Freitag, 5. Juli 2024

Umbau verschlafen - "Deutsche Autobauer werden pleitegehen"

NTV hier  04.07.2024, 

Haben die deutschen Autobauer ihren technischen Vorsprung verspielt? 

Bei der Europawahl wird Klimaschutz abgewählt, auch in der Wirtschaft mehren sich die Beschwerden über teure Projekte und Auflagen.

Sabine Nallinger hat einen anderen Eindruck. "Der Umbau der Wirtschaft läuft", sagt die Vorständin der Stiftung Klimawirtschaft. Denn die meisten Firmen wissen: Das Ausland schläft nicht. 

"Alle Industrien, die unsere Wirtschaft schwächen, werden in China massiv ausgebaut", warnt die Vertreterin von mehr als 30 deutschen Branchenführern aus Industrie, Handel und Finanzwirtschaft im "Klima-Labor" von ntv. Trotz aller Herausforderungen gibt es ihr zufolge gute Nachrichten zuhauf aus Deutschland, allerdings auch mahnende Beispiele: "Schauen Sie auf unsere Automobilindustrie. Die setzt wieder auf den Verbrenner. Das ist fatal, ein absoluter Rückschritt. Und ich sage Ihnen: Es werden sich nicht alle Automobilkonzerne in Deutschland halten können, denn das Lobbyieren bewahrt alte Strukturen."

ntv.de: Bei der Europawahl war Klimaschutz kein großes Thema mehr. Auch in der Wirtschaft wird an manchen Stellen frohlockt, dass es durch ist. Wie beobachten Sie das?

Sabine Nallinger: Ich sehe eine Diskrepanz zwischen der veröffentlichten Meinung und dem, was ich in Gesprächen mit Vorständen und Vertreterinnen und Vertretern unterschiedlicher Branchen wahrnehme. Auch wenn Klimaschutz nicht mehr das Topthema der Gesellschaft ist, in der Wirtschaft ist es das sehr wohl. Wir sind ein Exportland und wahrlich nicht allein mit unseren Ambitionen. Schauen Sie in die USA oder nach China. Die Liste mit Anstrengungen bei Solarenergie, Windenergie, Elektroautos und Elektrolyse ist lang. Das Rennen um einen florierenden Wirtschaftsstandort wird die Region gewinnen, die am schnellsten klimaneutral ist.

Sabine Nallinger ist Vorständin der Stiftung Klimawirtschaft, die sagt: Die deutsche Wirtschaft darf nicht länger Teil des Problems, sondern muss Teil der Lösung sein

Zu den Partnern und Förderern gehören Familienunternehmen, mittelständische Betriebe, aber auch große Unternehmen und Konzerne wie Aldi Süd, die Deutsche Telekom, die Deutsche Bahn, Puma, Rossmann, Thyssenkrupp, Wacker Chemie und viele andere.

Gerade China fährt aber zweigleisig. Es baut Kohle aus und nutzt parallel dazu den Ausbau der erneuerbaren Energien als neuen Markt. Deutschland konzentriert sich nur auf eine Richtung.

Ja, China baut Kohlekraft und Atomkraft aus. Die Ausbauziele sind in den letzten Jahren aber immer weiter reduziert worden - zugunsten der Klimaneutralität. Und wenn wir auf den Export schauen, ist China vor allem da stark, wo es uns gerade weh tut, nämlich im E-Auto- und im Solarbereich. 95 Prozent unserer Solarmodule stammen mittlerweile aus China. Auch Elektrolyseure werden zum Großteil in China produziert. Sechs der zehn größten Batteriehersteller kommen aus China. 

Alle Industrien, die unsere Wirtschaft schwächen, werden in China massiv ausgebaut.
Und wie wollen wir dagegen bestehen? Denn viele Branchen verkaufen Klimaschutz inzwischen als wirtschaftliches Todesurteil.

Wir stehen vor der größten Transformation der Wirtschaftsgeschichte und sehen weltweit eine unheimliche Dynamik. Dem müssen wir uns stellen. Dazu braucht es ein neues Leitbild, welche Art von Standort wir sein wollen. Speziell die Grundstoffindustrie, also Stahl, Zement, Aluminium, Kupfer und dergleichen, diskutiert, ob solch energieintensive Prozesse in Zukunft hier stattfinden können. Ich spüre in zahlreichen Gesprächen große Unsicherheit: Wollen wir das? Ist es erwünscht, dass in 10, 20 Jahren noch in diesem Maße Stahl in Deutschland produziert wird?

Wie lautet die Antwort?

