Sonntag, 28. Juli 2024

Solardorf Bracht: Wie ein Dorf in die Zukunft springt

hier Von Susanne Mayer   Veröffentlicht bereits am 13.12.23

Energiewende in Eigenregie

Solardorf Bracht: Wie ein Dorf in die Zukunft springt

Der Rauschenberger Ortsteil Bracht will schon bald Hessens erstes Solardorf sein. Mit einem besonderen Wärmespeicherprojekt meistern die Einwohner die Energiewende in Eigenregie - und hängen andere Städte und Gemeinden in Sachen Klimaschutz ab.

...Um zügig voranzukommen, helfen viele Ehrenamtliche mit. Auch Hermann Koch von der Arbeitsgemeinschaft Solarwärme Bracht engagiert sich für die Energiewende in Eigenregie. Er ist Mitglied in der eigens für die Wärmeversorgung gegründeten Genossenschaft.

Der Genossenschaftsanteil liegt bei rund 6.000 Euro.

Er mache das für seine Enkel, sagt Koch. "Ich selbst habe nichts mehr davon, ich muss es höchstens bezahlen. Aber wenn wenn wir es nicht machen, wer dann?"

Die meisten heizen mit Öl

Koch spricht von einem in Deutschland einmaligen Wärmespeicherprojekt: Schon in zwei Jahren will der Ort das erreichen, was im Klimaschutzgesetz bis 2045 verankert ist: Klimaneutralität. Dabei spielt auch für die Menschen in Bracht nicht nur der Klimaschutz eine Rolle, auch steigende Heizkosten und die Inflation erhöhen den Druck nach Alternativen zum herkömmlichen Heizen.

Die meisten Haushalte im Dorf heizen derzeit mit Öl. Ab voraussichtlich dem Jahr 2026 dürfen aber keine neuen Ölheizungen mehr eingebaut werden - nach derzeitigen Plänen der Ampel-Regierung sogar schon ab 2024. Mögliche Alternativen zum Öl wären zum Beispiel Wärmepumpen oder Pelletheizungen. Die müsste sich jeder Haushalt dann aber selbstständig einbauen und bezahlen.

Solarfeld heizt Grubenspeicher auf

Konkret sieht das Vorhaben in Bracht so aus: Das Dorf verabschiedet sich nach und nach von den Ölheizungen. Ein großes Solarfeld soll nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Solarwärme Bracht die Haushalte stattdessen in naher Zukunft beheizen. 

Die Solarkollektoren, die auf dem Feld stehen, werden in den sonnenreichen Monaten Wasser in einem unterirdischen Grubenspeicher erhitzen. Der Speicher fasst rund 16.600 Kubikmeter Wasser, etwas mehr als sechs große 50-Meter-Schwimmbecken.
Selbst in der kalten Jahreszeit soll der gut gedämmte Erdspeicher genügend warmes Wasser für das Dorf bereitstellen. Dieses soll dann über ein neues, zehn Kilometer langes Leitungsnetz in die Häuser fließen.

Künftig sollen in Bracht rund 200 Haushalte mit Wärme aus Solarenergie versorgt werden. 98 Prozent der CO2-Emissionen im Wärmebereich könnten so eingespart werden. Bislang beteiligen sich rund 180 Haushalte an dem Genossenschaftsmodell. Das vom Land geförderte Großprojekt in Bracht kostet 16,5 Millionen Euro.

Uni Kassel: Häuser dämmen dauert zu lange

Die Idee eines Nahwärmenetzes über Solarthermie in Deutschland ist noch recht jung.
Professor Klaus Vajen, der an der Universität Kassel das Fachgebiet Solartechnik leitet, ist von dem Projekt aber überzeugt. "Das ist ein Modernisierungsschub für Bracht um 20 Jahre nach vorne, also 20 Jahre der Zeit voraus", sagt Vajen. "Hier wuppen Ehrenamtler ein Leuchtturmprojekt." Es gebe bereits weitere Kommunen, die sich für das Projekt interessierten.

Die Uni Kassel begleitet das Wärmespeicherprojekt, das auch vom Land Hessen unterstützt wird. Zu Beginn der Planungen seien allerdings Zweifel aufgekommen, ob man die Klimaziele nicht viel günstiger erreichen könne, zum Beispiel indem man alle Häuser dämmt. Berechnungen ergaben der Uni zufolge aber, dass die Kosten zwar identisch sind. Der Unterschied liege aber darin, dass es Jahrzehnte dauern würde, jedes Haus einzeln zu sanieren. "Die Solaranlage schafft dagegen die minus 98 Prozent CO2 innerhalb von zwei Jahren", so Vajen.

Regionale Wertschöpfung, die vor Ort bleibt

Der zu erwartende Energiepreis, wenn die Anlage in Betrieb ist, wird nach jetzigem Stand bei 16,5 Cent je Kilowattstunde liegen, damit liegt er etwas über dem von Gas- und Ölheizungen. Klaus Pfalz von der Arbeitsgemeinschaft Solarwärme ist trotzdem dabei: "Ich habe eine erneuerbare Energiequelle, ich muss nicht mehr von fossilen Brennstoffen abhängig sein und mit dem Geld, dass vorher in die weite Welt gegangen ist, wurde ja auch viel Blödsinn gemacht." In Bracht handele es sich um eine regionale Wertschöpfung, die vor Ort bleibe. "Da ist nicht der letzte Cent Wärmepreis entscheidend", so Pfalz.

Verloren im Behörden- und Förderdschungel

Die Solar-Pioniere aus Mittelhessen müssen sich auch erstmal im Behörden- und Förderdschungel zurechtfinden. "Hier hängt es an vielen Dingen, an denen man manchmal verzweifeln kann: Warum geht das jetzt nicht vorwärts, wann gibt es eine Baugenehmigung, wann gibt es diese oder jene Entscheidung?", kritisiert Pfalz. Er würde sich wünschen, dass sich vieles beschleunigen würde.

Auch Rauschenbergs Bürgermeister Michael Emmerich (CDU) hatte schon den Förderdschungel beklagt. "Das ist ein Universum für sich", sagte er. Doch schon bald soll in diesem ein Leuchtturm des Klimaschutzes stehen.


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Solarwärme Bracht eG Stadtteile Bracht | Bracht-Siedlung 

Das technische Konzept: 84 Prozent Erneuerbare Energie! 80 Prozent weniger CO₂!

Aufbauend auf früheren Überlegungen wurde das solare Wärmeversorgungskonzept für Bracht innerhalb einer Machbarkeitsstudie durch die Uni Kassel entwickelt.
Die Überprüfung der technischen Funktion des Wärmeversorgungssystems, bestehend aus solarthermischer Freiflächenanlage, Saisonalspeicher, Wärmepumpe, Blockheizkraftwerk, Holzkessel und Pufferspeicher, erfolgte mithilfe von Simulationen. Der solare Deckungsanteil des Systems liegt bei ca. 70% und aufgrund des zusätzlichen Holzeinsatzes der EE-Anteil bei insgesamt ca. 84%. 

Verglichen mit anderen klimafreundlichen Wärmeversorgungsoptionen, sind die Wärmekosten der solaren Wärmeversorgung absolut konkurrenzfähig. Darüber hinaus gibt es aus Klimaschutzsicht jedoch noch einen wesentlichen Vorteil: Die in der Wärmeversorgung auftretenden CO2-Emissionen können innerhalb kürzester Zeit um etwa 80% gesenkt werden. Allein mit umfassenden Sanierungsmaßnahmen in den jeweiligen Häusern wäre das dagegen nicht zu erreichen!

Die wesentlichste Kostenreduktion ergab unter anderem die veränderte technische Ausführung und Verkleinerung des Saisonalspeichers. Anstelle der zu Beginn geplanten Stahlbauweise ist jetzt ein Grubenspeicher dänischer Bauart vorgesehen. Dieser wird ca. 20.500m³ umfassen und im Erdreich eingelassen sein, siehe Bild.


Bild 1: Aufbau eines Grubenspeichers, IFOK


Bild 2:  Grubenspeicher Dronninglund (DK) mit 62.000 m³, https://planenergi.eu/activities/district-heating/seasonal-heat-storage

Aufgrund ihrer Verbreitung in Dänemark gehören Grubenspeicher bereits zum Stand der Technik. Auf den Fotos ist der Speicher in Dronninglund dargestellt, der ein Volumen von 62.000 m³ aufweist. Der in Bracht angedachte Speicher umfasst dagegen rund 20.500 m³, was immerhin etwas mehr als 8 Olympia-Schwimmbecken (je 2.500m³ bzw. 50m x 25m x 2m) entspricht. Die Wärmeverluste großer Saisonalspeicher sind aufgrund ihrer Größe und Geometrie trotz des geringen Einsatzes von Dämmmaterial verhältnismäßig niedrig. 

