Donnerstag, 4. Juli 2024

Ernteprognose 2024: Bauern kämpfen weiter mit Wetterextremen

hier  Tagesschau  01.07.2024 Axel John

In den vergangenen Jahren kämpften die Landwirte mit extremer Trockenheit, jetzt machen ihnen teils sintflutartige Niederschläge zu schaffen. Um mit Nässe und Schimmel klarzukommen, müssen sie verstärkt Pestizide einsetzen.

Uwe Bißbort läuft einen Feldweg entlang und zeigt immer wieder auf seine Ackerfläche. Eigentlich sollte jetzt hier Raps wachsen. "Hier stand im Frühjahr und auch im Mai überall das Wasser auf den Feldern. Die Saat konnte gar nicht angehen. Der Ausfall bei mir liegt bei 30 Prozent", erklärt Bißbort. Grund sei der viele Regen gewesen. "Wir haben hier normalerweise rund 750 Liter Regenwasser pro Jahr. Bislang waren es schon mehr als 1.200 Liter. Das war selbst nach den Trockenjahren viel zu viel." 

Mit dem Regen kamen Pilzkrankheiten

Bißbort ist Landwirt im Südwesten von Rheinland-Pfalz. In Windsberg betreibt er in seinem Familienbetrieb neben Schweinezucht auch Ackerbau: Wintergerste, Erbsen, Mais, Zuckerrüben und Raps. Bei der Gerste rechnet Bißbort mit Ausfällen von rund 60 Prozent wegen der Nässe. Im regenreichen Mai kamen mit den ansteigenden Temperaturen dann noch verstärkt Pilzkrankheiten dazu, die Bißbort mit Pflanzenschutzmitteln bekämpfte, um zumindest seine reduzierten Erträge zu retten.

"Manche Landwirte in der Region hat es wegen des Regens noch härter getroffen, vor allem diejenigen, die in Tallagen ihre Flächen haben. Da war alles so aufgeweicht, dass sie nicht mal mehr auf ihre Äcker kamen", erzählt Bißbort. "Ich rechne insgesamt mit einem Gesamtminus von 30 Prozent für meinen Hof in diesem Jahr", rechnet Bißbort zusammen.

Er hat aber eine damit verbundene Botschaft an die Verbraucher: "Ich bin mit meinen Ausfällen kein Einzelfall. Höhere Preise im Supermarkt dürfen aber nicht die Folge sein. Der Handel mit Agrarrohstoffen ist global. Das kann ausgeglichen werden", so der Landwirt. "Der Handel darf die Wetterkapriolen nicht missbrauchen, um höhere Preise durchzusetzen."

Ernte ohne Pflanzenschutz gefährdet

Eine Autostunde entfernt bereitet sich Landwirt Thomas Knecht auf die Ernte vor. In einer Woche kann es hier in Herxheim vermutlich mit dem Weizen losgehen. "Der viele Regen im Herbst erschwerte die Aussaat des Wintergetreides und aufgrund des nassen und wechselhaften Wetters ist die Getreideernte etwas später als in den Vorjahren", so der 54-Jährige.

Auch Knecht musste sich mit vielen Pilzkrankheiten herumschlagen, deshalb brachte er dreimal Pflanzenschutzmittel aus. Normalerweise ist das nur einmal nötig. "Das Thema löst bei vielen Verbrauchern Ängste aus. Aber alle Substanzen bauen sich innerhalb kurzer Zeit und lange vor der Ernte wieder ab. Ohne Pflanzenschutz wäre die Ernte in diesem Jahr gefährdet gewesen. Zudem sind Schadpilze an dem Weizenkorn für Mensch und Tier auch ungesund", so Knecht.


07.06.2024 hier

Unwetterfolgen: Hochwasser vernichtet Ernte vieler Höfe 

In den überfluteten Gebieten Süddeutschlands drohen enorme Ernteausfälle. Felder stehen unter Wasser, Tiere mussten evakuiert werden. Das Ausmaß der Schäden ist noch nicht zu beziffern.


Der Landwirt erwartet in diesem Jahr ein durchschnittliches Ergebnis. "Angesichts der Wetterkapriolen würde ich damit zufrieden sein." Für den Verbraucher dürften beim Bäcker die Preise nach Einschätzung von Knecht stabil bleiben. "Der Anteil des Weizenpreis am Brötchen liegt bei maximal einem dreiviertel Cent. Den Löwenanteil machen Energie- und Personalkosten sowie Logistik aus." 