Die Unternehmen bekennen sich klar zum Wirtschaftsstandort Deutschland. Denn zu einer gesunden Wirtschaft gehört der Austausch, dazu benötigt man räumliche Nähe. Aus der Stahlindustrie engagieren sich Thyssenkrupp und Salzgitter bei uns. Salzgitter stellt unter anderem Flachstahl für die Automobilindustrie her. Es gibt weltweit Hunderte Sorten. Durch die räumliche Nähe zu Volkswagen ist Salzgitter in der Flachstahlproduktion aber weltweit führend geworden, denn Innovation findet nur statt, wenn es entlang der Wertschöpfungskette einen Austausch gibt.

Aber wie wird sichergestellt, dass das in zehn Jahren auch noch so ist?

Die größte Herausforderung sind die Energiepreise. Die sind um ein Mehrfaches höher als in den USA und China. Das verschafft international Wettbewerbsnachteile. Deswegen gab es auch den Vorstoß des Bundeswirtschaftsministers für einen Industriestrompreis. Der ist mittlerweile politisch vom Tisch, aber das ist weiterhin ein riesengroßes Thema. Gleichzeitig gibt es auf EU-Ebene die Diskussion über den CBAM (Anm. der Redaktion: Carbon Border Adjustment Mechanism oder CO2-Grenzausgleichssystem). Der besagt, dass Importe, die nicht klimaneutral und mit grüner Energie hergestellt worden sind, belastet werden. In diese Richtungen wird überlegt.

Aber wenn der Plan ist, die Stahlproduktion eventuell subventioniert in Deutschland zu behalten, obwohl die Voraussetzungen hier nicht mehr die besten sind, und wir gleichzeitig Klimazölle auf ausländische Produkte erheben, wird doch im Endeffekt alles einfach nur teurer.

In technologischen Entwicklungen stecken unheimliche Lernkurven. Das nennt sich "Economies of scale", also Skaleneffekte: Wenn die Nachfrage steigt, kann man investieren und Geräte und Prozesse effizienter gestalten, wodurch sie günstiger werden. Dafür brauchen wir nur auf die Erneuerbaren gucken. Grün erzeugter Strom ist heute der günstige. Das wird bei anderen Technologien auch so sein. Am Anfang braucht es also tatsächlich den richtigen Anreiz und einen verlässlichen Rahmen, um Investitionen auszulösen. Dafür stehen wir als Stiftung Klimawirtschaft, darüber sprechen wir mit Robert Habeck und Olaf Scholz.

Investitionen in neue Technologien?

Ja. Das ist gerade in der Anfangsphase schwierig, deswegen ist an der einen oder anderen Stelle eine begrenzte Förderung sinnvoll. Das Ziel muss aber sein, dass 80 bis 90 Prozent der Investitionen aus der Privatwirtschaft kommen. Das ist machbar. Dafür muss allerdings klar sein, dass Europa den Schalter umstellen und klimaneutral werden will. Und wenn Sie sich Unternehmen wie Salzgitter anschauen: Sie haben 1,2 Milliarden Euro in die Hand genommen, um ihre Standorte umzurüsten. Die wollen schon 2026 zum Großteil grünen Stahl produzieren.

Bei Wasserstoff kann Deutschland China schlagen

Aber Salzgitter geht es doch jetzt schon nicht gut. Das Unternehmen verdient aktuell viel weniger, als es selbst noch vor wenigen Monaten erwartet hat. Wie soll das in Zukunft aussehen, wenn es auf Technologien wie Wasserstoff umsteigt, die derzeit noch sehr viel teurer sind als Gas?

Wir gehen davon aus, dass der CO2-Preis massiv steigen wird. Das ist ein realistisches Szenario. Unternehmen, die jetzt nicht in die Zukunft investieren, werden den altbekannten grauen Stahl in Zukunft sehr teuer produzieren.

Womit wir wieder bei den Europawahlen und der Frage der Verlässlichkeit sind, denn der CO2-Preis ist eine politische Entscheidung: Auf EU-Ebene wurde beschlossen, dass wir den CO2-Ausstoß besteuern. Jetzt gibt es aber eine krasse Verschiebung im Europaparlament. Was spricht dagegen, dass solche Regelungen wieder rückgängig gemacht werden?

