Regio-TV hier als Video Mi, 03.07.2024
Spektakuläre Protestaktion: Klimaaktivisten beziehen Stellung
Drei Klimaaktivisten haben gestern für Aufsehen gesorgt. Sie waren auf den Turm des Ulmer Münsters geklettert und hatten dort auf 70 Metern Höhe ein großes Protestbanner aufgehängt. Ihr Ziel war es, mit der Frage „Wäre Jesus Klimaaktivist?“ auf den Klimawandel aufmerksam zu machen. Nun äußern Sie sich erstmals zu der Aktion.Schwäbische Zeitung hier 03.07.2024 Philip Hertle
Großeinsatz am Ulmer Münster: „Würden für unsere Strafe pleitegehen“: Klima-Kletterer verteidigen Aktion
„Wäre Jesus Klimaaktivist?“: Die Antwort auf die Frage der Klima-Aktivisten ist Ja. Aber um welchen Preis? Ihre Banner-Aktion löste einen Großeinsatz aus - auch der Münsterdekan übt harsche Kritik.
Die Kletterer um Aktivist Samuel Bosch sehen sich im Recht. Der Münster-Dekan kritisiert den Aktivismus hingegen scharf. An der Kirche könnten Schäden entstanden sein.
Mit ihrer Kletteraktion am Ulmer Münster haben drei Klimaaktivisten rund um den bekannten Aktivisten Samuel Bosch am Dienstagmorgen einen Großeinsatz ausgelöst. Nachdem diese ihr riesiges Banner mit der Aufschrift „Wäre Jesus Klimaaktivist?“ auf rund 70 Metern am höchsten Kirchturm der Welt ausgerollt hatten, wurden die drei nach Stunden schließlich vom SEK vom Kirchturm geholt. Unten angekommen, wurden sie vorläufig festgenommen.
Am Nachmittag waren die Kletterer Bosch (21 Jahre), Lino Krüger (23, Künstlername) und Tara Novác (19, Künstlername) sowie drei weitere Mitglieder der Aktivistengruppe wieder auf freiem Fuß. Die Ermittlungen wegen Hausfriedensbruchs sind laut Polizei inzwischen eingeleitet. Zunächst sei geplant gewesen, dass die Aktivisten bereits am heutigen Mittwoch in einem beschleunigten Verfahren ihre Strafe bekommen.
Kein beschleunigtes Gerichtsverfahren
„Das haben sie jetzt aber doch gelassen, weil unser Anwalt ein sehr gutes Schreiben eingelegt hat“, zeigt sich Samuel Bosch am Abend der Kletteraktion erleichtert. „Der einzige Grund für ein beschleunigtes Verfahren wäre gewesen, dass wir uns nicht gescheit verteidigen können“, glaubt Bosch. Das sei durch das anwaltliche Einschreiten nun allerdings ohnehin vom Tisch.
Stattdessen werde es zu einem gewöhnlichen Verfahren kommen, teilten die Aktivisten mit. „Dabei können, anders als im beschleunigten Verfahren, nicht nur die Staatsanwaltschaft, sondern auch die Angeklagten Beweisanträge stellen und vorab die genauen Vorwürfe erfahren“, heißt es von der Gruppe.
Aktivisten würden für Botschaft in Konkurs gehen
Polizei, DRK, Feuerwehr, später das SEK: Das Aufgebot an Einsatzkräften war groß am Dienstagmorgen. Noch ist allerdings nicht klar, inwiefern die Kosten für den Einsatz auf die Aktivistengruppe umgelegt werden könnten - zwischenzeitlich war von einem Betrag „im fünfstelligen Bereich“ die Rede.
Selbst, wenn wir die Kosten tragen müssen, ist es das für unsere Botschaft wert
Samuel Bosch
„Selbst, wenn wir die Kosten tragen müssen, ist es das für unsere Botschaft wert“, erklärt Bosch, der in diesem Jahr wegen eines Protestbanners bereits in Jugendarrest saß. Für den „Erhalt unserer Lebensgrundlagen“ sei der Einsatz jeden Cent wert.
„Wir würden dafür auch eine Million Euro zahlen und für immer pleitegehen“, so Bosch. Auf die Frage, woher die Gruppe das Geld nehmen würde, lautet die Antwort: von Erspartem, aus Spenden - oder eben dem Konkurs.
