Mittwoch, 24. Juli 2024

Verkehrsminister Volker Wissing: Konsequent destruktiv

Spiegel  hier  21.07.2024, Eine Kolumne von Christian Stöcker

Warum ist Volker Wissing noch Minister? Pannen, Pleiten und Skandale

Erneut gibt es einen Kungelskandal im Bundesverkehrsministerium, wieder geht es um Luftschloss-Alternativen zum E-Auto. Die Liste der Blamagen, Pleiten und Skandale in Volker Wissings Ministerium ist rekordverdächtig.

Volker Wissing (FDP) ist seit etwa zwei Jahren und acht Monaten Minister. Ich weiß: Es fühlt sich länger an.

Als er das Amt antrat, lag die Latte sehr niedrig, denn seine Vorgänger waren Andreas »Mautdesaster« Scheuer (CSU), Christian Schmidt (CSU, kommissarisch), Alexander »Dieselskandal« Dobrindt und Peter »Stuttgart 21«  Ramsauer.

Zum Autor 

Christian Stöcker, Jahrgang 1973, ist Kognitions­psychologe und seit Herbst 2016 Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). Dort verantwortet er den Studiengang Digitale Kommunikation. Vorher leitete er das Ressort Netzwelt bei SPIEGEL ONLINE.

Dennoch ist es Volker Wissing gelungen, die Leistung dieser Vorgänger noch einmal um einiges zu unterbieten, und zwar sowohl was ausgebliebene Erfolge als auch was eingefahrene Misserfolge, peinliche Pannen und handfeste Skandale angeht. Die Liste ist atemberaubend.

Im Folgenden eine zweifellos unvollständige Chronologie der Highlights aus 32 Monaten Verkehrsminister Volker Wissing:

Januar 2022: Der frischgebackene Minister Wissing bricht im  »Tagesspiegel« eine Lanze für die Elektromobilität. Sie sei »am effizientesten«, E-Fuels dagegen würden auf absehbare Zeit nicht einmal genügend vorhanden sein »um die jetzt zugelassenen Pkw mit Verbrennungsmotor damit zu betreiben«. Die Aussage entspricht dem Expertenkonsens, nur bleibt Wissing nicht dabei (siehe unten).

April 2022: Minister Wissing liefert im Interview mit der  »Hamburger Morgenpost« ein spektakuläres neues Argument gegen das von der FDP bekanntlich erbittert bekämpfte Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Man habe dafür nicht genügend Schilder auf Lager.

Juli 2022: Minister Wissing legt etwas vor, das sein Ministerium »Sofortprogramm« nennt, um die gesetzlich festgeschriebenen CO₂-Einsparungsziele seines Ministeriums zu erreichen. Der Expertenrat der Bundesregierung stellt anschließend fest, dass das Papier »nicht die Anforderungen an ein Sofortprogramm erfüllt«. Eigentlich sollte der Expertenrat es prüfen, aber da war einfach nichts zu prüfen.

August 2022: FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner greift Volker Wissing bei der Arbeitsverweigerung unter die Arme. Die FDP fordert jetzt die Abschaffung  der Sektorziele für einzelne Ministerien. Diese kommt später tatsächlich.

März 2023: Volker Wissing will jetzt vom von ihm selbst eben noch konstatierten Primat der E-Mobilität nichts mehr wissen . Er kündigt überraschend die Zustimmung zu einer EU-Verordnung auf, die für die Zeit ab 2035 nur noch CO₂-neutral fahrende Neuwagen vorsieht, und blamiert Deutschland . Die Verordnung hatte fast alle Stadien  des EU-Gesetzgebungsprozesses durchlaufen, auch Wissing selbst hatte bereits zugestimmt . Das sorgt auch international für Aufsehen: Der wirtschaftsliberale »Economist«  aus London nennt das Manöver »einen tollpatschigen Versuch, neue europäische Gesetzgebung in letzter Minute zum Scheitern zu bringen«, die »Financial Times« findet , Deutschland gebe »ein schreckliches Beispiel für andere Länder ab«.

Auch März 2023: Volker Wissing will 150 Millionen Euro Fördergelder  für Flugtaxis zur Verfügung stellen.

Mai 2023: Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) rügt bemerkenswert explizit  Wissings Ministerium. »Viele Chancen, wie ein breiterer Einsatz von Tempolimits, Mautgebühren für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge oder City-Mauten, wurden nicht genutzt; andere, beispielsweise die Anhebung der Parkgebühren, werden nur langsam realisiert.«

Juli 2023: Das »Handelsblatt« berichtet , es gebe den »unangenehmen Verdacht«, dass im Wirtschaftsministerium Fördergelder an persönliche Freunde eines Abteilungsleiters vergeben worden seien.

August 2023: Nun berichtet das  »Handelsblatt«, dass der betreffende Abteilungsleiter selbst Patente an einer Technologie hält, die er anschließend als Ministerialbeamter fördern ließ. Wissings Staatssekretär Stefan Schnorr wird mit einer internen Prüfung beauftragt. Kurz darauf erklärt Schnorr, es gebe keine Hinweise auf Günstlingswirtschaft.

September 2023: Das »Handelsblatt« berichtet , dass der betreffende Abteilungsleiter gleichzeitig Honorarprofessor an einer Universität ist und bis 2019 Geschäftsführer einer bundeseigenen Projektgesellschaft war. Die Hochschule habe sowohl vom Ministerium als auch von der Projektgesellschaft Aufträge erhalten. Das Ministerium will sich zu dem Sachverhalt nicht äußern, verweist aber wieder auf eine »interne Prüfung«.

Oktober 2023: Der Bundesrechnungshof wirft dem Verkehrsministerium Versagen beim Klimaschutz vor. Explizit erwähnt der Bericht das Potenzial eines Tempolimits.

