Freitag, 6. Dezember 2024

Mexiko-Stadt ist eine Warnung für andere Städte weltweit – und wird zum Labor für alternative Wasserversorgung

hier  Artikel von Patrick Witte  25.11.24

Indigene Techniken in Mexiko: Wie Mexiko-Stadt sich gegen Wasserknappheit rüstet

Mexiko-Stadt hat ein Problem, das immer mehr Metropolen betrifft: Das Wasser geht aus. Ein Team aus Forschern und Stadtplanern will das verhindern – und schaut sich Lösungen auch im Aztekenreich ab.

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Was in schicken Innenstadtvierteln wie Condesa noch als Ausnahme auffällt, ist in weiten Teilen von Mexiko-Stadt längst Normalität: die Sorge um Leitungswasser. Die Megacity mit rund 22 Millionen Einwohnern, einst auf einer Seenplatte errichtet, sitzt auf dem Trockenen. Regenmangel und der hohe Verbrauch lassen den Wasserstand in den Versorgungssystemen mehr und mehr fallen. Zeitweise musste die Stadt den Zufluss bereits rationieren.

Durch ein Zusammenspiel aus anhaltenden Dürren, Verschwendung und maroder Infrastruktur schwappen auch die Wasserreservoire in anderen Metropolen immer wieder am unteren Limit, ob in Kairo, Los Angeles oder Barcelona. Überall dort könnte in naher Zukunft die Wasserversorgung zusammenbrechen – der »Day Zero«. In Kapstadt kam es im Jahr 2018 fast so weit. In Mexiko-Stadt war der Tag für Juni vorausgesagt worden, konnte aber noch mal hinausgezögert werden.

Oder lässt sich der »Day Zero« noch verhindern? Ein Team von Politikern, Wissenschaftlern und Architekten sucht nach Lösungen – und findet sie auch im Aztekenreich von vor 600 Jahren.

Loreta Castro Reguera, 45, selbstständige Stadtdesignerin mit Schwerpunkt Wasser, ist eine von ihnen. In ihrem Studio im Zentrum der Stadt stehen Miniaturversionen ihrer Projekte aus Karton. Castros Mission: Sie will Wasser in der Öffentlichkeit wieder sichtbar machen. Denn nur durch einen Perspektivwechsel, so glaubt sie, lasse sich der »Day Zero« verhindern. »Wir nehmen Wasser nur vom Hahn bis zum Abfluss wahr – oder in dekorativen Brunnen. Das muss sich ändern.« Die Menschen sollten ihr ursprüngliches Verhältnis zum Wasser wiederentdecken. Erreichen will sie das durch ein »paralleles Wassersystem«.

Sie zeigt ein Modell, das im Norden der Stadt als »Parque Bicentenario de Ecatepec« bereits Wirklichkeit geworden ist, bezahlt von der Stadt: Aus einem 20 Hektar großen Ödland, umgeben von einer meterhohen Mauer, entstand durch den Plan von Castros Team ein offener Park mit Sportplätzen, Grünflächen und Wasserbassins. Der Park liegt zu Füßen einer Bergkette, der Sierra Guadalupe. Zur Regenzeit stürzen Fluten die Hänge hinab – ohne jedoch großen Schaden anzurichten.

Denn übereinanderliegende Terrassen, gefüllt mit dem regional typischen Lavagestein Tezontle, sorgen dafür, dass bei Überschwemmungen das Wasser aufgehalten wird. Diese roten Kiesel und Wurzeln vereinzelter Bäume stoppen die Massen. »Im Grunde haben wir eine jahrtausendealte Idee einfach wieder aufgenommen«, sagt Castro. »Terrassen verhindern die Erosion von Boden und halten das Wasser auf, damit es versickern kann.« So wird auch der Grundwasserspiegel wieder aufgefüllt.

Das Projekt wurde von öffentlichen Geldern bezahlt; oft gewinnt Castro zudem Stiftungen für die Finanzierung ihrer Arbeit. Ihr Ziel ist ein System aus Zisternen, die Regenwasser auffangen, und grünen Parks mit Wasserspeichern. Von diesen Reserven, schätzt sie, ließe sich in der heißen Trockenzeit die Stadt drei Monate lang versorgen – ein riesiger Fortschritt.

Danach könne man dann wieder das reguläre Wasserversorgungssystem anzapfen. Knapp ein Drittel des Wassers von Mexiko-Stadt liefert das Cutzamala-System, eine Reihe von Stauseen, Wasseraufbereitungsanlagen und langen Kanälen und Tunneln. Durch riesige Pipelines fließt das Wasser über Dutzende Kilometer Richtung Metropole. Was das Cutzamala nicht liefern kann, steuern Hunderte Pumpen bei. Sie befördern das Wasser in die Höhen von Mexiko-Stadt, wo es dann durch Rohre auch ins Viertel Condesa weiterzieht. Allerdings verschwinden knapp 40 Prozent des Wassers aufgrund von Lecks im Boden, 12.000 Liter. Pro Sekunde. Jeden Tag.

