Samstag, 14. Dezember 2024

Besser heute Geld ausgeben für die Zukunft?

 hier  12.12.2024, Leon Werner

Analyse: Schuldenbremse und die junge Generation: Belastung oder Chance?

Kein WLAN und keine funktionierenden Whiteboards sind in einigen deutschen Schulen noch die geringsten Probleme. Immer wieder gibt es Berichte über undichte Fenster oder nicht funktionierende Heizungen. Das ist kein Zufall, denn in Deutschland gibt es einen massiven Investitionsstau im Bildungssystem.

Laut KfW-Kommunalpanel 2024 liegt der bei 54,8 Milliarden Euro. Die Zuständigkeit für die Bildung liegt in Deutschland bei den Bundesländern. Wie auf Bundesebene gilt auch hier die Schuldenbremse – sogar noch strenger. Sogenannte "strukturelle Schulden" sind für die Länder komplett verboten. Der Bund darf maximal 0,35 Prozent des BIP als strukturelle Schulden aufnehmen. Schulden für Investitionen ins Bildungssystem etwa würden als solche strukturellen Schulden gelten.

Sowohl Befürworter:innen als auch Gegner:innen der Schuldenbremse benutzten die junge Generation in ihren Argumentationen. Eine Seite sagt, sie würde Investitionen verhindern, die für die Zukunft der jungen Generation wichtig sind; die andere warnt vor hohen Schulden, die die jetzt noch jungen Menschen in der Zukunft belasten werden.

Die Angst vor den höheren Zinsausgaben

Zu ihnen gehört auch Lars Feld. Zuletzt war er der Chefökonom des ehemaligen Finanzministers Christian Lindner (FDP). Sein Hauptargument: Höhere Schulden heute bedeuten höhere Zinszahlungen morgen.

"Höhere Zinsausgaben würden den finanziellen Spielraum der jungen Generation in der Zukunft einschränken", sagt er im Gespräch mit watson. "Dadurch kann dann weniger Geld für Bildung und Infrastruktur ausgegeben werden." Für das Jahr 2024 liegen die Zinsausgaben des Bundes bei 36,78 Milliarden Euro. "Das ist in etwa so viel wie der jährliche Bedarf für zusätzliche Infrastrukturprojekte", sagt Feld und will damit verdeutlichen, wie stark Zinsausgaben den finanziellen Spielraum einschränken können.


"Der jungen Generation dürfte die Höhe der Zinsen weniger wichtig sein."

Marcel Fratzscher, Präsident DIW


Marcel Fratzscher gilt in der Welt der Wirtschaftswissenschaften als Gegenstück zu Lars Feld. Er ist der Präsident des arbeitnehmernahen Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Als Gegner der Schuldenbremse widerspricht er im Gespräch mit watson der Argumentation von Feld. "Der jungen Generation dürfte die Höhe der Zinsen weniger wichtig sein", sagt er.

Wirtschaftsforscher sieht enorme Vorteile von Investitionen

"Ob wir jetzt 0,8 oder 1,1 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung an Zinsen auf die Schulden zahlen, ist vergleichsweise unwichtig." Jungen Menschen wäre es stattdessen wichtig in, Zukunft gut bezahlte Arbeitsplätze, eine intakte Umwelt und ein intaktes Klima sowie ein gutes Bildungssystem zu haben.

Er kritisiert, dass die Befürworter der Schuldenbremse Schulden generell als etwas Schlechtes abstempeln würden. "Es gibt auch gute Schulden", sagt er. Damit meint er etwa Schulden für Investitionen in Bildung oder Klimaschutz. Diese würden nicht nur die Lebensbedingungen verbessern, sondern sich langfristig auch finanziell auszahlen. "

100 Euro, die der Staat heute an Schulden aufnimmt und in Bildung investiert, sorgen mittel- bis langfristig für 200 bis 300 Euro an zusätzlichen Steuereinnahmen", sagt er. Durch solche Investitionen würde es bessere Bildungschancen geben, durch die wiederum mehr Menschen eine gute Ausbildung genießen könnten und im Arbeitsleben später produktiver seien.

Schuldenbremse: Fluch oder Segen für die Wirtschaft?

Die Schuldenbremse spielte auch beim Ampel-Aus eine besondere Rolle. Die FDP, unter der Führung von Lindner, legte ein 18-seitiges Positionspapier vor, das eine Kehrtwende in der Wirtschaftspolitik forderte. Dieses beinhaltete unter anderem Steuererleichterungen und eine strikte Einhaltung der Schuldenbremse.

