Zeit hier Von Uwe Jean Heuser Aus der ZEIT Nr. 29/2024 3. Juli 2024
Gerade jetzt, da Verzicht zum politischen Kampfbegriff geworden ist, lohnt die Erkenntnis: Wer umweltgerecht lebt, wird glücklicher – vor allem, wenn der Staat dabei hilft.
Bsp. Bild links: Critical mass
Ja, momentan gibt es eine doppelte Klimakrise. Erstens ist da die fortschreitende Erderwärmung selbst, und zweitens wollen viele Menschen davon gerade nichts mehr hören. Ob in Brüssel oder Berlin: Politikerinnen und Politiker vermeiden das Thema aus Angst vor Volkszorn; der Stimmenverfall der Grünen und die Hinwendung junger Menschen zu populistischen Parteien sind ihnen eine Warnung. Klima gilt gerade als Verliererthema.
Darf man in dieser Zeit, die Ewigkeiten vom Anfang des Jahrzehnts entfernt zu sein scheint, als nichts die Politik so sehr bewegte wie die Erdrettung und Konzerne massenweise Besserung gelobten, überhaupt davon reden, dass es für den Einzelnen so etwas gibt wie Klimaglück? Davon, dass ein nachhaltiges Leben mehr Gesundheit und Ausgeglichenheit verspricht, mehr Eigenständigkeit und Selbstermächtigung?
Gegenfrage: Wann, wenn nicht jetzt? Es gilt die verbreitete Umweltdepression zu überwinden und sich klarzumachen: Stärker im Einklang mit der Natur zu leben, kann froh machen, cool sein und Gemeinschaftserlebnisse schaffen.
Das zeigt sich gerade beim aufgeladensten aller Ökohassbegriffe, dem Verzicht. Wenn der Staat oder – um es persönlich zu machen – Klimaminister Robert Habeck den Menschen rät oder ihnen gar abverlangt zu verzichten, dann ist hasserfüllter Widerstand garantiert. Weniger Fleisch grillen? Tempolimit akzeptieren? Fossile Heizungen austauschen? Oh no! Da werden viele trotzig, legen ein Steak mehr auf, geben extra Gas auf der linken Spur und sichern sich – wie 2023 über hunderttausendmal geschehen – noch schnell eine neue Ölheizung, obwohl die sich langfristig als teuer erweisen dürfte.
Aber es gibt auch den anderen Verzicht, zu dem sich jeden Tag Millionen Menschen freiwillig überwinden. Ständig entsagen sie einer Sache, lassen das Auto stehen, begrenzen ihre Bildschirmzeit, setzen auf Diät oder ernähren sich vegan. In der Fastenzeit verzichten sie auf Alkohol oder Schokolade, im Ramadan aufs Essen bei Tageslicht. Wenn sie dabei erfolgreich sind, erfüllt sie das mit Stolz. Und diese Art der Disziplin lässt Menschen oft zu sich kommen und gesünder, ausgeglichener, zufriedener werden.
Das gilt auch für den Gang durchs Einkaufszentrum. Verbraucher würden froher, wenn sie hier und da verzichten, sagt der Konsumforscher Ingo Balderjahn – sofern sie nicht an der Existenzgrenze leben und ohnehin nur das Nötigste kaufen können. Der freiwillige Verzicht verschaffe ihnen das Gefühl, selbstbestimmter und unabhängiger zu leben. Etwa 15 Prozent der Bundesbürger handelten so, und meistens zum eigenen Vorteil: "Viele, die weniger konsumieren, als sie sich finanziell leisten könnten, vermissen erst mal nichts und werden in der Tendenz zufriedener mit ihrem Leben", so der Potsdamer Seniorprofessor.
Forscher der südenglischen Universität von Surrey stützen das mit ihrem Ergebnis, dass Materialismus die Menschen daran hindert, sogenannten Flow zu erleben. Wer besonders viel Wert legt auf Geld und Konsum, tut sich demnach schwer, ganz in seinen Aktivitäten aufzugehen und entsprechend anhaltende Glücksgefühle zu erleben.
Noch konkreter hat es eine Studie aus der Nachhaltigkeitsgruppe der Uni Basel benannt: Demnach wurden Menschen in der Schweiz durchschnittlich zufriedener, nachdem sie das eigene Auto abgeschafft hatten. Das allerdings nur, wenn sie das ohne finanziellen Druck taten. Wer sich durch Geldmangel dazu gezwungen sah, verlor an Lebensfreude.