Sie haben recht, bei den Europawahlen gab es einen merklichen Rechtsruck, speziell in Frankreich und Deutschland. Das sollte uns nachdenklich machen. Aber die demokratischen Parteien haben nach wie vor eine komfortable Mehrheit im EU-Parlament. Inzwischen wissen wir auch, dass Ursula von der Leyen Präsidentin der EU-Kommission bleiben wird, wenn es nach dem EU-Rat geht. Sie steht für den Green Deal und die Klimaschutzpolitik der EU. Es gab übrigens nicht überall einen Rechtsruck. Erstmals sind grüne Abgeordnete aus Italien und osteuropäischen Ländern ins EU-Parlament eingezogen. In Dänemark haben die Grünen stark zugelegt.

Und dennoch wurde Klimaschutz gewissermaßen abgewählt.

Die bestimmenden Themen werden vorerst Migration oder die Ukraine sein. Und natürlich haben wir gerade ein Akzeptanzproblem. Transformation bedeutet, dass wir etwas ändern müssen. Menschen mögen aber keine Veränderungen.

Ganz genau. Aber der Umbau der Wirtschaft läuft, auch wenn einige Investitionen leicht verzögert wurden. Denn wir haben keine Alternative. Deswegen muss die Politik stärker um Akzeptanz werben und endlich das Klimageld einführen. Dann können die Einnahmen aus den CO2-Steuern an die Bevölkerung zurückgegeben werden. Österreich hat das gemacht. In Deutschland planen wir das seit vielen Jahren, haben es aber noch nicht umgesetzt. Im Übrigen werden bei der Transformation auch keine Steuergelder verschwendet, die Gelder sorgen für volle Auftragsbücher in vielen Branchen unserer Industrie. Damit werden Arbeitsplätze geschaffen.

Für die Akzeptanz wären gute Nachrichten aus der Wirtschaft ebenfalls hilfreich. Wann ist nach den Leidensgeschichten der vergangenen Jahre damit zu rechnen?

Es gibt schon jetzt wahnsinnig viele gute Nachrichten. Als Stiftung spüren wir den größten Zulauf bei Konzernen, die es am schwierigsten haben werden, den energieintensiven. Von denen planen viele die größten Investitionen der Konzerngeschichte. Das muss man erst mal zur Kenntnis nehmen. Das erfordert unheimlich viel Mut und Tatendrang. Denn die Unternehmen wissen, dass es auf dem Weltmarkt hinderlich sein kann, wenn sie sich zu langsam anpassen. Dieser Transformations-Gedanke hat sich absolut durchgesetzt - und zwar weltweit. Die USA bauen um, China, aber auch Indien, Indonesien und andere Länder in Südostasien. Wird es Unternehmen, die sich darauf nicht einstellen, in zehn Jahren noch geben? Ich meine, nein. Unternehmen bleibt also gar keine andere Wahl, als sich umzustellen.

Aber man sieht doch in der Landwirtschaft oder beim Lieferkettengesetz, dass ökologische Vorgaben ausgesetzt oder zurückgenommen werden. Sind das nur vorübergehende Erscheinungen?

Das sind komplexe Themen und hat auch mit starken Lobbyverbänden zu tun. Das Spannende ist, dass immer mehr Unternehmen feststellen, wie kontraproduktiv Lobbyverbände sein können, wenn sie die Transformation verhindern. Schauen Sie auf unsere Automobilindustrie. Die setzt jetzt wieder auf den Verbrenner. Das ist fatal, ein absoluter Rückschritt. Und ich sage Ihnen: Es werden sich nicht alle Automobilkonzerne in Deutschland halten können, denn das Lobbyieren bewahrt alte Strukturen. Das schadet dem Automobilstandort Deutschland massiv.

Deutsche Autobauer werden pleitegehen?

Die werden pleitegehen. Herr Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hat jüngst gesagt: Allein werden wir unsere Ziele nicht einhalten; preiswerte Elektro-Kleinwagen füllen in Europa eine Nachfragelücke. Wir sind im Bereich der Elektromobilität mittlerweile auf China angewiesen. Für mich ist das ein Versagen, das da stattgefunden hat. Das hätte so nicht passieren dürfen. Diese Partikularinteressen sind nicht mehr zeitgemäß. Das merken wir durch die Anfragen vieler Unternehmen bei unserer Stiftung.


Mit Sabine Nallinger sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.

KLIMA-LABOR VON NTV

Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Klima-Labor ist der ntv Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen, Lösungen und Behauptungen auf Herz und Nieren prüfen. Ist Deutschland ein Strombettler? Vernichtet die Energiewende Industrie & Arbeitsplätze? Warum erwarten so viele Menschen ihren ökonomischen Abstieg? Warum sind immer die Grünen schuld? Sind Seeadler wirklich wichtiger als Windräder? Kann uns Kernkraft retten?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen