Energiewende: Die Strombilanz für das erste Halbjahr 2024 zeigt weniger Verbrauch und fallende Preise. Allerdings hinkt der Ausbau der Windkraft weiter den Regierungsplänen hinterher
Schickt keine Rechnung: Die Sonne liefert in Deutschland dank Photovoltaik inzwischen 15 Prozent des Stroms
Folgender Anzeigentext ist jetzt 31 Jahre alt: „Regenerative Energien wie Sonne, Wasser oder Wind können auch langfristig nicht mehr als 4 % unseres Strombedarfs decken.“ Das jedenfalls behauptete die deutsche Stromwirtschaft im Jahr 1993. Wie schief sie damit lag, lässt sich an der Strombilanz des ersten Halbjahres 2024 ablesen: Sonne, Wasser und Wind haben mehr als die Hälfte des in Deutschland verbrauchten Stromes produziert – 58 Prozent. Die Zahlen teilte wiederum die deutsche Stromwirtschaft mit – übrigens ohne eine Entschuldigung für die krasse Fehleinschätzung damals.
„Insbesondere Photovoltaikanlagen produzierten deutlich mehr Strom als im Vorjahr – auch dank des Rekordzubaus im Jahr 2023“, heißt es in der Mitteilung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Tatsächlich wurden im vergangenen Jahr insgesamt 15.300 Megawatt Solarstrom-Leistung neu ans Netz angeschlossen. Der bisherige Rekord stammte aus dem Jahr 2012: Damals waren 8.000 Megawatt neu aufgebaut worden. Ein Wert, der mit Sicherheit auch in diesem Jahr übertroffen werden wird: In den ersten sechs Monaten 2024 betrugt der Zubau bereits 7.300 Megawatt, nach den Regierungsplänen sollen es bis zum Jahresende 13.000 werden.
In Bremen trat Anfang Juli ein neues Solargesetz in Kraft. Danach muss bei einer Dachsanierung eine Photovoltaikanlage installiert werden. Allerdings gibt es Ausnahmen, etwa wenn der Bau technisch schwierig oder wirtschaftlich unzumutbar ist. Auch Dächer mit weniger als 25 Quadratmetern Fläche sind befreit. Ähnliche Gesetze gibt es bereits in Berlin, in Brandenburg und Baden-Württemberg, in vielen anderen Bundesländern schreiben Gesetze Solaranlagen auf öffentlichen Gebäuden oder Gewerbeimmobilien vor.
China subventioniert deutsche Stromwende
Allerdings ist eine solche Pflicht offensichtlich gar nicht notwendig, wie das Ausbautempo zeigt. „Momentan läuft der solare Ausbau in Deutschland auch deshalb so gut, weil die Module aus China extrem billig geworden sind“, urteilt Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Es gebe im Reich der Mitte gigantische Überkapazitäten, die Solarwirtschaft werde vom Staat subventioniert, so Quaschning: „Im Grunde bedeutet das: Der chinesische Staat subventioniert die deutsche Energiewende.“
Allerdings nur den solaren Teil: Der Ausbau der Windenergie kommt in Deutschland weiterhin nicht voran. Das offizielle Regierungsziel für dieses Jahr liegt bei 6.200 Megawatt neu aufgestellter Windräder, in den ersten sechs Monaten gingen aber gerade einmal Anlagen mit 900 Megawatt ans Netz. Bereits im vergangenen Jahr wurde das Regierungsziel nicht erreicht: Obwohl die Bundesregierung 9.000 Megawatt erreichen wollte, kamen nicht einmal 3.600 Megawatt Wind-Leistung neu hinzu. „Die Genehmigungsverfahren sind immer noch viel zu sperrig“, erläutert Volker Quaschning.
Trotzdem ist die Windenergie mittlerweile die wichtigste Stromquelle hierzulande: Im ersten Halbjahr produzierte sie ein Drittel des in Deutschland verbrauchten Stromes. Die Verstromung von Braunkohle trug zu 15,6 Prozent bei, danach folgt schon die Photovoltaik mit 15,1 Prozent. Aus Erdgas wurden 12 Prozent des deutschen Stromes hergestellt, die Wasserkraft trug mit 4,9 Prozent bei.
Stromverbrauch ist weiter gesunken
Der Anteil der fossilen Energieträger geht also weiter zurück: Im ersten Halbjahr 2023 lag er nach Erhebung des Fraunhofer-Instituts ISE noch bei 39,6 Prozent, in diesem Halbjahr bei 35,0 Prozent. Neben dem weiteren Ausbau der Erneuerbaren hat zu dieser Entwicklung auch der Rückgang des Stromverbrauches geführt: Gegenüber dem Vorjahreszeitraum wurde in der Bundesrepublik knapp fünf Prozent weniger Elektrizität verbraucht. Das liegt vor allem an der Schwächephase der deutschen Industrie, ist allerdings kein rein deutsches Phänomen – auch in anderen EU-Staaten ging der Stromverbrauch zurück.
Das hat auch Auswirkungen auf den Strompreis. An den Börsen sank der Preis in der sogenannten „Day Ahead-Auktion“ – gehandelt wird für den nächsten Tag – von 100,54 Euro pro Megawattstunde auf 67,94 Euro. Zwar hat das keine unmittelbare Wirkung auf unsere Haushaltsstrompreise. „Der Effekt von sinkenden Börsenstrompreisen wird sich aber mittelfristig in Strompreisen von privaten und industriellen Endkunden zeigen“, erklärt Bruno Burger, leitender Wissenschaftler am Freiburger Fraunhofer-Institut ISE.
Stark rückläufig war auch der Preis für Erdgas an der Börse, der von 44,99 Euro je Megawattstunde auf 29,71 Euro sank. Strom und Gas nähern sich damit weiter dem Preisniveau in den Jahren vor dem Ukrainekrieg an.
58 Prozent Strom aus Erneuerbaren im ersten Halbjahr – kann es also gelingen, die deutsche Stromproduktion bis zum Jahr 2030 zu mindestens 80 Prozent regenerativ aufzustellen? Das nämlich ist amtliches Regierungsziel. Nach Regierungsvorgaben sollen deshalb von 2026 an jährlich 22.000 Megawatt Wind und Solar neu zugebaut werden. Dafür braucht es eine Infrastruktur, die es heute so noch nicht gibt: mehr Lieferanten, mehr Händler, mehr Installateure und Behörden, die den Zubau managen. Und es braucht einen schnelleren Netzausbau, der den regenerativen Strom dorthin transportiert, wo er gebraucht wird. BDEW-Chefin Kerstin Andreae: „Genauso wichtig wie der Erneuerbaren-Ausbau sind die entsprechenden Infrastrukturen. Denn grüner Strom bringt uns nichts, wenn er nicht genutzt werden kann.“
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