Wie Recherchen von "Zeit" und "Süddeutscher Zeitung" ergaben, war das Teil eines Plans der FDP, um den Bruch der Koalition herbeizuführen. Und so kam es dann auch. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) forderte von seinem damaligen Finanzminister ein Aufweichen der Schuldenbremse. Da er das nicht akzeptierte, entließ Scholz ihn.

Fratzscher betont, dass gerade eine Lockerung der Schuldenbremse gut für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands wäre. Er sieht in ihr ein Hindernis für eine dringend notwendige Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Der Staat müsse eine aktive Rolle übernehmen, um Innovationen zu fördern und die Infrastruktur für erneuerbare Energien auszubauen. Fratzscher argumentiert, dass eine moderne Wirtschaft, die auf Nachhaltigkeit setzt, die Grundlage für eine erfolgreiche Zukunft der jungen Generation sei.

Lars Feld sieht das anders. Er ist zwar der Meinung, dass die Wirtschaft klimafreundlicher werden sollte, allerdings will er dafür keine neuen Schulden machen. Vielmehr ist er der Meinung, dass ein höherer CO₂-Preis effizienter ist.

CO₂-Preis

Der Grundgedanke eines CO₂-Preises ist: Wer CO₂ ausstößt, soll dafür bezahlen, damit es einen finanziellen Anreiz gibt, weniger Emissionen zu verursachen. In Deutschland gibt es seit 2021 einen CO₂-Preis, der vor allem fossile Brennstoffe wie Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas betrifft.

"Ich würde die CO₂-Preise für alle Sektoren der Wirtschaft ordentlich wachsen lassen. Das generiert Einnahmen, mit denen man die Härten in der Bevölkerung abfedern kann", sagt er. Das sei sinnvoller als durch Schulden finanzierte Subventionen.

Auch Marcel Fratzscher unterstützt einen höheren CO₂-Preis. Allerdings brauche es auch zusätzliche Maßnahmen. "Wir dürfen nicht glauben, dass der Markt schon immer alles regelt. Das ist eine sehr naive Vorstellung, die ständig widerlegt wird", sagt er. Besonders wichtig seien etwa Investitionen in Übertragungsnetze, damit Energie aus Offshore-Windkraftanlagen aus dem Norden in den Süden Deutschlands transportiert werden könnten. "Das erfordert massive Investitionen, privat, aber auch staatlich", sagt er.

Schuldenbremse: Alles eine Frage der Perspektive?

Die Debatte um die Schuldenbremse scheint also fast schon eine Glaubensfrage zu sein: Glaubt man, der Staat soll vorrangig die finanziellen Lasten gering halten oder glaubt man, er soll in die Zukunft investieren und höhere Zinskosten dafür in Kauf nehmen?

Bei einer Umfrage unter Professoren für Volkswirtschaft vom Münchner ifo-Institut und der "Frankfurter Allgemeiner Zeitung" kam heraus: Von 187 Ökonomen fordern 44 Prozent einer Reform der Schuldenbremse. 48 Prozent wollen sie erhalten und nur sechs Prozent wollen sie komplett abschaffen.

In der Politik scheint die Schuldenbremse jedoch immer unbeliebter zu werden. SPD und Grüne sind mittlerweile deutlich gegen sie. Bei der CDU ist die Lage aktuell etwas undurchsichtig. Offiziell stehen CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz und sein Generalsekretär Carsten Linnemann noch hinter der Schuldenbremse.

Merz machte allerdings auch schon Andeutungen für eine Aufweichung zumindest offen zu sein. Innerhalb der Partei kommt der Druck für eine Lockerung der Schuldenbremse vor allem von den Ministerpräsidenten der Bundesländer. Aufgrund des kompletten Verbots struktureller Schulden auf Landesebene haben sie teils kaum finanzielle Spielräume.

Einzig die FDP scheint noch voll und ganz hinter der Schuldenbremse zu stehen. Die offiziellen Wahlprogramme der Parteien sind noch abzuwarten, aber es könnte gut sein, dass die Liberalen mit dem eisernen Bestehen auf die Schuldenbremse als USP in die Bundestagswahl gehen werden.

Klar ist: Die Entscheidung für oder gegen die Schuldenbremse wird die Lebensrealität der kommenden Generationen nachhaltig prägen. Es ist jetzt die Aufgabe der Parteien, ein Angebot an die jungen Menschen zu machen, das gleichzeitig finanzielle Stabilität sowie solide Investitionen in die Zukunft ermöglicht. Dann gibt es in den Schulen Deutschlands vielleicht bald flächendeckend WLAN und Whiteboards statt undichter Fenster und kaputter Heizungen.

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