Montag, 1. Juli 2024

Vorbildrolle für Globalen Süden: „Wir werden genau beobachtet“

hier  9.06.2024, 

Experte Michael Köhler über Deutschlands Vorbildrolle und Verantwortung im Globalen Süden. Ein Interview von Anke Lübbert.

Herr Köhler, in Diskussionen über nötige Vorkehrungen in der Klimakrise hört man oft das Argument, dass es kaum eine Rolle spielt, was in Deutschland getan wird. Schließlich sei der Klimawandel ein globales Problem. Was würden sie erwidern?

Ich bin im Kontakt mit vielen Regierungen und NGOs im Globalen Süden und kann sagen, dass dort ganz genau beobachtet wird, wie der Transformationsprozess bei uns läuft. Wir werden als Vorbild gesehen. Deutschland ist für Entwicklungsländer wie eine Schablone, an der gemessen wird, ob es sich lohnt auch auf diesen Pfad einzuschwenken. Es wird geschaut, ob wir uns an unsere Minderungszusagen aus dem Pariser Abkommen halten. Ob es uns gelingt, klimaneutrale Technologien zu entwickeln, ob wir unsere Industrie umbauen und unseren Treibhausgasaustoß verringern. Oder eben nicht.

Der Expertenrat der Bundesregierung hat bekannt gegeben, dass Deutschland seine Klimaziele bis 2030 mit großer Wahrscheinlichkeit verfehlen wird.

Die internationale Gemeinschaft hat mit großem Interesse verfolgt, wie Deutschland mit der Energiekrise als Folge des Ukrainekriegs umgeht. Dabei hat zunächst auch einiges gut funktioniert, etwa starke Energieeinsparungen und die Entkoppelung von russischem Öl und Erdgas ohne wieder massiv auf Kohle zu setzen. Nun wackelt aber der Transformationsprozess, vor allem wegen der Haushaltskrise. Das wir uns weigern, Schulden für Zukunftsinvestitionen aufzunehmen, können die Entwicklungs- und Schwellenländer nicht nachvollziehen. Aus ihrer Sicht haben wir eine große historische Verantwortung bei der Bekämpfung der Klimakrise.

Warum?

Wir sind das drittreichste Land der Welt. Unsere Partner wissen, dass unser Wohlstand auch wesentlich darauf beruht, dass wir über viele Jahrzehnte fossile Energien günstig nutzen konnten. Nur die USA, China und Russland haben in der Vergangenheit mehr Treibhausgase ausgestoßen, die teils mehrere hundert Jahre in der Atmosphäre verbleiben. Damit haben wir diese Situation, in der wir jetzt stecken erst geschaffen. Wir tragen eine Riesenverantwortung für die Erderwärmung, die ärmeren Länder im Globalen Süden leiden aber viel stärker unter den Auswirkungen als wir.

Was sind deren Erwartungen?

Die Entwicklungsländer spüren den Druck, dass sie nicht den Weg gehen sollen, der Deutschland und die anderen Industrienationen so reich gemacht hat. Dafür erwarten sie Unterstützung über Geld, Technik und Know How. Dass wir zum Beispiel neue klimafreundliche Technologien entwickeln, die sie später, wenn sie nicht mehr so teuer sind, nutzen können. Und eben auch dass wir ein Vorbild für den Transformationsprozess sind. Wenn es da hakt, sinkt die Bereitschaft der Entwicklungs- und Schwellenländer selber in die Richtung zu gehen.

Im Pariser Abkommen verpflichteten sich die Industrieländern ab 2020 jedes Jahr 100 Milliarden für Entwicklungs- und Schwellenländer bereit zu stellen. Im vergangenen Jahr wurde diese Summe zum ersten Mal erreicht.

Zur Person

Michel Köhler ist Mitgründer der Hamburger Klimapolitikberatung „the greenwerk“, das Schwellen- und Entwicklungsländern bei der Energiewende und Klimaverhandlungen unterstützt. FR

Ja, aber das Geld besteht Großteils aus Krediten, die wieder zurückgezahlt werden müssen und die Mittel sind heiß umkämpft. Das birgt Frustrationspotential.

Haben sie ein konkretes Beispiel?

Wir arbeiten viel mit der Gruppe der 45 ärmsten Länder der Welt und kleinen Inselstaaten zusammen. Saint Kitts und Nevis in der Karibik sind ganz besonders von zunehmenden Hurrikanschäden und dem Meeresspiegelanstieg betroffen sind. Die brauchen Geld für Anpassungsprojekte, bei denen es um Wasserversorgung und Küstenschutzprojekte geht. Um die Bedingungen der Geberländer für die Mittelvergabe zu erfüllen, haben sie Daten gesammelt, ausführliche Studien erstellt und begonnen ihre Institutionen zu reformieren. Bisher erfolglos. Für diese Staaten ist die Erderhitzung existenziell bedrohlich. Viele Anpassungsmaßnahmen, die sie selbst umsetzen können, macht der Klimawandel in der nächsten Hurrikansaison wieder zunichte. Die haben, wie ich finde auch zurecht, den Anspruch das die Internationale Staatengemeinschaft sie unterstützt. Wenn sie sehen, dass reichere Länder wie Deutschland bei der Transformation schwächeln oder nicht ausreichend Mittel zur Unterstützung der ärmeren Länder bereitstellen, kommt das eben gar nicht gut an.

Was könnte dann schlimmstenfalls passieren?

Deutschland und der EU droht ein Ansehens- und Vertrauensverlust. Ich glaube dass das auf lange Sicht auch negative Auswirkungen bei den Klimaverhandlungen haben würde, damit riskieren wir auch die globalen Klimaschutzbemühungen, die wir so dringend brauchen.

Was wären in ihren Augen die wichtigsten Schritte, um das Vertrauen der Partnerländer zurück zu gewinnen?

Wir müssen unsere Haushaltsprobleme klären und alles daran setzen unsere Zusagen einzuhalten. Und wir müssen unserer Vorbildrolle gerecht werden und beweisen, dass einem Industrieland die Transformation gelingen kann. Dazu gehört die Treibhausgase entsprechend der Klimaziele zu reduzieren, zum Beispiel auch im Verkehrssektor.

Also doch das Tempolimit?

Ach das ist doch international längst ein Running Gag geworden. Klar wäre das wünschenswert, da könnten wir uns nahezu alle Entwicklungsländer, die das schon lange eingeführt haben, als Vorbild nehmen. Langfristig geht es im Verkehrssektor vor allem um den Ausstieg aus dem Verbrennermotor, die Stärkung des Schienenverkehrs und ÖPNV aber auch um den Schiffs- und Flugverkehr. Da muss sowohl bei den technischen Innovationen als auch bei der Regulierung noch viel passieren.

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