Das war einmal ganz anders. Vor 600 Jahren befand sich hier die Hauptstadt des Aztekenreichs. Die Bewohner hatten ein perfektes System aus Kanälen, Deichen, Dämmen und schwimmenden, fruchtbaren Inseln entwickelt. Mit dem Wasser und seinen Schwankungen wussten sie umzugehen.

An klaren Tagen kann man vom Viertel Cuautepec weit im Norden der Stadt neben den dunklen Glastürmen im Zentrum von Mexiko-Stadt noch das von erloschenen Vulkanen umrahmte Becken erkennen, in dem die spanischen Invasoren vor mehr als 400 Jahren die Stadt neu errichten ließen – auf den Ruinen der alten Aztekenstadt Tenochtitlan. Was den Kolonialherren allerdings fehlte, war das Wissen darum, wie man das Wassersystem im Gleichgewicht hält. Also kam es zu unkontrollierten Fluten, Krankheiten breiteten sich aus. Die Lösung der Kolonialherren: Das Wasser musste weg.

Fast alle Seen ließen sie trockenlegen, Wasser, das seit ewigen Zeiten zuvor in diesem Kessel sein Zuhause hatte. Stattdessen schufen sie immer mehr Land, das immer mehr Bewohner im Laufe der Jahrhunderte versiegelten mit einem immer dickeren Deckel aus Asphalt und Beton. Auch deshalb schießen heute bei Starkregen Sturzfluten durch die Straßen, branden Geröll, Tierkadaver oder Benzinreste an die Mauern. Statt dem natürlichen Kreislauf zu folgen und im Boden zu versickern, verdunstet die stinkende Brühe.

Es sei denn, das Wasser landet bei Alejandro Alva Martínez. Denn der Dozent für Hydrobiologie hat gewissermaßen einen See nach Mexiko-Stadt zurückgebracht. Stolz steht der 62-Jährige, das grüne Hemd in die Jeans gezwängt, am Beckenrand seines wohl größten Werks bislang: dem Feuchtbiotop in dem Bezirk Gustavo A. Madero. Jahrelang tüftelte Alva an der Universidad Autónoma Metropolitana in Mexiko-Stadt an einem Plan, wie sich einfach, aber effektiv das Gleichgewicht in Ökosystemen wiederherstellen lässt. Es folgten 24 Monate Bauzeit im Auftrag der städtischen Wasserwerke Sacmex. Kosten: Fast 2,5 Millionen Euro.

Inmitten eines Armenviertels, wo sich dicht gedrängt Häuser die steilen, ehemals bewaldeten Hänge hochgeschoben haben, hat Alva ein zwei Fußballfelder großes, ehemaliges Schlammfeld in ein komplexes System zur Wasserwiederaufbereitung verwandelt. Früher warfen die Anwohner hier ihren Müll ab, von Autoreifen bis hin zu Kühlschränken. Nun liegt Vogelgezwitscher über der Fläche, schweben Libellen und Schmetterlinge entlang des Wassers, ein leichter Wind kräuselt seine Oberfläche. Alva deutet auf eine der schwimmenden Inseln, blickt auf grünes Moos und sieht schwarze Schatten vorbeihuschen. Fische. Ein gutes Zeichen. »Dann stimmt die Wasserqualität«, sagt er.

Das riesige Rechteck folgt einem symmetrischen Aufbau. Die Kopfseiten sind voller Wasserhyazinthen, ein grüner Teppich, von einer Dammmauer begrenzt. Hier staut sich das Wasser und erhält eine erste Reinigung. »Die Wurzeln der Hyazinthen sind Meister im Filtern von Schwermetallen«, erklärt Alva. Ob Blei, Quecksilber, Öl oder Benzin, selbst Gifte wie Arsen ziehe die Pflanze aus dem Wasser und lagere es in ihren Wurzeln ein.

Auf der einen Seite des Beckens sammeln sich die Wassermassen aus den Überschwemmungen, in die andere Seite fließt Wasser aus dem Fluss, oft enthält es Abwasser aus angrenzenden Industrien und von Häusern. Bis zu 50.000 Liter erreichen das Becken, pro Stunde. Nach dem ersten Filtern durch die Pflanzen wird das Wasser durch verschiedene Schichten von Vulkangestein geleitet, beim Durchsickern wird es immer sauberer. »Das Ineinandergreifen der einzelnen Elemente ist das Entscheidende«, erklärt Alva.

Zwar werde man so keine Trinkwasserqualität erreichen, aber nach der Klärung sei das Wasser sauber genug für Industrie und Landwirtschaft. Und die Reinigung erfolge quasi wie von selbst, ohne Maschinen, Pumpen oder Zugabe von Chemikalien. »Dieses Feuchtgebiet ist narrensicher, so einfach funktioniert es.«

Dank Projekten wie denen von Alva und Castro ist Mexiko-Stadt inzwischen nicht mehr nur eine Warnung für andere Städte weltweit – sondern auch ein Labor dafür, wie in Zukunft mit alten und neuen Techniken eine alternative Wasserversorgung aufgebaut werden kann, zumindest als Ergänzung zu herkömmlichen Systemen.

Nur ohne eine Veränderung im Umgang mit dem Wasser wird das nicht ausreichen, um den »Day Zero« langfristig zu verhindern – weder hier noch anderswo....

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