TAZ hier 27.12.2024 Interview von Claudius Prößer
Klimaaktivist
Heinrich Strößenreuther: „Ich hatte das Gefühl, dass Friedrich Merz verstanden
hat“
Klimaaktivist über seinen CDU-Austritt: „Dieses Blinken nach rechts an den braunen Rand nervt“
Klimaktivist Heinrich Strößenreuther verlässt die CDU, in die er 2021 eingetreten war. Seine Offensivqualitäten will er nun bei den Grünen einsetzen.
taz: Herr Strößenreuther, vor dreieinhalb Jahren sind Sie als prominenter Verkehrs- und Klimaaktivist medienwirksam in die CDU eingetreten und haben dann die KlimaUnion gegründet. Jetzt geben Sie ebenso öffentlich das Parteibuch wieder zurück. Warum?
Heinrich Strößenreuther: Seit einem halben Jahr frage ich mich mindestens einmal am Tag, ob ich austreten soll. Dieses Blinken nach rechts an den braunen Rand nervt. Der Titel dieses Fraktionsantrags „Brot, Bett und Seife“ war eigentlich Nazi-Jargon und 1:1 von der AfD übernommen worden, zu der doch die Brandmauer zementiert werden wollte. Es wurden nach und nach Grenzen überschritten, und das passt nicht mehr für eine Partei, die das C im Namen trägt.
Aber auch beim U, dem Thema Umwelt und Klima, ist die CDU auf Bundesebene mittlerweile programmatisch hinter dem Stand zurück, wo sie mit Armin Laschet im Sommer 2021 war.
Sie haben es nicht geschafft, der CDU nachhaltig zu vermitteln, dass Klimakompetenz in ihrem besten Interesse wäre?
Es ging darum, das Klima-Thema in einer Partei größer aufzubauen, die sich ja in einer christlichen Verantwortung sieht, zu der die Bewahrung der Schöpfung gehört. Das ist leider am Ende zu wenig gelungen. Die CDU hat auch noch nicht verstanden, was global schon an Transformation passiert – wo die Frage nicht mehr lautet, ob die stattfindet, sondern nur noch, ob wir mitmachen wollen oder nicht. Bei der Autoindustrie sind die Felle zum Teil schon weggeschwommen, in anderen Branchen wie Anlagentechnik oder Batteriekonstruktion gibt es noch viel Potenzial, für mittelständische Unternehmen, die davon profitieren könnten. Die CDU handelt gegen die Interessen der eigenen Klientel und der deutschen Wirtschaft.
Im Interview: Heinrich Strößenreuther
Einer größeren Öffentlichkeit wurde Heinrich Strößenreuther zum ersten Mal mit dem Volksentscheid Fahrrad bekannt, den er 2016 in Berlin anstieß – und für den schon in der ersten Stufe so viele Unterschriften gesammelt wurden, dass er am Ende gar nicht mehr stattfinden musste: Die rot-rot-grüne Koalition nahm das als Anstoß für das seit 2018 geltende Berliner Mobilitätsgesetz. Auch der mobilitätspolitische Verein Changing Cities geht auf Strößenreuthers Initiative zurück.
In den folgenden Jahren widmete sich Strößenreuther verstärkt dem Thema Klima, unter anderem gründete er die Initiative GermanZero, die mittlerweile als eingetragener Verein für die Klimaneutralität Deutschlands bis 2035 lobbyiert.
Im März 2021 machte Strößenreuther seinen Eintritt in die CDU öffentlich, was ihm in der Klima-Szene viele Sympathien kostete. Ein Amt hatte er in der Partei nicht inne. Zusammen mit anderen gründete er den Verein KlimaUnion, der nicht formal mit der CDU verbunden ist – allerdings müssen ordentliche Mitglieder das Parteibuch besitzen.
Im Jahr 2023 initiierte er auf Berliner Landesebene den „Volksentscheid Baum“, der nach erfolgreicher erster Unterschriftensammlung derzeit vom Senat bis Ende April geprüft werden muss. Es handelt sich um ein Klimaanpassungsgesetz, das unter anderem die Pflanzung von einer Million Bäume bis 2040 vorsieht.