Sogar die Menschen im Herzen des Kapitalismus üben einen gewissen Verzicht – im Sinne des "ehrbaren Kaufmanns". Der Idee aus dem Mittelalter verschreiben sich heute noch viele Unternehmerinnen und Geschäftsführer. Dann verzichten sie auf mögliche Lohnkürzungen und geben ein paar Euro mehr aus für nachhaltige Rohstoffe, um das Vertrauen der Mitarbeiter und Kunden zu bewahren oder die Umwelt zu schonen.
Die wenigsten von uns sind beim Verzicht konsequent. Menschen erzählen stolz, dass sie dem Klima zuliebe kein Fleisch mehr essen, um gleich danach zu berichten, dass sie mit 250 über die Autobahn gebrettert seien. Oft stehen dem Gemeinwohl eben andere Regungen im Weg, wie Verhaltensforscher belegen. Was wir jetzt sofort bekommen können, hat einen extrem hohen Stellenwert gegenüber dem, was uns künftig an Belohnung winkt, wenn wir verzichten. Das Gewohnte zu verlieren, wirkt deshalb besonders bedrohlich.
Die Neigung, das Eigene mit dem zu vergleichen, was die anderen um uns herum haben, hilft ebenfalls nicht weiter: Soll ich wirklich S-Bahn fahren, wenn der Nachbar weiter jeden Morgen mit seinem Porsche zur Arbeit röhrt? Oft ist es verlockender, als Trittbrettfahrer zu warten, bis genug Mitmenschen verzichten. Und das wirkt beim Klima besonders verheerend, weil es niemand schnell und allein retten kann und es doch alle zusammen in einer Daueranstrengung versuchen müssen.
Da trifft es sich auch schlecht, dass die Deutschen ihre Mitmenschen egoistischer einschätzen, als sie sind. Nach einer zwei Jahre alten Studie des Bonner Briq-Instituts sind über 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger zum Verzicht für den Klimaschutz bereit, aber alle zusammen glauben, dass weniger als 60 Prozent freiwillig zurückstecken würden. Also tun sie weniger, als sie bei realistischer Kenntnis ihrer Mitmenschen unternehmen würden. Dabei sind sich Reich und Arm in ihrer Bereitschaft und ihrer Einschätzung erstaunlich einig.
Um aus der Falle herauszufinden, hilft ausgerechnet Egoismus, beziehungsweise das Streben nach persönlichem Glück. Folgt man etwa dem 2023 von Forschern aus Harvard und Berkeley aufgesetzten "Big Joy Project", dann machen schon kleine gute Taten ihre Urheber nachhaltig froher.
"Ich gebe mein Bestes und viele, die ich kenne, auch"
Die Wissenschaftler führen weitere kleine Maßnahmen auf, die unsere Zufriedenheit steigern sollen. Alltägliche Geschenke des Lebens zu notieren, für die man dankbar ist, gehört dazu. Sich all der Chancen bewusst zu werden, die in aktuellen Problemen stecken, wird ebenso genannt wie Mitmenschen regelmäßig wissen zu lassen, dass man an sie denkt. All das verbindet die Hirnforschung heute mit hoher Zufriedenheit. Aber als Allererstes fordert das Projekt seine mittlerweile 100.000 Teilnehmer eben auf: "Tun Sie eine Kleinigkeit, um jemand anderem zu helfen – oder der Welt." Und wie ließe sich der Welt besser helfen als durch Umweltbewusstsein, egal ob man mal Plastik vom Weg aufhebt, den Garten verwildern lässt oder ein altes Elektrogerät zum Recycling bringt. Die Tat könne winzig sein und auch nur ein paar Sekunden in Anspruch nehmen, schreiben die Projektverantwortlichen: "Die Freude für einen selbst ist groß."
Wem das alles zu gutmenschlich ist, der kann auch negativ ansetzen. Nicht nur schafft ein klimaignorantes Leben mit viel Fleischkonsum und dem Bewegungsmangel durchs viele Autofahren gesundheitliche Probleme, es verstärkt auch die psychische Belastung, die aus der ja doch vorhandenen Ahnung entsteht: Die Erde erwärmt sich, Arten sterben, und ich trage dazu bei. Noch konkreter wird das traurige Gefühl, wenn der eigene Lebensraum verändert oder zerstört wird.
Diese sogenannte Solastalgie führt vor allem dann zu Anspannung und Gereiztheit, wenn der Eindruck entsteht, dem Ganzen ausgeliefert zu sein. Und diese verspürte Ohnmacht lässt oft erst wieder nach, wenn man sich für die Erde engagiert – am besten mit anderen zusammen.
