Europas größter Solarpark? Steht in Sachsen. Deutschland erzeugt so viel Ökostrom wie nie. Wo der Ausbau der Erneuerbaren schon vorankommt – und wo es noch hakt.
Falls noch jemand ein bisschen Energiewende-Romantik für Werbebroschüren sucht: Europas größter Solarpark südlich von Leipzig wäre ein geeignetes Fotomotiv. Über eine Million Solarmodule haben sie hier auf 500 Hektar (700 Fußballfelder!) verbaut, und zwar auf dem Gelände eines ehemaligen Braunkohletagebaus. Am Horizont dampft das angezählte Kohlekraftwerk. Der Solarpark liefert so viel Strom, dass man damit 200.000 Vierpersonenhaushalte ein ganzes Jahr lang versorgen könnte. Gebaut wurde ganz ohne Subventionen. Möglich machen das Lieferverträge mit Unternehmen wie Microsoft. Der US-Konzern kann mit dem Grünstrom die Energiebilanz seiner Rechenzentren aufhübschen.
Wo die Menschen einst von der Kohle abhängig waren, entsteht jetzt Ökostrom. Das hört sich toll an und passt gar nicht zu dem, was man sonst über die Energiewende liest. Es heißt doch immer, zu langsam, zu teuer, planwirtschaftlicher Murks. Doch es bewegt sich was. Zuletzt häuften sich die guten Nachrichten: Der Anteil am in Deutschland aus erneuerbaren Quellen erzeugten Strom lag von Januar bis März bei knapp 60 Prozent. Einen so großen Anteil hatten Wind, Wasser, Fotovoltaik und Biogas noch nie in den ersten drei Monaten eines Jahres.
Es gibt auch eine Rekordzahl an Firmen, die Windparks bauen wollen. Bei dem aktuellen Bieterverfahren hat die Bundesnetzagentur so viele Bauzuschläge wie nie verteilt. Netzagentur-Chef Klaus Müller meint nun sogar: Wenn es so weitergehe, könnten die Ausbauziele für Windkraft an Land erreicht werden. Und das scheint nicht mal Schönfärberei eines Behördenchefs zu sein.
Selbst Energieökonomen sehen die Lage mittlerweile positiv: "Der Ausbau der Erneuerbaren geht erfreulich schnell voran, vor allem bei Solar", sagt der Energieexperte Lion Hirth. Der Ausbau der Solarenergie erreichte schon im vergangenen Jahr die von der Bundesregierung festgelegten Ziele. Das liegt auch an den stark gesunkenen Preisen für Solarmodule, was eine Anschaffung auch für Privatleute attraktiv macht. Folglich geht auch der klimaschädliche CO₂-Ausstoß zurück. Die Emissionen aus der Verstromung von Braun- und Steinkohle seien schon 2023 auf den niedrigsten Wert seit 1990 gefallen, sagt Bruno Burger vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme. "Durch die bisher weiter gesunkene Kohleverstromung 2024 werden die Emissionen 2024 einen neuen Tiefststand erreichen."
Natürlich gibt es auch noch viele Probleme. Etwa bei der Windkraft, deren Ausbautempo sich zwischen den Bundesländern stark unterscheidet. In Brandenburg, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt stehen schon jede Menge Windräder. In Bayern und Baden-Württemberg sind es immer noch zu wenige – auch mit Blick auf die dortigen stromintensiven Industriebetriebe.
Der viele Grünstrom führt an den Börsen zu einer absurden Situation. An wind- und sonnenreichen Tagen, wenn enorm viel billig erzeugter Strom ins Netz eingespeist wird, kommt es immer häufiger zu Strompreisen nahe null oder sogar zu negativen Strompreisen. Im ersten Halbjahr 2024 habe es 226 Stunden mit negativen Börsenstrompreisen gegeben, rechnet Burger vor. Das ist einerseits gut – viele Stromanbieter ziehen nach und senken ihre Tarife. Die Strompreise für Neukunden liegen dem Vergleichsportal Verivox zufolge aktuell bei rund 25 Cent pro Kilowattstunde und damit leicht unter dem Niveau vor Beginn des Ukrainekrieges.