Strößenreuther ist beruflich als Consultant, Politikberater und Moderator tätig, er leitet die „Agentur für clevere Städte“.
Offensichtlich ist die Partei überzeugt, dass sie mit Klimaschutz nichts zu gewinnen hat.
Das war ja nicht immer so. Armin Laschet hatte sich im letzten Wahlkampf als künftiger Klimakanzler präsentiert. Er machte dann aber den Fehler, angesichts der Ahrtal-Flut …
… zu lachen.
Nein, das meine ich nicht. Das will ich auch gar nicht bewerten. Der Fehler war, nicht zu sagen: Eine solche Katastrophe darf nie wieder passieren, wir müssen in der Klimapolitik jetzt ganz anders antreten. Und genau das war der Wendepunkt bei den Umfragewerten. Zahlen der Adenauer-Stiftung belegen, dass eine Million Wähler wegen des Klimathemas zu den Grünen gewandert sind. Das sind 2 Prozentpunkte, das hat den Unterschied zwischen Regierung und Opposition ausgemacht. Die CDU hat wegen ihrer Klimaunglaubwürdigkeit die Wahl verloren. Diese Fakten haben leider in der Partei relativ wenig Leute interessiert.
Ist die CDU mit Friedrich Merz falsch abgebogen?
Die CDU macht den gleichen Fehler wie 1998 unter Rot-Grün, als sie blind alles ablehnte, was die Regierung tat. Diesmal sogar eine ganze Ecke lauter und populistischer, fast schon in Trump’scher Manier. Mit Friedrich Merz hatte ich als Gründer der KlimaUnion mehrere Gespräche. Wir haben versucht, ihm das Thema nachhaltige Energiepolitik näherzubringen. Ich hatte eigentlich das Gefühl, dass er die Zusammenhänge, Chancen und Risiken verstanden hat. Zumindest hat er an den richtigen Stellen genickt oder die Stirn gerunzelt.
Es scheint aber nicht gereicht zu haben.
Mir schien damals schon, dass es Machtkonstellationen in der Tiefe der Partei gibt, die auch jemanden, der das Problem verstanden hat, vorsichtig werden lassen, wenn er sein Amt behalten will. Ich halte Friedrich Merz für einen sehr intelligenten Menschen, aber mit Carsten Linnemann und Konsorten hat er Leute rangeholt, die die Verteidigung der alten fossilen Geschäftsmodelle auf der Agenda haben. Dass die CDU in der vordersten Reihe stand und steht, um die Solar- und die Windbranche kaputtzumachen, dass sie auch der Automobilbranche keinen Gefallen tut, passt eigentlich nicht zum Markenzeichen Wirtschaftskompetenz.
Ihr CDU-Eintritt wurde in der Klima-Community fast schon als Verrat wahrgenommen. Konnten Sie das nachvollziehen?
Das konnte ich definitiv bei all denen nachvollziehen, die mich nur oberflächlich kennen oder die politische Schwerstarbeit in allen Bereichen naiv unterschätzen. Bei Verkehrsthemen war ich früher ja mit erhobenem Schwert unterwegs, habe hier in Berlin den Volksentscheid Fahrrad initiiert und immer kräftig ausgeteilt und für verkehrspolitischen Druck gesorgt. Da wirkte es für einige, als hätte ich jetzt die Seiten gewechselt. Ein Teil des Jobs, in der CDU für eine bessere Klimapolitik zu werben, war ja auch, mit den Wölfen zu heulen, um die richtigen Narrative sowie Rückhalt in der Partei zu erzeugen. Das hat einige frustriert und wütend gemacht. Am Ende hat mich der Schritt von 14.000 Twitter-Followern rund 1.000 gekostet, das hätte schlimmer sein können. Ein bisschen weh tat mir die Kritik, wenn sie von langjährigen Mitstreitern kam, obwohl ich seit 30 Jahren Umwelt-, Verkehrs- und Klimaaktivist, -manager und -lobbyist in der ersten Reihe war.
