Samstag, 13. Juli 2024

Vermögenssteuer: 380 Milliarden Euro Schaden

TAZ hier    2. 7. 2024, Simon Poelchau

Ausgesetzte Vermögenssteuer: 380 Milliarden Euro Schaden 

Die Regierung unter Kohl setzte 1996 die Vermögenssteuer aus. Das Geld fehlt jetzt. Eine Wiedererhebung scheitert auch am Widerstand der FDP.

Während die Ampel-Koalition sich derzeit über den Haushalt für das nächste Jahr streitet, gäbe es eine Möglichkeit, Milliarden für notwendige Investitionen einzunehmen: die Wiedererhebung der Vermögenssteuer.

Ihre Aussetzung im Jahr 1996 hat die öffentlichen Haushalte bisher 380 Milliarden Euro an Mindereinnahmen gekostet. Dies geht aus einer Studie hervor, die das Netzwerk Steuergerechtigkeit und die Nichtregierungsorganisation Oxfam am Dienstag veröffentlichten. Diese Summe entspricht rund 80 Prozent des Bundeshaushaltes für dieses Jahr.

„Anstatt im Bundeshaushalt zum Kahlschlag unter anderem bei der Entwicklungszusammenarbeit und bei Sozialausgaben anzusetzen, sollte die Bundesregierung die Besteuerung sehr hoher Vermögen endlich auf die Tagesordnung setzen“, erklärte der Oxfam-Experte für soziale Gerechtigkeit, Manuel Schmitt. 

So könnten die demokratiegefährdende Vermögenskonzentration verringert und dringend benötigte finanzielle Mittel für den sozialen Zusammenhalt und den Klimaschutz generiert werden – in Deutschland und weltweit.

Schließlich weist Deutschland laut dem Global Wealth Report 2023 der Schweizer Banken Credit Suisse und UBS von den vier großen Wirtschaftsmächten der EU vor Frankreich, Spanien und Italien die höchste Ungleichheit bei den Vermögen auf. So konnten die Superreichen in den vergangenen Jahrzehnten deutlich an Vermögen zulegen. Die hundert Reichsten Deutschlands häuften seit dem Jahr 2001 rund 460 Milliarden Euro zusätzlich an.

Mit der Vermögenssteuer könnte die Politik dieser wachsenden Ungleichheit entgegenwirken. Doch 1996 monierte das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil eine Ungleichbehandlung zwischen Immobilien und anderen Vermögen. Statt den Missstand zu beheben und Immobilen höher zu besteuern, setzte die schwarz-gelbe Bundesregierung unter Helmut Kohl die Steuer damals aus.

FDP ist gegen die Vermögenssteuer

Seitdem wurde immer wieder die Wiedererhebung der Vermögenssteuer gefordert. So sprachen sich die Grünen und die SPD bei der Bundestagswahl 2021 dafür aus. Doch scheiterte die Wiedererhebung am Widerstand der FDP. „Eine Vermögenssteuer lehne ich ab. Eine Diskussion über die Besteuerung aber in Deutschland ist angebracht“, schrieb Finanzminister Christian Lindner im November 2022 in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt. Durch eine Wiedererhebung würden Investitionen im Ausland attraktiver. „Das theoretisch erhoffte Aufkommen wird sich bei uns also nicht einstellen“, behauptete Lindner damals.

Ein weiteres Argument, das gerne gegen die Vermögenssteuer angebracht wird, lautet, dass Milliardäre und Superreiche ihr Vermögen bei einer Wiedererhebung ins Ausland schaffen würden und die Steuer deswegen nicht zu Mehreinnahmen führen würde. Für die Stu­di­en­au­to­r*in­nen vom Netzwerk Steuergerechtigkeit und Oxfam gilt dieses Argument allerdings nicht. „Die Angst vor der Steuerflucht ist in der Bevölkerung genauso wie in der Politik weit verbreitet. Aber die Angst ist irrational. Steuerflucht ist kein Schicksal und auch kein Massenphänomen“, sagte Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit.

Gleichzeitig hat Deutschland laut seiner Studie in den vergangenen Jahrzehnten umfassende Regeln eingeführt, die Steuerflucht massiv erschweren. Demnach müsste zum Beispiel BMW-Erbin Susanne Klatten knapp 6,5 Milliarden Euro an den Fiskus zahlen, wollte sie mit ihrem Vermögen ins Ausland ziehen. Dies entspräche rund 30 Prozent ihres geschätzten Besitzes.

