Das Phänomen Texas: Energie im Überfluss und trotzdem die Gefahr von Stromausfällen im großen Maßstab. Zum Teil ist das selbstverschuldet, aber eine Parallele gibt es zu uns: schwächelnde Netze.
hier Handelsblatt Katharina Kort 26.07.2024
Wie viele Länder in Europa kämpft der US-Staat mit der Energiewende. Ein starker Ausbau von Wind- und Solarkraft trifft auf fehlende zentrale Planung im Stromnetz. Das liegt auch am IRA.
Texas hat Energie im Überfluss: Es ist nicht nur der US-Bundesstaat, der das meiste Öl und Gas fördert. Texas produziert mittlerweile auch mit Abstand die meiste Windenergie in den USA und hat sogar die meisten Solarmodule installiert – mehr als der Sonnenstaat Kalifornien. Und doch riskiert der energiereiche Bundesstaat bei jedem Hurrikan, Wintersturm oder bei jeder Hitzewelle einen Stromausfall mit unvorhersehbaren Folgen.
Als Hurrikan Beryl vor zwei Wochen über Texas fegte, dauerte es mehr als eine Woche, bis alle Menschen wieder Strom hatten. Der Wintersturm Uri im Jahr 2021 kostete 250 Menschen das Leben, als Hunderttausende bei Minustemperaturen tagelang ohne ihre strom-betriebenen Heizungen auskommen mussten. Und auf der anderen Seite lässt die texanische Netzagentur Ercot immer wieder Windräder und Solaranlagen abstellen,H+ weil einfach die Nachfrage nicht da ist – oder zumindest nicht dort, wo die Energie produziert wird.
Damit kämpft Texas ähnlich wie viele europäische Länder mit den Folgen der Energiewende: Solar- und Windanlagen können nicht so beständig Strom produzieren wie Atom-, Gas- oder Kohlekraftwerke. Außerdem stehen die Anlagen oft weit entfernt von ihren größten Abnehmern.
Das Stromnetz von Texas ist isoliert vom Rest des Landes
In Texas kommen jedoch zwei besondere Faktoren hinzu: Erstens ist das Stromnetz des Bundesstaats komplett isoliert vom Rest des Landes. Zweitens ist der Strommarkt extrem dereguliert, was zum Teil die chaotischen Zustände verstärkt.
Es gibt drei Verbund-Stromnetze in den USA: eines für die westlichen Bundesstaaten und eines für die östlichen. Und dann gibt es Texas, ganz allein für sich. Dadurch vermeidet der Südstaat zwar Verpflichtungen zu gegenseitiger Hilfe in Notfällen, die man lange nicht zu benötigen glaubte.
Das heißt aber auch, dass die Nachbarstaaten nicht zur Hilfe kommen können, wenn etwa bei einem Kälteeinbruch die schlecht oder gar nicht isolierten Leitungen und Schalter von Öl- und Gaskraftwerken einfrieren oder die schiere Nachfrage nach Energie sprunghaft steigt und die Infrastruktur an ihre Belastungsgrenze bringt.
Weil Texas zudem seinen Strommarkt stark dereguliert hat, gibt es kaum eine zentrale Ressourcenplanung. Das hat dazu geführt, dass Investoren vor allem seit dem IRA (Inflation Reduction Act) vor drei Jahren die erneuerbaren Energien und Speicherkapazitäten nicht nur dort bauen, wo es auch eine hohe Nachfrage nach Strom oder gute Stromleitungen gibt, sondern auch dort, wo sie am einfachsten Geld verdienen können.
„Vor dem IRA haben Investoren in Texas oft Speicherbatterien in der Nähe von Solarfarmen gebaut, was sinnvoll war“, erklärt Gürcan Gülen von der University of Texas in Austin. Jetzt subventioniere die Regierung so viele neue Projekte, dass die das gesamte System gefährden würden. „Investoren bauen für sich stehende Speicher-Zentren, nur weil man damit eine Menge Geld machen kann.“
Batterie-Investoren verdienen doppelt
Das Geschäftsmodell ist einfach: Weil die Solar- und Windkraftbetreiber seit dem IRA ihre Steueranreize nur für produzierte Energie bekommen, zahlen sie ihren Kunden auch mal Geld, damit diese die Energie nur abnehmen.
Das nutzen die Betreiber der Batterie-Speicher aus: Gibt es besonders viel Wind oder Sonne oder eine schwache Nachfrage, lassen sie sich bis zu 23 Dollar pro abgenommener Megawatt-Stunde zahlen und verkaufen diese dann bei höherer Nachfrage für mehrere Tausend Dollar: „Das ist Wucher“, sagt Gülen.
Das bestätigt Paul Dabbar vom Center on Global Energy Policy an der Columbia-Universität: „Das ist ganz offensichtlich eine Marktverzerrung, die durch die Fiskalpolitik verursacht wurde.“
Hinzu kommt, dass der Wind in Texas vor allem im Westen weht und dort die Windkraftanlagen stehen, die Abnehmer aber vor allem im Osten sitzen. Und die Stromnetze immer häufiger dabei scheitern, die erhöhte Produktion und Nachfrage auszugleichen.
Daniel Ludwin von der Strategieberatung Oliver Wyman weist darauf hin, dass es vor einem Jahrzehnt in Texas durchaus ein sehr wirksames Programm gab, um die Netzüberlastung zu verringern. „Sie haben viel in das Netz investiert. Aber mit all der erneuerbaren Energie ist das nicht mehr genug“, sagt Ludwin. Deshalb kommt es immer wieder zu erzwungenen Abschaltungen einzelner Anlagen, um eine Überlastung zu vermeiden.
Kühlschränke fürs Bier in der heißen Garage
Der auf den Energiemarkt spezialisierte Ökonom Gülen ist überzeugt, dass es eine bessere, koordinierte Planung bräuchte, die von der Stromgewinnung über die Netze bis zum Vertrieb und den Regeln für Verbraucher reicht. „In Texas haben die Häuser meist noch nicht einmal Thermostate“, kritisiert Gülen. „Die Texaner haben oft Bierkühlschränke in der ungekühlten Garage stehen! Wissen Sie, was das an Energie frisst?“
Gülen war nach eigenen Angaben lange ein großer Anhänger der deregulierten Strommärkte. „Aber ich habe meine Meinung geändert“, sagt er heute. „Das Fehlen eines koordinierten Ansatzes ist das eigentliche Problem. Wir brauchen eine Ressourcenplanung, wenn die Energiewende erfolgreich sein soll.“
Das gelte auch für Europa: „Vielleicht muss man bei den Erneuerbaren ein wenig auf die Bremse treten, einen Schritt zurücktreten und einen holistischen Blick auf das ganze System werfen, um es richtig anzugehen – in Texas, aber auch in Europa“, gibt er zu bedenken.
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