Wir wollten die CDU definitiv unterwandern.
Eine Interpretation war auch, dass Sie die CDU von innen aufrollen wollten.
Wir wollten die CDU definitiv unterwandern. Ich wurde auf Twitter als U-Boot beschimpft, aber da antwortete ich oft: Nee, nicht U-Boot, sondern lieber Landungsgeschwader. „Kommen, um zu bleiben“ – es ging darum, das Thema Klima in der Partei aufzubauen.
War die CDU auch ein bisschen politische Heimat für Sie?
Ich komme aus einem CDU-Elternhaus, ich hatte ein Stipendium der Adenauer-Stiftung. Ich war aber auch 15 Jahre Konzernmanager und mehrfacher Geschäftsführer in der Bahnbranche, bin insofern viel tiefer in Wirtschaftsthemen drin als viele aus der Klimabewegung. Da gibt es eine breitere gemeinsame Gesprächsebene mit CDUlern. Ich habe in der Partei Menschen kennengelernt, Landräte oder Bürgermeister, die von der Realität weit mehr Ahnung haben als viele Klimabewegte und auch der eine oder andere von den Grünen. Wenn man denen die Transformationserfordernis ein bisschen klar macht, wissen die, was zu tun ist. Der CDU nur dunkel bis braun zuzuschreiben, untergräbt den Rückhalt derjenigen, die ernsthaft etwas bewegen wollen.
Erwägen noch mehr KlimaUnions-Mitglieder den Austritt?
Viele sind mit der Entwicklung auch nicht glücklich, sind aber auch schon lange in der Partei sozialisiert. Wir haben oft darüber diskutiert, wie mit inhaltlicher Kritik an der Parteispitze umzugehen ist, und Thomas Heilmann als Vorsitzender hat dann die Strategie „Ziemlich beste Freunde“ ausgegeben: Kritik ja, aber auf keinen Fall öffentlich. Ich sehe das anders. Wenn man sich annähern will, muss man das vorsichtig machen, da bin ich vollständig dabei. Wenn aber rote Linien überschritten werden, muss man eine Haltung haben und die auch kommunizieren.
Sie belassen es jetzt nicht einfach dabei, einer Partei den Rücken zu kehren.
Richtig, ich werde bei den Grünen eintreten. Ich bin da schon in Gesprächen und freue mich, ab dem kommenden Jahr in einem neuen Team zu spielen – auch wenn ich mir nicht gleich „Team Robert“ auf die Brust tätowieren lasse. Aber wenn ich mir anschaue, was es auf Bundesebene an staatstragenden Führungsfiguren gibt, steht Habeck ganz vorne auf der Liste. Wenn ich mir seine Reden auf Twitter in letzter Zeit so ansehe, denke ich: Das ist das, was ich von den Spitzenleuten aller Parteien in diesen Zeiten auch hören möchte.
Glauben Sie, die Grünen freuen sich über Ihren Aufnahmeantrag?
Ich war ja früher schon Grünen-Mitglied, bin dann aber vor dem Volksentscheid Fahrrad ausgetreten, weil ich parteineutral bleiben wollte. Ich glaube, die Grünen in Berlin sind in der aktuellen Situation ganz happy, mich wieder im offensiv kommunikativen Lager zu haben, was die Verkehrspolitik angeht.
Regine Günther ist ja auch nicht mehr mit von der Partie – mit der konnten Sie bekanntlich weniger gut.
Mit ihrer Performance waren viele nicht so ganz glücklich, würde ich sagen. Eigentlich hätten nach fünf Jahren wir Verkehrsaktivisti, aber auch die Autofahrer am Straßenrand stehen müssen und applaudieren müssen ob einer nachhaltigen Verkehrspolitik, die Radwege so ausbaut, dass Autofahrer gerne umsteigen und so Staus und Parkplatzsorgen für die verbleibenden verringern. Meine Sorge war schon 2016, dass in den 2020er Jahren Autowahlkämpfe wieder möglich werden.
Was wären denn Sollbruchstellen zwischen den Grünen und Ihnen?
Die Menschen erwarten von den Grünen, dass das Thema Klima auf Platz eins der Agenda steht. Das hat erst jüngst wieder eine Umfrage ergeben, die ich in Auftrag gegeben habe. Das tut es aber im Moment nicht, die Partei ist stärker mit gesellschaftspolitischen, sozialen Themen unterwegs. Da könnte ich mir vorstellen, dass es die eine oder andere Diskussion gibt. Ein anderer Punkt: Als jemand, der aus der Verkehrswirtschaft kommt und die Einnahme- und Erlösseite kennt, habe ich möglicherweise manchmal eine andere Haltung in der Diskussion über kostenlosen ÖPNV oder das 49-Euro-Ticket.
Heißt?
Der Kostendeckungsgrad von 80 Prozent, den der ÖPNV in den letzten Jahren mühsam erwirtschaftet hatte, ist durch das 49-Euro-Ticket viel zu stark gesunken. Das heißt im Kern, dass die Verkehrswirtschaft gezwungen ist, Leistungen einzuschränken, und das macht sie in der Regel auf dem platten Land, wo Bus und Bahn wenig ausgelastet sind und viel Auto gefahren wird. Und wo dann AfD gewählt wird, weil man ja auf dem Land abgehängt würde, um den Großstädtern den ÖPNV noch schmackhafter zu machen. Ich werde vermutlich auch nicht der große Gender-Aktivist werden, da mir die Klimapolitik dringender erscheint. Ich bin seit 30 Jahren Klimaaktivist, und die Diskussionen über Sternchen kommen immer wieder, aber der eigentliche Punkt ist, dass wir Frauen präsent machen müssen. Ich sehe lieber zu, Frauen aufs Podium zu holen, wenn ich eine Tagung oder ein Event organisiere.
Warum muss jemand überhaupt in einer Partei aktiv sein, der gezeigt hat, dass er auch ohne diesen Rückhalt Kampagnen machen und Themen setzen kann?
Der Aufwand für Volksentscheide ist beträchtlich. Ich trete lieber in Parteien ein, um dort die Mandats- und Amtsträger zu unterstützen und zu stärken: Das ist wichtiger, als die nächste Demo auf der Straße zu organisieren, deren Thema oft nicht mal 100 Meter weiter in den Bundestagsbüros von den Plakaten abgelesen werden kann. Und ich glaube, dass es jetzt tatsächlich wichtig ist, den Grünen den Rücken zu stärken, gerade weil sie so stark aus der fossilen Ecke angegriffen werden. Und weil sie die einzige Partei sind, die die Klimadramatik sowie die Chancen und Risiken der globalen Transformation hin zu einer sauberen Wirtschaft verstanden hat und sich bemüht, dafür entschlossen Politik zu machen.
Werden Sie sich wieder stärker auf Landesebene engagieren?
Auf jeden Fall. Ich habe mich schließlich zwei Jahre lang ehrenamtlich für den Fahrrad-Volksentscheid engagiert und das Mobilitätsgesetz vorangetrieben. Dass vor allem die Berliner CDU-Fraktion das jetzt so schreddert und Druck auf die Senatorin und den Staatssekretär ausübt, hätte ich nicht erwartet. Ich hätte gedacht, die bauen vielleicht ein bisschen langsamer weiter, aber eigentlich sind sie hart auf die Bremse gestiegen – zu Lasten der Autofahrer, die mit ihren Stau- und Parkplatzsorgen weiter alleine gelassen werden, statt vom Umstieg auf Rad, Bus und Bahn zu profitieren.
Die Entwicklung an der Kantstraße nehmen Sie möglicherweise sogar persönlich?
Die Kantstraße wird gehalten. Ich habe nicht umsonst in der Coronazeit Demos jeden Montagmorgen organisiert. Was der CDU-Stadtrat da gemacht hat, war eine geschmacklose populistische Nummer. Man kann 60 Sekunden im Internet googeln und findet Feuerwehrautos, die auch mit 12 Meter Abstand zur Hauswand den sechsten Stock erreichen. Da ist viel Mist erzählt worden. Wenn der wahr sein sollte, müsste man wohl jede zweite Dachgeschosswohnung in Berlin stilllegen. Aber das eigentliche Debakel ist, dass das Ding nicht schon vor drei Jahren abgeräumt wurde – wie am Kottbusser Damm, der im Prinzip die gleichen Maße hat.
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Focus hier Tagesspiegel Freitag, 27.12.2024,
Bekannter Fahrrad-Aktivist wechselt zu den Grünen und rechnet böse mit der CDU ab
„Merz und Söder übernehmen zunehmend AfD-Sprech“
Bekannter Fahrrad-Aktivist wechselt zu den Grünen und rechnet böse mit der CDU ab
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Jetzt tritt Strößenreuther aus: Am zweiten Weihnachtsfeiertag – seinem 57. Geburtstag – wollte er seine Kündigung in den Briefkasten der Parteizentrale werfen („geht nicht digital“), um tags darauf die Aufnahme bei den Grünen zu beantragen (digital). Im Gespräch erklärt er seine Gründe.
Herr Strößenreuther, warum treten Sie erst jetzt aus der CDU aus?
Ich habe dort mit viel Einsatz versucht, mit einer anderen Art von Narrativ für Klimapolitik zu werben, die ja kein linkes Klientelprojekt ist, sondern von der auch die deutsche Wirtschaft enorm profitieren könnte. Parteifreunde haben mir gesagt, wir brauchen die vernünftigen Leute aus der Mitte in der CDU.
Wenn die das Schiff verlassen, geht es den Bach runter. Das aktuelle Wahlprogramm hat dermaßen braune Töne wie „Bett, Brot und Seife“ angenommen, die ich für eine christliche Partei nicht mehr als akzeptabel erachte.
Sie sind bekannt als zuweilen polemischer Kämpfer für die Mobilitätswende. Aus dem von Ihnen initiierten Fahrrad-Volksentscheid ist das Mobilitätsgesetz hervorgegangen – mit dem die CDU seit jeher ein Problem hat. Insofern stand die Partei schon damals fürs Gegenteil Ihrer Agenda.
Ich verstehe ja, dass man etwas für die Autofahrer tun will: Autofahrer mit guten neuen Radwegen aufs Rad locken oder in Bus und Bahn, um Stau- und Parkplatzsorgen zu schmälern. Mit Manja Schreiner hatte man noch den Eindruck, dass „Autoverkehr eindämmen“ die Brücke zwischen den rechtlichen Pflichten des Mobilitätsgesetzes und dem Credo gegenüber den Wählern ist.
Die nicht vorhandene Performance in der Verkehrs- und Klimapolitik hätte ich auch noch länger ertragen, nicht aber die Verschiebung des Diskurses immer weiter nach rechts.
Das betrifft weniger die Landes- als die Bundespartei, einschließlich der CSU. Merz und Söder übernehmen nicht nur in Migrationsthemen zunehmend AfD-Sprech, sondern auch bei Klima- und Umweltschutz.
Ich habe den Eindruck, dass einige in CDU und CSU sich die Republikaner in den USA eher zum Vorbild genommen haben als den vielleicht etwas altmodischen bürgerlichen Anstand. Da werden Fakten verdreht bis hin zu Fake News.
Ist die von Ihnen mitbegründete „Klima-Union“ tot?
Tot ist sie überhaupt nicht, im Gegenteil. Sie hat vor einem Jahr die Strategie gewechselt und kritisiert Dinge nun nicht mehr öffentlich, sondern versucht stärker, hinter den Kulissen Vertrauen aufzubauen und damit etwas zu erreichen. Das trage ich auch mit. Aber wenn rote Linien überschritten werden, kann man nicht weiter öffentlich schweigen – und hier haben sich Wege getrennt.
