners feiern, der Schwenk zu mehr E-Autos wäre aufgeschoben. Doch von der Leyen gibt sich standhaft: Sie und ihre Behörde, ohne deren Mithilfe das beschlossene Regelwerk nicht zu ändern ist, sagen bislang Nein.
CO₂ sparen statt blechen
Mit gutem Grund, dient die Drohung mit Milliardenbußen doch dem Zweck, dass die Flottenziele eingehalten werden und die EU erst gar kein Geld von den Firmen einkassieren muss. Rho-Motion-Analystin Iola Hughes stellt klar, sie rechne keineswegs damit, dass im kommenden Jahr tatsächlich Bußgelder in Höhe von 16,7 Milliarden Euro für verfehlte CO₂-Ziele fällig werden. Dies würde nur in dem unwahrscheinlichen Fall eintreffen, dass die Industrie 2025 noch so munter Verbrenner verkaufte, wie sie das in diesem Jahr tut, in dem noch anspruchslose Flottenziele gelten.
Bisher lief es immer so, wenn solche Ziele verschärft wurden: Die Industrie erklärte sie vorab für unerreichbar, warnte vor schlimmen Folgen, doch wenn es ernst wurde, reduzierte sie die CO₂-Werte der verkauften Neuwagen auf der Ziellinie. E-Autos anstelle profitabler alter Verbrenner in den Markt zu drücken, kostet zwar auch Rendite, erscheint aber immer noch attraktiver als das Bußgeld. Dies ist das wohl wirksamste Förderprogramm für die Elektromobilität.
Dass die Flottenziele in diesem Sinn funktionieren, sieht man daran, dass die Hersteller viele neue kompakte Elektromodelle einführen und die Preise für alte Modelle senken. Rechtzeitig vor dem Jahr 2025.
Noch deutlicher zeigt sich das in Großbritannien. Das günstigste deutsche Elektroauto Opel Frontera kostet immer noch 5000 Euro mehr als die Benzinvariante, bei der britischen Edition Vauxhall Frontera hingegen entfällt erstmals der Elektroaufpreis. Der Trick dahinter? Die Briten haben beim Brexit das EU-System der Flottenzielwerte mitgenommen, aber mit höheren Ansprüchen an das CO₂-Sparen gefüllt, die noch dazu Jahr für Jahr strenger werden.
2025 haben die Kontinentaleuropäer die Chance, das Erfolgsbeispiel von der Insel nachzuahmen. Wenn Ursula von der Leyen nicht vorher einknickt.
hier Giga Artikel von Felix Gräber • 13.12.24
EU-Politiker wollen Verbrenner-Aus kippen – beweisen nur, dass sie nichts verstanden haben
EU-Abgeordnete der Europäischen Volkspartei (EVP) wollen den Verbrenner retten. Das eigentlich beschlossene Ende für Autos mit CO2-Ausstoß ab 2035 wollen sie kippen – und haben nicht mal schlechte Chancen. Doch ihre Gründe sind vorgeschoben, die Argumente hinken.
Europas Konservative wollen die Welt (ver)brennen sehen
In der EVP versammeln sich traditionell die Mitglieder aus Europas christlich-sozialen und bürgerlich-konservativen Parteien auf EU-Ebene. Sie bilden eine der stärksten Fraktionen in den Organen der EU. Mitglieder und EU-Abgeordnete von CDU und CSU aus Deutschland gehören dazu.
Jetzt schreibt die EVP sich auf die Fahnen, das „Verbrennerverbot“ stürzen zu müssen, das ab 2035 neue Autos mit klassischem Benziner oder Dieselmotor von den Straßen verbannt. Dumm nur, dass das überhaupt nicht der Fall ist.
Denn mit einem aktuellen Positionspapier wollen die EVP-Angehörigen sicherstellen, dass der Verbrenner eben nicht verboten wird. Sie wollen eigenen Angaben zufolge einen technologieoffenen Ansatz festschreiben. „Wir brauchen alle Technologien, auch solche, die derzeit möglicherweise noch gar nicht entwickelt sind. Das für 2035 geplante Verbrennerverbot muss deshalb zurückgenommen werden“, erklärt etwa Jens Gieseke (CDU), der in der EVP-Fraktion für eben dieses Thema verantwortlich ist (Quelle: heise).
Wieso das Verbot einer Technologie daran hindern sollte, andere zu entwickeln, wird dabei nicht klar. Zumal es streng genommen kein Verbrennerverbot ab 2035 gibt, denn der aktuelle Stand des vermeintlichen Verbrennerverbots ist folgender: Die EU hat sich darauf geeinigt, dass ab 2035 keine Pkw mehr neu zugelassen werden können, die lokal während der Fahrt klimaschädliches CO2 ausstoßen.