Bauernverband zieht gemischte Zwischenbilanz

In seiner heute vorgelegten Prognose geht der Deutsche Bauernverband (DBV) von einer Getreideernte von knapp 42 Millionen Tonnen aus. Das würde leicht unter dem Vorjahresergebnis liegen. "Wir erwarten eine knapp durchschnittliche Ernte. Die Witterungsbedingungen stellen uns Landwirte in diesem Jahr vor große Herausforderungen", so der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied. Die ungewöhnlich starken Niederschläge der vergangenen Monate hätten in vielen Regionen zu Überschwemmungen und Staunässe geführt. Später sei dann Pilzbefall dazu gekommen.

Rukwied verteidigt daher den umstrittenen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, um die Ernte zu sichern. "Es ist daher dringend notwendig, dass uns Landwirten eine breite Palette von Wirkstoffen zur Verfügung steht." Wegen der ungewöhnlich feucht-warmen Witterung drohten etwa bei Kartoffeln noch Ernteausfälle. 

Damit deutet sich der nächste Konflikt zwischen Landwirtschaft und der Bundesregierung an. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat ein "Zukunftsprogramm Pflanzenschutz" gestartet. Hier soll mit Bundesländern und Verbänden über einen künftig reduzierten Einsatz von Pestiziden gesprochen werden. Konkret will das grün-geführte BMEL die Mittel um 50 Prozent reduzieren.

Der Bauernpräsident hält dagegen: "Unser Ziel ist es, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln noch weiter zu reduzieren. Das geht aber nur über technische und innovative Lösungen und nicht über pauschale ordnungsrechtliche Vorgaben", so Rukwied. "Der hohe Schädlings- und Pilzdruck in diesem Jahr zeigt erneut, dass es ohne Pflanzenschutzmittel nicht geht, weder im Konventionellen noch im Öko-Anbau. Die aktuellen Pläne des BMEL zum Pflanzenschutz gehen deshalb in die gänzlich falsche Richtung."

Die Landwirte zeigen sich also auch für die Zukunft konfliktbereit. Für die nächsten Wochen der Ernte hoffen sie jetzt aber zunächst auf ruhiges Sommerwetter und viel Sonnenschein.



WDR hier 02.07.2024,

Landwirtschaft: Klimawandel macht Rekordernten in Zukunft unwahrscheinlich

Der Klimawandel bleibt für die Landwirtschaft nicht folgenlos. Experten erklären, was man tun kann und worauf man sich einstellen muss. Rekordernten wird es wohl kaum noch geben.

Die zuletzt starken Niederschläge in Deutschland gefährden nach Einschätzung des Bauernverbands die Ernte in Deutschland. Beim Getreide werde man mit rund 42 Millionen Tonnen das Vorjahresergebnis knapp verfehlen, sagte Verbandspräsident Joachim Rukwied am Montag bei einem Betriebsbesuch in Frankfurt. Landwirtschafts-Experten erklären im WDR-Gespräch, welche Klimafolgen zu erwarten sind und was man tun kann.

Mehr Nach- als Vorteile durch klimatische Schwankungen

Während der Bauernfunktionär Rukwied angesichts von Überschwemmungen, Hochwasser und Staunässe bei steigenden Temperaturen mehr Pflanzenschutzmittel einsetzen will, um etwa die Kartoffel vor Kraut- und Knollenfäule zu schützen, sehen Experten viel größere Herausforderungen auf seinen Berufsstand zukommen.


Von Jahren mit Rekordernten wird man sich verabschieden müssen.

Professor Harald Laser von der Fachhochschule Südwestfalen


Einig sind sich alle, dass die extremeren klimatischen Schwankungen mit Extremwetterereignissen die landwirtschaftliche Produktion unberechenbarer machen und zu geringeren Erträgen führen können. Professor Harald Laser vom Fachbereich Agrarwirtschaft der Fachhochschule Südwestfalen weiß zwar, dass der Klimawandel auch Vorteile wie längere Vegetationsphasen mit sich bringt, aber unter dem Strich sei "der Schaden höher".

Experte Laser betont Bedeutung der Humuswirtschaft
Das mit Wasser gut versorgte Nordrhein-Westfalen treffe es nicht so hart wie andere Bundesländer. Aber mit Ernteeinbußen von 10 bis 20 Prozent müsse man rechnen, so Laser - je nachdem, was man anbaue. Man könne sich allerdings wappnen: Landwirte müssten vor allem ihre Bodenbearbeitung und die Fruchtfolgen anpassen. Nur Raps, Weizen und Gerste sei zu wenig - es brauche mehr Sorten.

Laser rät dazu, deutlich weniger zu pflügen und für mehr organisches Leben im Boden zu sorgen: 


"Es wird in Zukunft weniger Wasser geben, es wird trockener sein -
wie gehen wir damit um." 