Gab es irgendwen, der gesagt hat: Schade, dass du gehst?
Ja, es gibt ja durchaus Leute in der CDU, die ein Problem damit haben, wie sehr die Partei den Klimaschutz, wirtschaftliche Chancen und Industriepolitik vernachlässigt. Ich habe bislang für die CDU ausschließlich ehrenamtlich gearbeitet und keinen Cent bekommen für die Arbeit, die ich dort gemacht habe.
Damit kann ich leben, aber wenn ich schon meine Kraft und Zeit investiere, dann lieber an einer Stelle, wo die Klimadramatik und die Chancen für die deutsche Wirtschaft verstanden werden und wo man die Themen ernst nimmt, auf die es wirklich ankommt.
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Focus hier Sebastian Scheffel 28.12.2024 Klimaunion-Gründer
wechselt von CDU zu Grünen und räumt Manko seiner neuen Partei ein
Heinrich Strößenreuther im Interview: Er wechselt von der CDU zu den Grünen - hier erklärt er, warum
...Es gibt den Vorwurf, sie seien ein U-Boot in der Partei gewesen.
Strößenreuther: Ich wollte nicht nur ein U-Boot sein, sondern Teil einer Bewegung, die mit Wirtschafts- und Verwaltungskompetenz die Klimapflichten erfüllt. Um etwas zu bewirken, muss man die Partei notfalls liebevoll „unterwandern“, wie böse Zungen das gerne sagen.
Bereuen Sie es, in die CDU eingetreten zu sein?
Strößenreuther: Nein, ich halte es nach wie vor für richtig, mit anderen Botschaften und einem anderen Politikstil innerhalb der Union, aber auch in anderen Parteien, für die Pariser Klimaziele zu werben. Ich hätte rückblickend aber noch mehr darüber nachdenken müssen, wie das gelingen kann. Je näher man an den Wählern dran ist, desto eher hatten wir Erfolg, je weiter man in der Parteihierarchie nach oben geht, desto weniger wurden wir gehört.
Warum konnten Sie und die Klimaunion denn die Parteiführung nicht so beeinflussen, dass die CDU zu einer anderen Politik gefunden hat?
Strößenreuther: Vielleicht war ich doch noch zu weit weg von der Partei. Manche meiner Klima-Posts in den sozialen Medien haben einige in der CDU überrascht. Da hätte ich entweder vorsichtiger sein müssen – oder noch unbeirrter meinen Stiefel durchziehen. Vermutlich wäre beides erfolgreicher gewesen. Und zugleich habe ich den Eindruck, dass Friedrich Merz als Parteichef durch starke Beharrungskräfte beeinflusst wird, zum Beispiel aus der Partei oder aus den Vorstandsetagen und Aufsichtsräten mancher Energieunternehmen, die mit Öl, Kohle und Gas ihr Geld verdienen. In persönlichen Gesprächen 2021 hatte ich eigentlich schon den Eindruck, dass Friedrich Merz die Win-Win-Situation für Wirtschaft und Klima verstanden hat. Möglicherweise sagt er aus machtpolitischen Erwägungen Dinge, von denen er weiß, dass sie falsch sind.
Merz baut Märchenschlösser und
„faselt von neuen Atomreaktoren“
Was glauben Sie, welche Klimapolitik wird ein Kanzler Merz machen?
Strößenreuther: Ich glaube, das wird Wischiwaschi. Er träumt davon, Kernfusion voranzutreiben und faselt von neuen Atomreaktoren – ohne jemals konkret zu sagen, in welchem Landkreis diese gebaut werden sollen oder wo die Endlager entstehen sollen. Seine Märchenschlösser werden der Wirtschaft teurere Stromkosten bescheren, obwohl es billigen von Sonne und Wind gäbe. Für Unternehmen wäre es hingegen wichtig, Planungssicherheit zu haben.
Wäre das nicht Grund genug, um erst recht in der Union eine Stimme für Klimaschutz zu sein? Man könnte Ihnen vorwerfen, feige wegzurennen und nun Aufmerksamkeit auf sich selbst ziehen zu wollen.
Strößenreuther: Bei der Gründung der Klimaunion hatte ich die Hoffnung, mit Klimapolitik in der Union meinen Lebensunterhalt verdienen zu können. Es gab aber nicht genug Spenden und Fördermitgliedschaften. Fünf Tage pro Woche ehrenamtlich für die CDU zu arbeiten, wollte ich nicht – so sehr liebte ich die Partei dann doch nicht.
Also ist auch die Klimaunion gescheitert?
Strößenreuther: Nein. Der Bundestagsabgeordnete Thomas Heilmann, den ich als Nachfolger als Vorsitzender der Klimaunion gewinnen konnte, macht seinen Job sehr gut. Außerdem habe ich vor dem Austritt noch Landesverbände aufgebaut und in ostdeutschen CDU-Landkreisen für Klimaschutz geworben. Teilweise ist es uns gut gelungen, ein Narrativ zu entwickeln, dass die energiewirtschaftlichen Notwendigkeiten vermittelt, ohne das Wort Klima zu gebrauchen. Das hat geholfen.
Wo werden Sie sich nach Ihrem Austritt aus der CDU engagieren?
Strößenreuther: Das war eine simple Entscheidung. Ich trete wieder den Grünen bei, wo ich bis 2015 schon einmal Mitglied war. Die Partei ist derzeit – vielleicht neben der Kleinpartei Volt – die einzige, die lokal, national und global die Klimadramatik verstanden hat. Und vor allem haben die Grünen verstanden, dass die Transformation mit ihren Chancen ohnehin schon im Gange ist – es geht nur noch um die Frage, ob die deutsche Wirtschaft auf der Welle vorne mit schwimmt, oder ob sie untergeht.
Die Grünen hatten in der Regierung ihre Chance, für Klimaschutz zu kämpfen und dafür Akzeptanz in der Bevölkerung zu schaffen. Ist das aus Ihrer Sicht gelungen?
Strößenreuther: Ja und nein. In der Energiewirtschaft ist einiges passiert, nachdem 16 Jahre lang viel verschleppt wurde. Robert Habeck als Wirtschaftsminister hat da einen guten Job gemacht. Aus fachlicher Sicht würde ich aber sagen, dass er zum Beispiel deutlich mehr hätte über Bürgerenergie nachdenken müssen – also wie man mit der Solaranlage auf dem Eigenheim oder dem Balkonkraftwerk die Energiewende entfesseln kann. Dass Habeck Gaskraftwerke bauen lassen will, die man in zehn Jahren wieder abschalten muss, ergibt keinen Sinn.
„Im Wahlprogramm der Grünen
steht die Klimapolitik zu weit hinten“
Beim Parteitag und im Wahlprogramm gibt es zwar schöne Sätze zur Klimapolitik. Aber im Fokus stehen bei den Grünen gerade andere Themen. Haben Sie nicht die Angst, in der nächsten Partei enttäuscht zu werden?
Strößenreuther: Ach, ich habe schon so viele Dinge ausprobiert. Sie unterschätzen meine Hartnäckigkeit und meine Fähigkeit, auszuhalten und etwas anzuschieben. Die CDU ist nicht meine politische Heimat geworden, aber mit der Klimaunion ist uns ein guter Vorstoß gelungen. Aber Sie haben recht, im Wahlprogramm der Grünen steht die Klimapolitik zu weit hinten. Bei fast allen Parteien sagt eine Mehrheit der Anhänger, dass Klimapolitik in der nächsten Bundesregierung eine wichtige Rolle spielen sollte. Da ist mehr Potenzial für die Grünen, wenn sie sich wieder mutig auf den Markenkern der Partei besinnen und die anderen Themen als Kür ergänzen – dann sind auch 30 Prozent drin. Mit dieser Ansicht mache ich mir vielleicht direkt die nächsten Feinde – aber ich bin eben kein Diplomat.
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