Andererseits sind niedrige Börsenpreise auch ein Problem – und zwar für den Staatshaushalt. Das hat mit der staatlichen Förderung von Ökostrom zu tun, der EEG-Förderung. Betreiber von Wind-, Solar- oder Biogasanlagen bekommen, meist über 20 Jahre hinweg, einen garantierten Abnahmepreis für ihren grünen Strom. Doch bei Börsenpreisen nahe null wird die Lücke zur staatlich garantierten Vergütung immer größer – für den Differenzbetrag muss inzwischen der Staat aufkommen. Deutschland wird also Opfer seines eigenen Erfolgs. Die Ampelregierung musste allein in diesem Jahr dafür zweistellige Milliardensummen im Nachtragshaushalt einplanen. Auf das Drängen der Liberalen hin hat die Regierung im Zuge des Haushaltskompromisses beschlossen, die Förderung der Erneuerbaren neu aufzustellen. Statt 20 Jahre lang staatlich abgesicherte Preise zu garantieren, soll künftig wohl nur noch der Bau neuer Anlagen bezuschusst werden. Die Vergütung des Stroms soll dann über den Markt geregelt werden.
Viel zu tun gibt es auch noch beim Netzausbau. Denn der überwiegend im Norden erzeugte Windstrom muss in den Süden transportiert werden. Die Stromnetze seien dafür noch nicht ausreichend ausgebaut, sagt Burger. Das habe mit schlechter Planung in der Vergangenheit zu tun, so habe beispielsweise der frühere Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) die stark steigenden Verbräuche unterschätzt, sagt Burger. Zudem habe Bayern den "Ausbau der Stromtrassen auch lange behindert". Weil die Übertragungsnetze, also die großen Strommasten, die den Strom über weite Strecken hinweg in einzelne Regionen bringen, nicht schön aussehen und Bürger immer wieder dagegen protestieren, werden sie nun auch teilweise unterirdisch verbaut. Doch diese Erdverkabelung ist viel teurer und die Diskussionen darüber haben den Ausbau zusätzlich verzögert.
Der ungleiche Ausbau der Erneuerbaren führt zu einem weiteren Paradox: Im Norden, wo die Menschen die Windräder vor der Haustür haben, ist Strom besonders teuer. Bürgerinnen und Bürger werden also auch noch für ihr Engagement bestraft. Der Grund: Um Windparks ans Netz anzuschließen, muss in Leitungen und Umspannwerke investiert werden. Die Kosten dafür holen sich die Betreiber über die Netzentgelte zurück. Stromkunden im Norden zahlen daher höhere Netzentgelte als die im Süden. Das empfinden viele, vor allem die Ministerpräsidenten der nördlichen Bundesländer, als unfair.
Das System hat noch einen anderen Haken: Es ignoriert, dass Strom im Süden, wo er Mangelware ist, wertvoller ist als im Norden, wo es ihn häufig im Überfluss gibt. Das liegt daran, dass Strom, von den Netzentgelten mal abgesehen, überall in Deutschland gleich viel kosten soll. Doch manche Ökonomen finden, diese einheitliche Preiszone setzt Fehlanreize für Industriebetriebe. Für die Netzstabilität wäre es gut, wenn sich im Norden viele Abnehmer für den Ökostrom fänden.
"Wer heute in Mecklenburg in Wasserstoffherstellung, Rechenzentren oder grüne Stahlfabriken investiert, zahlt ja immer den deutschlandweiten Preis, selbst wenn der Strom regional im Überfluss vorhanden ist und der Windpark nebenan abgeregelt wird", schrieb jüngst eine Gruppe von Energieexperten, darunter auch Hirth, in einem Aufruf für unterschiedliche Preiszonen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Weil Investoren in Deutschland keinen günstigen Strom bekommen, ziehe es sie immer häufiger ins Ausland: beispielsweise nach Schweden, wo es schon lange regionale Strompreise gibt. Die Abkehr von der einheitlichen Preiszone wäre allerdings einer der größten Eingriffe in das System seit Jahrzehnten – es sieht nicht danach aus, dass die Ampelregierung in ihren verbleibenden eineinhalb Jahren sich diese Diskussion auch noch aufhalsen wird.
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