Bild 3: Grubenspeicher vor der Befüllung mit Wasser (Dronninglund, DK), https://planenergi.eu/activities/district-heating/seasonal-heat-storage/

Der Saisonalspeicher in Bracht wird im aktuellen Konzept ausschließlich mit der Wärme der solarthermischen Freiflächenanlage (Kollektorfläche ca. 12.900 m²) gespeist. Auch Solaranlagen dieser Größenordnung gehören schon zum Stand der Technik und kommen vor allem in Dänemark häufig in der Fernwärmeversorgung zum Einsatz. Durch die Einbindung einer Wärmepumpe, die den saisonalen Wärmespeicher als Wärmequelle nutzt, wird die Auskühlung des Speichers deutlich verbessert, so dass dieser kleiner ausfallen kann. Die Nutzung der Wärmepumpe erfordert eine möglichst kostengünstige Stromquelle. Hier war bislang ein Blockheizkraftwerk (BHKW) geplant, dieses werden wir nicht mehr einsetzen, sonder kaufen Grünstrom aus dem Netz. Eine PV-Anlage auf dem Dach des Technikgebäudes und am Wall des Speichers, sollen zur Eigenstromnutzung installiert werden.

Gleichzeitig wird – auch über den Holzkessel, der nach Bedarf betrieben wird – weitere Erneuerbare Energie eingebunden. Der Holzkessel erfüllt außerdem eine Sicherheits-Funktion für den Fall, dass ein anderer Wärmeerzeuger ausfallen sollte (z.B. durch Wartungsarbeiten). Zusätzlich ist auch ein Pufferspeicher 400m³ vorgesehen, um die bereitgestellte Wärme kurzzeitig auf dem Temperaturniveau des Nahwärmenetzvorlaufs speichern und die Wärmeerzeuger effizienter betreiben zu können. 

In der Urplanung war ebenfalls noch ein Gasspitzenlastkessel geplant, auf dem wir ebenfalls verzichten. Somit sind wir zu 100% regenerativ.


Die Deckungsanteile der einzelnen Technologien an der Wärmebereitstellung wurden mit Hilfe von Simulationen berechnet und setzen sich übers Jahr gesehen wie folgt zusammen.

Bild 5: Deckungsanteile an der Wärmebereitstellung bei zentraler Solarwärme, Fachgebiet für Solar- und Anlagentechnik der Universität Kassel.


Durch Wegfall des BHKW wird der Holkessel den Anteil des BHKW übernehmen.


Der Vergleich mit bestehenden Anlagen in Deutschland und Dänemark zeigt, dass in Dänemark bereits deutlich mehr (ca. 124) und größere Anlagen zur solaren Fernwärmeversorgung als in Deutschland (ca. 43) existieren. Der solare Deckungsanteil liegt bei der Versorgung von bestehenden Siedlungen jedoch maximal bei 50%. Mit einem solaren Deckungsanteil von rund 70% wäre das Wärmeversorgungskonzept für Bracht daher äußerst innovativ und ein bedeutsamer Schritt für die Wärmewende im ländlichen Raum.


Bild 6: Solare Wärmenetze in Deutschland und Dänemark im Vergleich, Fachgebiet für Solar- und Anlagentechnik der Universität Kassel

Hausanschlüsse

Die Haushalte werden durch zwei hochwärmegedämmte Rohrleitungen [Vor- und Rücklauf] an das Nahwärmenetz angeschlossen. Dafür werden Leitungen über eine Wandbohrung und eine Wärmeübergabestation an die bestehende Hausinstallation angeschlossen.

Neben der Einrichtung der Übergabestation ist auch ein hydraulischer Abgleich am Heizungssystem gebäudeseitig erforderlich, um möglichst geringe Rücklauftemperaturen innerhalb des Nahwärmenetzes zu erreichen und so die Effizienz zu steigern. 

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