Laut der Studie hätte der Fiskus im vergangenen Jahr durch die Vermögenssteuer etwa 30 Milliarden Euro einnehmen können. Dieses Geld wäre den Bundesländern zugutegekommen. Davon profitiert hätten potenziell auch die Kommunen, da die Länder laut dem Bundesfinanzministerium dafür verantwortlich sind, „den Kommunen eine für ihre Aufgaben adäquate Finanzausstattung zukommen zu lassen“.

Hoher Finanzbedarf bei Kommunen

Gleichzeitig ist insbesondere auf kommunaler Ebene der Investitionsstau immens.
Ex­per­t*in­nen des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) sowie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) schätzten jüngst den Bedarf für die kommunale Infrastruktur für die nächsten zehn Jahre auf insgesamt 177,2 Milliarden Euro. Hinzu kommen 28,5 Milliarden Euro für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs.


Süddeutrsche Zeitung hier  Kommentar von Claus Hulverscheidt

Die Reichen müssen mehr Verantwortung übernehmen

Viele Menschen haben das Gefühl, dass es nicht gerecht zugeht. Damit sich das ändert, müssen alle beitragen: Arbeitnehmer, Bürgergeldbezieher – zuallererst aber die Vermögenden.

Ist es wirklich gerecht, wenn die Chefärztin zehnmal so viel verdient wie der Pfleger? Der Konzernboss das Dutzendfache des Lagerarbeiters? Der Top-Stürmer hundertmal mehr als der Stadionbesucher? Die Frage ist verständlich, und es gibt jeweils genug Gründe, um sie so oder auch so zu beantworten.
Doch so brisant sie auch sein mag: Der entscheidende Punkt ist ein anderer.

Wie ein Mensch nämlich lebt, wie viel gesellschaftlichen und politischen Einfluss er hat, hängt nicht erster Linie vom Einkommen ab, sondern von seinem Vermögen.
Nicht die Einkommensungleichheit ist das Problem, sondern die Vermögensungleichheit.
Laut Bundesbank betrug das mittlere Nettovermögen eines deutschen Haushalts vor Pandemiebeginn 70 000 Euro, wer dauerhaft zur Miete wohnt, kam nur auf 10 000 Euro. Dem reichsten Tausendstel der Bevölkerung standen dagegen je 35 Millionen Euro zur Verfügung – 3500 Mal so viel.

Die Zahl an sich ist schon eindrucksvoll, vor allem aber: Einkommen, Lohneinkommen jedenfalls, muss erarbeitet werden, Vermögen dagegen wächst aus sich selbst heraus weiter.
Die Vermögensungleichheit zwischen zwei Menschen nimmt deshalb selbst dann zu, wenn es die Einkommensungleichheit nicht tut.

Was das konkret heißt, zeigt etwa der Beschluss der BMW-Erbin Susanne Klatten, ihr Vermögen von geschätzt 25 Milliarden Euro auf ihre drei erwachsenen Kinder zu übertragen. Geht man der Einfachheit halber davon aus, dass alle drei je gut acht Milliarden erhalten, müsste jedes Kind 2,5 Milliarden Euro Schenkungsteuer zahlen. Da es aber um Betriebsvermögen geht, wird die tatsächliche Steuerlast am Ende wohl allenfalls bei einem Bruchteil dieser Summe liegen.

Nun sei dem Klatten-Nachwuchs der Geldsegen gegönnt. Es stellt sich aber schon die Frage, ob es richtig ist, wenn ein Bürger sein Vermögen beinahe unbehelligt um acht Milliarden Euro aufstocken darf, während ein anderer vom Fiskus selbstverständlich zur Kasse gebeten wird, wenn er mit seiner Hände Arbeit auch nur 0,005 Promille dieser Summe erwirtschaftet. Man muss kein Untergangsprophet sein, um sich Sorgen um den ohnehin schwindenden gesellschaftlichen Zusammenhalt zu machen.

Seit 1997 verzichtet der deutsche Staat auf die Einnahmen aus der Vermögensteuer, weil er bei einer Wiedererhebung nicht zuletzt eine Steuerfluchtwelle befürchtet. Aber ist die Sorge berechtigt?