2. Februar 2024: Nun berichtet der SPIEGEL über neue Hinweise auf Unregelmäßigkeiten  bei der Vergabe von Fördermitteln. Das Ministerium erklärt erneut, »dass keine unzulässige Einflussnahme oder ein sonstiges Fehlverhalten des Abteilungsleiters im Zusammenhang mit Förderentscheidungen festzustellen war«.

6. Februar 2024: Der SPIEGEL berichtet weiter, mit neuen Details . Der Abteilungsleiter habe einem Freund, mit dem er Urlaubsreisen unternommen habe, 1,5 Millionen Euro an Fördergeldern verschafft. Es ging um Wasserstoff, eine Antriebstechnologie, bei der längst klar ist, dass sie im Automobilmarkt keine Chance gegen das E-Auto hat. Es scheint, als sei das Ministerium weniger »technologieoffen« als offen für gute Beziehungen zu bestimmten Personen und Branchen.

16. Februar 2024: Nun erklärt der Staatssekretär, dessen Prüfung  keine Unregelmäßigkeiten ergeben hatte, das »nötige Vertrauensverhältnis des Ministers zu dem Abteilungsleiter besteht nicht mehr fort«. Der Mann und ein weiterer ranghoher Beamter werden »mit sofortiger Wirkung von der Leitung dieses Referats entbunden«. Der SPIEGEL titelt: 

20. Februar 2024: Jetzt stoppt das Ministerium vorerst die weitere Förderung für Wasserstoffprojekte. All dies passiert erst infolge der SPIEGEL-Recherchen.

April 2024: »Das Einräumen zunehmender Freiheiten und abnehmender Kontrollen durch den Bund hat zu dem mangelhaften Zustand des Schienennetzes beigetragen« – so kritisiert der Bundesrechnungshof die Gründung einer Betreibergesellschaft für Schienennetz und Bahnhöfe namens InfraGo. Der Bund übe nicht genug Kontrolle aus.

Juni 2024: Selbst innerhalb der FDP-Bundestagsfraktion gilt Wissing manchen als »Loser«, wie der SPIEGEL berichtet .

Juli 2024: Das ZDF berichtet  unter Verweis auf interne Unterlagen, dass sich »Kraftstofflobbyisten gegen Geld Zugang zum Verkehrsminister verschaffen konnten«. Außerdem habe Volker Wissing eine Grußbotschaft für einen weiteren Flüssigkraftstoffverband aufgezeichnet – die verblüffend gut zu den expliziten Wünschen dieses Verbandes gepasst habe. Wieder spielt einer von Wissings Staatssekretären eine zentrale Rolle: Oliver Luksic trat demnach als »Schirmherr« einer Kampagne für einen Kraftstoff namens »HVO 100 goes Germany« in Erscheinung, mit Wissings Genehmigung. Auf »X«, wo Luksic sehr aktiv ist, wirbt er schon viel länger für den »Biokraftstoff«. Experten sind sich einig , dass dieser Kraftstoff jede Menge gravierende Nachteile hat, es gibt nur verschwindende Mengen davon, außerdem ist er deutlich teurer als herkömmlicher Diesel.

Auch Juli 2024: Der einzige echte Erfolg des Verkehrsministers Volker Wissing, das Deutschlandticket, wackelt, weil sein eigener Parteichef, Finanzminister Lindner, die Finanzierung verweigert .

Auch Juli 2024: Die Bahn gibt ihr selbst gesetztes Pünktlichkeitsziel für 2024 vorzeitig auf. Das hat dem Unternehmen zufolge unter anderem mit der Klimakrise zu tun, zu deren Bekämpfung Wissing nichts beitragen will. Es ist von »massiven Streiks, dem bundesweiten Baugeschehen und insbesondere Extremwetterereignissen im ersten Halbjahr in einem noch nie dagewesenen Ausmaß« die Rede. Fachleute sehen allerdings auch die unter den Ministern Ramsauer, Dobrindt, Schmidt, Scheuer und Wissing verrottete Bahn-Infrastruktur als Grund an.

Auch Juli 2024: Offenbar ruht bei der staatseigenen Lkw-Maut-Firma Toll Collect eine dreistellige Millionensumme, die der Bund für Investitionen verwenden könnte, wie der SPIEGEL berichtet . Ein noch unveröffentlichter Bericht des Bundesrechnungshofs werfe die Frage auf, »warum Wissing bisher nichts unternommen hat«. Nun will das Ministerium eine Gewinnausschüttung an den Gesellschafter Bund in Höhe von 75 Millionen Euro im Jahr 2025« prüfen. »Der gesamte Vorgang lässt Zweifel aufkommen, wie sorgfältig Wissings Ministerium mit dem Geld der Steuerzahler umgeht«, schreiben Sven Becker, Serafin Reiber und Gerald Traufetter.

Man könnte sagen, Volker Wissing ist, nach hoffnungsvollen Ansätzen, zumindest konsequent destruktiv: Er verweigert jede Art von Klimaverkehrspolitik, sein Ministerium schanzt Anti-E-Auto-Feigenblattprojekten und Luftschlössern Geld und Unterstützung zu. Um die Bahn, den Ausbau der Elektromobilität oder irgendeine andere Art von tatsächlich zukunftsfähiger Verkehrspolitik dagegen kümmert sich der Minister so gut wie gar nicht. Das gefährdet auch die deutsche Automobilbranche. Stattdessen blamiert Wissing Deutschland auch international wieder und wieder mit erkennbar lobbygetriebenen Alleingängen.

Bleibt die Frage: Warum ist Volker Wissing weiterhin Verkehrsminister?

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