Dienstag, 9. Juli 2024

Umweltschutz: Mehr Moor wagen

Süddeutsche Zeitung hier 27. Juni 2024,Von Vera Schroeder

Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina drängt dazu, schnell das Wasser in trockengelegte Moore und vom Flusslauf getrennte Auen zurückzuholen – und erklärt auch gleich, wie das gelingen kann.

Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hat eine 132-seitige Stellungnahme inklusive Handlungsempfehlung zu der Zukunftsaufgabe veröffentlicht, Moore und Auen in Deutschland umfassend wiederherzustellen. 

Ein solcher großflächiger landschaftlicher Umbau, der von der Dimension her als immense Herausforderung erscheint, rückt damit einen Schritt näher Richtung Realität. Die Leopoldina ist eine der angesehensten Wissenschaftsakademien weltweit, die sich ausschließlich mit gesellschaftlich relevanten Fragen und unabhängiger wissenschaftsbasierter Politikberatung beschäftigt. Man könnte auch sagen: Sie beschäftigt sich mit Themen, die auch wirklich wichtig sind.

Moore und Auen sind in Deutschland Landschaften, die durch die Industrialisierung stark verändert wurden. Ihr derzeitiger Zustand ist schlecht. 


Aus den zu weit über 90 Prozent entwässerten Mooren,
die vor allem in landwirtschaftlicher Nutzung sind
und einer Fläche des Bundeslands Sachsen entsprechen, entweichen große Mengen CO₂. 

Nahezu alle Auen,
also ehemalige Überflutungsgebiete entlang der Flüsse,
sind für Landwirtschaft, Schifffahrt und Siedlungswachstum eingedeicht und vom Fluss abgetrennt worden. 

Sie haben dadurch viele ursprüngliche Fähigkeiten verloren, etwa Hochwasser abzupuffern oder die Wasserqualität und das lokale Klima zu verbessern.

In Zeiten der großen Umweltkrisen sind diese Eigenschaften jedoch wichtiger denn je. Beide Landschaftstypen können in einem renaturierten Zustand entscheidende sogenannte natürliche Dienstleistungen zu Klima- und Biodiversitätskrise beitragen.

Neben rechtlichen Hürden tauchen vor allem Fragen nach Besitzverhältnissen und Kosten auf

Klimaneutralität und nachhaltiger Biodiversitätsschutz seien jedoch nicht nur ambitionierte politische Ziele, betont die Leopoldina. Deutschland sei qua Grundgesetz sowie einer Vielzahl europäischer und internationaler Abkommen rechtlich auf beide Ziele verpflichtet. Um diese in nur wenigen Jahrzehnten zu erreichen, sei deshalb ein grundlegendes Umdenken im Management von Wasserressourcen in der Landschaft notwendig.

Dabei macht die Stellungnahme mit dem Namen „Klima – Wasserhaushalt – Biodiversität: Für eine integrierende Nutzung von Mooren und Auen“ bei der Zustandsbeschreibung und der grundsätzlichen Handlungsempfehlung nicht halt. Kapitel für Kapitel werden die verschiedenen Fragen zur Umsetzung einer weiträumigen Transformation deutscher Moore und Auen diskutiert.
Neben rechtlichen Hürden tauchen dabei vor allem Fragen nach Besitzverhältnissen und Kosten auf. Lösungswege werden skizziert, etwa wie man Landwirte für die Transformation durch veränderte Anreizstrukturen gewinnen könnte.

Alternative Nutzungsideen werden ebenso vorgestellt wie bereits bestehende Programme sowie bürokratische und strukturelle Zuständigkeiten. Da für die fristgerechte Umsetzung in erster Linie die Bundesländer zuständig sind, stellt sich die Frage nach notwendigen Prüfverfahren, ob die Maßnahmen auch rechtzeitig eingeleitet werden. Ein wichtiger Schritt bestünde auch darin, Agrarförderungen baldmöglichst umzustellen und kontraproduktive Subventionen zügig abzuschaffen.

Auch zum Thema Kulturwandel und Akzeptanz in der Bevölkerung widmet sich die Stellungnahme ausführlich. Einerseits sei es zwar erwiesen, dass Klima- und Biodiversitätsschutzziele einen großen grundlegenden Rückhalt in der Bevölkerung hätten. Studien zeigten aber auch, dass bei Maßnahmen der Wiedervernässung und Renaturierung Bedenken und Widerstände bei einzelnen Nutzergruppen zu erwarten seien. Dabei setzen die Wissenschaftler neben Empfehlungen zur transparenten und frühzeitigen Kommunikation insbesondere auf das Mittel der Partizipation und Bürgerbeteiligung.