EU stellt sich gegen Verbrenner, aber ein echtes Verbot ab 2035 gibt es nicht
Aktuelle Verbrenner wie Benziner und Diesel-Fahrzeuge tun das und wären tatsächlich ausgeschlossen, sofern sie in 10 Jahren noch so genutzt werden wie heute. Autos mit Verbrennungsmotor dürfen nämlich nach heutigem Stand auch nach 2035 zugelassen werden, solange sichergestellt ist, dass sie mit klimaneutralen Kraftstoffen lokal emissionsfrei betrieben werden. Dass diese Kraftstoffe bisher teuer und – gerade im Vergleich zu Elektroautos – ein sehr ineffizienter Weg sind, steht der theoretischen Möglichkeit nicht im Weg.
Auch die Regeln, die die EU beschlossen hat, erlauben es. Experten sind sich zwar einig, dass diese Entschlüsse ab 2035 faktisch einem Verbot für Verbrenner gleichkommen. Explizit verboten werden sie aber nicht. Die EVP will mit ihren Forderungen also Regeln zurücknehmen, die längst dem entsprechen, was sie fordern – das verstehe, wer will. Ich kann es nicht.
Auch die Nutzung von E-Fuels will die EVP unbedingt forcieren und in den Regeln verankern. Hier ist schon heute absehbar: Bis 2035 werden sie nicht konkurrenzfähig zum Elektroauto sein. Um den Bestand an Verbrenner-Pkw weniger klimaschädlich zu betreiben, sind sie als Alternative in den Vorgaben der EU bereits in Arbeit – dafür hat sich unter anderem die FDP in den letzten Monaten stark gemacht (als sie noch konnte).
Die EVP ignoriert das und schreibt sich stattdessen den Kampf für Industrie und Verbraucher auf die Fahnen – ein fadenscheiniger und ziemlich durchsichtiger Schachzug, wenn ihr mich fragt.
Während die EVP nach außen mit ihren Forderungen nach einem Ende vom Ende des Verbrenners vermeintlich Technologieoffenheit propagiert, wenden die Mitglieder sich mit ihrem Beharren auf der Verbrenner-Technologie viel mehr gegen andere Ansätze. Technologieoffenheit funktioniert jedoch in beide Richtungen. Für die EVP scheint es hingegen ein Synonym für den Erhalt des Verbrenners zu sein.
Wie bringt man konservativ und Fortschritt unter einen Hut?
Mit dieser Einstellung zum Verbrennungsmotor machen große Teile der europäischen Konservativen auf EU-Ebene ihrem Namen alle Ehre. In „konservativ“ versteckt sich nicht umsonst die „Konserve“. Das gute Alte von Früher will bewahrt, will konserviert werden. Neue Entwicklungen? Braucht es nicht! Man kann doch viel bequemer bei dem bleiben, das wir alle kennen.
Das ist nicht nur nicht technologieoffen, wie man es sich bei der EVP offenbar allabendlich selbst vorbetet, sondern hat viel mehr Gemeinsamkeit mit offener Fortschrittsfeindlichkeit. Mindestens aber stellt man damit die eigene Bequemlichkeit und Engstirnigkeit über ein ernsthaftes Bestreben, politisch die europäische Gemeinschaft zu gestalten.
Nun könnte man dem entgegensetzen: Wenn der Verbrennungsmotor keine (politisch unterstützte) Zukunft hat, wird auch kein Hersteller versuchen, ihn weniger klimaschädlich weiterzuentwickeln. Benzin- und Dieselmotoren zu verbessern, damit sie effizienter oder eben mit synthetischen oder biologischen Kraftstoffen klimaneutral oder zumindest bilanziell klimaneutral betrieben werden können.
Eine solche Kritik wäre sogar zum Teil nachvollziehbar. Wenn schon feststünde, dass der Verbrenner auf jeden Fall ausstirbt, wäre es weniger wirtschaftlich, viel Mühe und Geld in solche Forschungsarbeit zu stecken. Weniger wirtschaftlich mit Sicherheit, unwirtschaftlich nicht zwangsläufig. Es könnte sich trotzdem finanziell lohnen.
Außerdem ist die Entscheidung, dass der Verbrenner ab 2035 verschwindet, durch die Regeln der EU nicht gefallen. Und dass sich Unternehmen eine Chance nehmen lassen, Geld zu verdienen – auch wenn es Mühe kostet – das würde sicher nicht einmal ein Verbrenner-Fan auf EU-Ebene verargumentieren wollen.
Zum Abschluss noch ein kleiner Hinweis: Selbst wenn alle diese Beispiele nicht greifen sollten, Elektroautos sind nicht die einzige Möglichkeit, klimaschädliche Pkw zu ersetzen. Sie haben aber mindestens einen schwerwiegenden Vorteil: ihre um Längen bessere Effizienz. Gerade solange der Individualverkehr auf endlichen Ressourcen fußt, sollten wir alle darauf achten, mit der verfügbaren Energie bestmöglich zu haushalten. Selbst der modernste Verbrenner hat in dieser Hinsicht keine Chance, gegen E-Autos anzustinken.
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