Jetzt sind sie trotzdem da oben. Ich fühle mich schon ein bisschen veralbert.
Torsten Krannich
20 bis 30 Mitglieder sollen die Aktion gemeinsam vorbereitet haben, erklärt Bosch. Wie er, der nebenbei als Baumpfleger tätig ist, haben auch seine beiden Mit-Kletterer ihr Leben dem Klima-Aktivismus gewidmet. Lino Krüger studiert Politikwissenschaften. „Aber auch nur eher so nebenbei“, wie er betont. „Mein Hauptfokus liegt definitiv auf dem Aktivismus. Jetzt ist die Zeit, zu handeln“, meint er. „Ich sehe gerade nicht die Dringlichkeit, ein Studium oder eine Ausbildung anzufangen, weil mir so unfassbar wichtig ist, dass die Politik etwas verändert“, erklärt Tara Novác.
Münster-Dekan kritisiert die Aktion scharf
„Als Erstes dachte ich: Nein, ihr seid doch völlig irre“, sagte Torsten Krannich, Dekan des Ulmer Münsters, noch während die Aktivisten in 70 Metern Höhe angeseilt am Münsterturm hingen. Nachdem der erste Versuch der Gruppe, ihr Banner an der Kirche anzubringen, in der Vorwoche gescheitert war, habe er Kontakt zur Aktivistengruppe aufgenommen.
Noch am Morgen der nun umgesetzten Kletteraktion wollte er der Gruppe eine Mail mit einem Gesprächstermin zukommen lassen. So weit kam es aber nicht. „Jetzt sind sie trotzdem da oben. Ich fühle mich schon ein bisschen veralbert“, betonte der Dekan am Dienstagmorgen mit leichtem Galgenhumor.
Ist das Tischtuch jetzt zerschnitten?
„Für uns als Kirche ist natürlich dieses Thema Klimaschutz ein ganz zentrales Thema“, stellte Krannich klar. Das Ziel scheint Kirche und Aktivisten zwar zu einen; doch der Weg dorthin könnte unterschiedlicher nicht sein. „Schwierig wird es, wenn sie durch solche Aktionen mehr zerstören, als sie Gutes tun“, so Krannich. „Sie schaffen viel Frust.“
Krannich kritisierte das „Heile-Welt-Motiv“, das der Schriftzug „Wäre Jesus Klimaaktivist?“ projiziere. „Unsere Welt wird, auch wenn ich sonst wie sie Klimaschutz betreibe, nie heile Welt sein können“, betonte er. „Sie haben eine paradiesische Weltvorstellung: So würde Jesus agieren, um das Paradies hervorzurufen“, fasst Krannich zusammen. „Das finde ich in der Bibel nicht.“
„Jesus wäre mit uns aufs Münster gestiegen“, glaubt hingegen Lino Krüger. Die Anfrage zur Genehmigung, das Banner aufzuhängen, soll es vorab nicht gegeben haben. „Wir sind jetzt dran zu organisieren, dass ähnliche Banner an Gemeindehäusern oder Kirchen platziert werden“, so Bosch. Ganz offiziell.
Haben die Aktivisten Beschädigungen am Münster verursacht?
„Das Münster ist keine Kletterarena“, hielt hingegen der Dekan fest. Die Klimaaktivisten könnten durch das Banner und die Sicherheitstechnik möglicherweise Teile der Fassade beschädigt haben. Lino Krüger streitet das ab. „Wir haben vorher mit einem Steinmetz ausführlich über alle Details am Münster gesprochen“, erklärt er. Deshalb hätten die Kletterer ausreichend Kantenschutz angebracht, um die feinen Verzierungen am Münster nicht zu beschädigen.
Ganz ausgeschlossen sind Beschädigungen aber nicht. Klar werde das erst in den kommenden Tagen, wie es auf Nachfrage beim Münsterbauamt heißt. Der wöchentliche Rundgang des Hüttenmeisters sei aktuell noch nicht abgeschlossen. Erst kommende Woche könne gesagt werden, ob die Kletteraktion Spuren am Münster hinterlassen hat.
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