Als Gefahr wird die Möglichkeit benannt, die Transformation zu langsam und zu zögerlich anzugehen und von der Dimension her in Einzelprojekten zu verharren, statt im Sinne eines großen Strukturwandels zu denken. „Business as usual“ aus Zögerlichkeit oder zur Vermeidung von politischen oder gesellschaftlichen Diskursen könne dazu führen, dass die angestrebten Ziele nicht ausreichend konsequent definiert und schließlich umgesetzt würden.


Stellungnahme der Leopoldina hier

NATIONALE EMPFEHLUNGEN:
Klima – Wasserhaushalt – Biodiversität: für eine integrierende Nutzung von Mooren und Auen (2024)

Naturnahe Moore und Auen schützen als Kohlenstoffspeicher das Klima. Durch ihren Wasserrückhalt puffern sie Hochwasser- und Trockenperioden ab. Nicht zuletzt sichern sie Lebensräume für gefährdete Arten. In Deutschland sind jedoch rund 94 Prozent der Moore trockengelegt sowie nahezu alle Überflutungsgebiete (Auen) von den Flüssen abgeschnitten. Die Stellungnahme „Klima – Wasserhaushalt – Biodiversität: Für eine integrierende Nutzung von Mooren und Auen“ der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina betont die Notwendigkeit der Wiedervernässung von Mooren und der Renaturierung von Auen. Sie zeigt Handlungsoptionen auf, um die nationalen und internationalen Verpflichtungen im Klima-, Gewässer- und Biodiversitätsschutz zu erreichen und diese Flächen trotzdem wirtschaftlich nutzen zu können.


Leopoldina  hier

Begleitend zur Stellungnahme stellt die Leopoldina ein digitales Dossier zur Verfügung, das das Thema anschaulich und interaktiv aufbereitet.


ARBEITSGRUPPE  hier

Als Ursachen für den menschengemachten Klimawandel stehen meist die fossilen Brennstoffe im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion. Um Deutschlands Emissionsziele zu erreichen, müssen jedoch auch die klimawirksamen Gase aus Landnutzungsänderungen stärker in den Blick genommen werden. Die Emissionen aus Moorböden und Feuchtgebieten drohen in den kommenden Jahren weiter anzusteigen.

Organische Böden spielen im Klimasystem eine wichtige Rolle. Zu den organischen Böden zählen u.a. die Moore bzw. die Grünländer, die auf den ehemaligen Mooren entstanden sind. Weltweit speichern Moorböden mehr Kohlenstoff als der gesamte Waldbestand. Auch in Deutschland sind Moorböden der größte Kohlenstoffspeicher. Und dies, obwohl sie nur 5 Prozent der Landesfläche ausmachen. Durch das Entwässern von Moorböden und das Abschneiden der Auen von Flussläufen werden Böden trockener. Dadurch gelangt Luft in den Boden, die die natürliche Zersetzung der Pflanzenmasse fördert. Die Folge: Große Mengen klimarelevanter Gase gelangen in die Atmosphäre. Schätzungen gehen davon aus, dass über 7 Prozent der gesamten deutschen Treibhausgasemissionen aus Mooren stammen.

„Moorschutz ist im öffentlichen Interesse“. Diese Aussage im Koalitionsvertrag der Bundesregierung könnte die Wende für eine klima- und biodiversitätsfreundliche Nutzung von Mooren und feuchten Grünländern einleiten.
Doch wie lassen sich feuchte Grünländer nutzen? Wie groß ist das Kohlenstoff-Speicherpotenzial von Auen? Wie wird der Klimawandel die zukünftige Wasserverfügbarkeit beeinflussen? Die Arbeitsgruppe sucht Antworten auf diese Fragen und wird neben einer Stellungnahme ein digitales Dossier erarbeiten.

Sprecher der Arbeitsgruppe

  • Prof. Dr. Klement Tockner ML, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, Frankfurt
  • Prof. Dr. Bernd Hansjürgens, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, Leipzig  

Mitglieder der Arbeitsgruppe

  • Prof. Dr. Daniel Hering, Universität Duisburg-Essen, Abteilung Aquatische Ökologie
  • Prof. Dr. Johannes Kollmann, TU München, Professur Renaturierungsökologie  
  • Prof. Dr. Jürgen Kreyling, Universität Greifswald, Lehrstuhl Experimentelle Pflanzenökologie
  • Prof. Dr. Hermine Mitter, Universität für Bodenkultur, Wien
  • Dr. Stefan Möckel, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, Leipzig
  • Prof. Dr. Annette Prochnow, Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie, Potsdam
  • Prof. Dr. Ortwin Renn ML, IASS Potsdam
  • Dr. Franziska Tanneberger, Universität Greifswald & Greifswald Moor Centrum
  • Prof. Dr. Dörthe Tetzlaff, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, Berlin  
  • Prof. Dr. Florian Ziel, Universität Duisburg-Essen

ML = Mitglied der Leopoldina

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