Das ist laut Laser die entscheidende Frage. Die Antwort sei ein Boden, der Wasser gut aufnimmt und auch halten kann. Dafür brauche er vor allem viele Regenwürmer und eine dicke Humusschicht. "Eine vernünftige Humuswirtschaft ist das A und O", sagt Laser.

Trend geht zu mehr Roggen und weniger Weizen

Natürlich können auch genügsamere Pflanzen eine Lösung sein. So mag der "anspruchsvolle Weizen" weder regenarme noch regenreiche Jahre. "Roggen ist der genügsame kleine Bruder. Man muss davon abgehen, sich am Weizen zu orientieren", sagt Martin Schädler, Ökologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. Denn eins sei klar: "


Wir werden nicht aus weniger Wasser mehr Biomasse machen.
Da wird kein biologisches Wunder geschehen."
Also müsse man auf trockenresistentere Arten setzen.


Die Landwirtschaftskammer bestätigt, dass die Landwirte bereits reagiert hätten. So habe der Roggenanbau 2016 in NRW noch bei rund 16.500 Hektar gelegen, 2023 habe die Anbaufläche bereits 44.500 Hektar betragen. Die Fruchtfolge werde bereits erweitert oder angepasst, versichert Pressesprecher Jan-Malte Wichern. Der Weizen dominiert in NRW mit 23 Prozent der Anbaufläche aber noch eindeutig. Roggen liegt bei vier Prozent.


Das einzige, was sicher ist, ist, dass die Unsicherheit zunimmt.

Professor Harald Laser


Das handwerkliche Wissen, um ein hohes Ertragsniveau mit weniger Wasser zu halten, sei vorhanden, so Laser, der Landwirten empfiehlt, sich beraten zu lassen. Dr. Kirsten Florentine Weber vom Europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage sieht auch schnelle Möglichkeiten, um Klimafolgen einzudämmen: "Kurzfristig können Temperaturen und Feuchtigkeit durch künstliche Bewässerung angepasst werden." Langfristig verweist sie wie Schädler auf Sorten, die Trockenheit besser vertragen.

Chancen für Landwirtschaft durch Folgen des Klimawandels?

Durch die Folgen des Klimawandels ergeben sich vielleicht auch Chancen für die Landwirtschaft. So verweist Laser etwa auf den Sojaanbau in Ostwestfalen, den er vor 20 Jahren noch für ausgeschlossen gehalten hätte, der nun aber Realität ist. Zudem hätte er mit seinen Studenten in Soest schon erfolgreich Kichererbsen angebaut. Früher oder später werde es auch Erdnüsse geben. "Es gibt Arten, die wahrscheinlicher werden und solche, für die es schwieriger wird", sagt Laser.

Die Landwirtschaftskammer ergänzt, dass Betriebe immer wieder neue Wege und Kulturen im Anbau ausprobieren. So seien in NRW bereits Melonen angebaut worden. "Inwiefern der Anbau großflächig erfolgt, bleibt abzuwarten", so Wichern.

Professor Vanderborght fordert Nachhaltigkeit

Prognosen über die Zukunft der Landwirtschaft sind schwierig, weil man auch die Effizienz der Anpassungsprozesse abwarten muss, aber ein paar Dinge sind laut Laser recht sicher: "Verhungern werden wir nicht, aber Lebensmittel werden teurer, und der Konkurrenzkampf mit dem Ausland wird größer." Und weil Boden in Deutschland teuer sei und die Lohnkosten hoch, könne das für die Landwirtschaft insgesamt existenzbedrohend werden.

Um die deutsche Landwirtschaft zukunftstauglich zu machen, wird Nachhaltigkeit von entscheidender Bedeutung sein, sagt Professor Jan Vanderborght, Direktor des Instituts für Bio- und Geowissenschaften/Agrosphere des Forschungszentrums Jülich: "Langfristig müssen wir bedenken, dass kurzfristige Problembekämpfung den Klimawandel verstärken und weitere Sektoren wie den Gesundheitssektor beeinflussen kann.


Eine nachhaltige und ganzheitliche Herangehensweise ist entscheidend,
um langfristig die Resilienz der Landwirtschaft zu stärken und
die Auswirkungen des Klimawandels zu mindern
."    



Unsere Quellen:

Professor Harald Laser von der Fachhochschule Südwestfalen
Martin Schädler, Ökologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung
Professor Jan Vanderborght, Direktor des Instituts für Bio- und Geowissenschaften/Agrosphere des Forschungszentrums Jülich
Dr. Kirsten Florentine Weber vom Europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage
Landwirtschaftskammer NRW
Nachrichtenagentur dpa

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