Anruf bei Eckart von Hirschhausen, dem Umweltaktivisten, Arzt und Entertainer. Der weiß gleich, wovon die Rede ist und gibt zu: "Natürlich ist es schwer, die Welt ehrenamtlich zu retten, solange andere sie hauptberuflich zerstören." Geht es um Klimagefühle, fallen auch ihm erst mal Angst und Ohnmacht ein, doch dann erinnert er sich an die "Gegengifte", nämlich selbst wirksam zu werden und mit anderen verbunden zu sein. Für ihn heißt Klimaglück: "Ich gebe mein Bestes und viele, die ich kenne, auch."
Dieses Glück sei relativ leicht zu finden, weil in der Gesellschaft "so unfassbar viele engagierte Frauen und Männer aller Generationen unterwegs sind, die einem Mut machen". Schnell werde in dieser Atmosphäre von Hilfsbereitschaft und Kooperation klar: "Das Thema gehört niemandem, weder einer Generation noch einer Partei oder Firma." In Vorträgen zeigt Eckart von Hirschhausen gerne ein Foto der 25 Menschen, die 1987 das Montreal-Protokoll zum Ende jener FCKW unterschrieben, die das Ozonloch auslösten. Jetzt sei es an uns heute, zu fragen, sagt er dann, über welche Leistungen des Jahres 2024 die Menschen in künftigen Jahrzehnten stolz sein könnten.
Aber es ist auch Sache des Staates, die Infrastruktur fürs Klimaglück bereitzustellen. Kopenhagen etwa nimmt den Menschen die Angst davor, auf dem Fahrrad angefahren zu werden. Rund die Hälfte des Pendelns findet dort auf Zweirädern statt. Durch die Stadt ziehen sich breite Fahrradwege, eigene Brücken führen übers Wasser, Extra-Parkhäuser stehen bereit.
Paris hat in der Innenstadt nicht nur mit Tempo 30 das Verkehrsgeschehen beruhigt, sondern mit der Kombination aus höheren Parkgebühren und dem Wegfall von Zehntausenden Parkplätzen für neue Grünflächen und für ein anderes Stadtgefühl gesorgt. Und von Tokio aus kann man derart oft, pünktlich und schnell mit dem japanischen ICE namens Shinkansen durchs Land fahren, dass nur wenige auf die Idee kommen, bei langen Fahrten lieber das Auto zu nehmen.
Die Politik kann eben nicht nur das klimaschädliche Leben teuer und schwierig, sondern auch die Alternative verlockend gestalten. Oder spaßig wie im Fall des nachhaltigen Kopenhagener Müllheizkraftwerks, auf dessen abfallendem Dach man Trockenski fahren und wandern kann. Oder sogar lohnend. In Norddeutschland etwa werden viele Windräder von Bürgergruppen selbst betrieben, deren Mitglieder mitbestimmen und daran verdienen.
Auch sonst können Gesetzgeber viel dafür tun, dass Menschen dort, wo sie sich für eine grüne Zukunft engagieren, mit Teilhabe und sogar Geld entlohnt werden. Noch zu oft lassen sie in Deutschland das Gegenteil zu, sodass man etwa dort, wo viel Sonnen- und Windenergie entsteht, auf den Strompreis besondere Kosten für den Netzausbau draufgeschlagen bekommt.
Klimaglück kann eben auch bedeuten, Mitglied einer Gesellschaft zu sein, die das umweltbewusste Leben leichter macht. Im aktuellen World Happiness Report liegen einmal mehr die Finnen und die Dänen vorn, und das liegt nicht nur wie im dicht besiedelten Deutschland oft vermutet daran, dass ihre beiden Länder mit jeweils knapp sechs Millionen Bürgern relativ klein sind. Sie fördern auch vehement Klimaschutz und Naturnähe und lassen die Menschen beides freudig erleben.
Was die skandinavischen Beispiele nahelegen, stützen Forscher von Oxford bis New York, von Ottawa bis Abu Dhabi mit ihren Studien darüber, wie Nachhaltigkeit und das Glück der Nationen zusammenhängen. Unisono kommen sie zum Schluss, dass zunächst zwar manche Klimaschutzmaßnahme die Bürger ungehalten macht. Aber auf die Dauer werden sie zufriedener, wenn ihr Land nachhaltiger wird. Das Ohnmachtsgefühl weicht einer neuen gemeinsamen Identität.
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