Viele Menschen der arbeitenden Mitte nämlich haben zunehmend das Gefühl, dass „die da oben“ sich schamlos vor allen finanziellen Pflichten drücken, während „die da unten“ alles vom Staat geschenkt bekommen. Beides stimmt so natürlich nicht, auch gehören Arme und Reiche nicht in einen Topf. Das erwähnte Gefühl dient aber immer öfter als Rechtfertigung dafür, dass auch Teile der Mittelschicht den Gesellschaftsvertrag aufkündigen, trotzig schwarzarbeiten oder schwarzarbeiten lassen, das Finanzamt betrügen und rechte Blender wählen. Das alles ist politischer Sprengstoff.

Eine Wiedererhebung der Vermögensteuer brächte viele Milliarden pro Jahr

Eine verantwortliche Sozial- und Finanzpolitik muss deshalb dafür sorgen, dass jeder Einzelne einen angemessenen Beitrag fürs Allgemeinwohl leistet. Das gilt für Bürgergeldbezieher und arbeitende Mitte, das gilt aber umso mehr für diejenigen, die dank ihrer hohen Vermögen ohne jede Einschränkung für sich selbst zu großer Solidarität in der Lage sind.

Am logischsten wäre dafür die Wiedererhebung der 1997 ausgesetzten Vermögensteuer, die selbst dann zweistellige Milliardenbeträge brächte, wenn sie nur die Superreichen träfe. Das Argument, die dauernde Taxierung aller Vermögenswerte sei zu teuer, ist keins, denn diese Taxierung muss im Erb- und Scheidungsfall schon heute vorgenommen werden. Zudem kann man mit Pauschalen und inflationsindexierten Werten arbeiten. Auch die Sorge vor Kapitalflucht ist unbegründet, wie Studien zeigen.

Wer die Vermögensteuer aus ideologischen, Kosten- oder anderen Gründen ablehnt, darf gerne Alternativen vortragen – eine viel höhere Grundsteuer für Luxusimmobilien etwa, eine deutliche Anhebung der Kapitalertragsteuer oder eine Erbschaftsteuer ohne Ausnahmen. Wer aber die Debatte verweigert, macht sich mitschuldig, wenn die Deutschen nach der nächsten oder übernächsten Wahl in einem anderen Land aufwachen.


Süddeutsche Zeitung hier  2. Juli 2024,Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Vermögensteuer:Wer braucht schon 380 Milliarden?

Nach Berechnungen des Manager Magazins kamen die 100 reichsten Bundesbürger vergangenes Jahr auf ein Gesamtvermögen von 720 Milliarden Euro. 

Seit 1997 verzichtet der deutsche Staat auf die Einnahmen aus der Vermögensteuer, weil er bei einer Wiedererhebung nicht zuletzt eine Steuerfluchtwelle befürchtet. Aber ist die Sorge berechtigt?

Es ist ein Szenario mit vielen Unbekannten, und doch steht da am Ende eine Zahl, die nachdenklich macht: Wäre die damalige schwarz-gelbe Koalition nicht auf die Idee gekommen, die Vermögensteuer von 1997 an auszusetzen, hätte der Staat bis heute insgesamt 380 Milliarden Euro mehr in der Kasse gehabt. Das ist angesichts von Investitionsstau und Haushaltsnöten, mit denen die aktuelle Koalition zu kämpfen hat, eine gewaltige Summe. Sie würde rein rechnerisch reichen, um 80 Prozent der heutigen Bundesausgaben zu finanzieren, wie das Netzwerk Steuergerechtigkeit (NWSG) und die Entwicklungsorganisation Oxfam jetzt vorgerechnet haben.

„Anstatt im Bundeshaushalt zum Kahlschlag unter anderem bei der Entwicklungszusammenarbeit und bei Sozialausgaben anzusetzen, sollte die Bundesregierung die Besteuerung sehr hoher Vermögen endlich auf die Tagesordnung setzen“, sagte Manuel Schmitt, Referent für soziale Ungleichheit bei Oxfam Deutschland. „So könnte die demokratiegefährdende Vermögenskonzentration verringert und dringend benötigte finanzielle Mittel für den sozialen Zusammenhalt und den Klimaschutz generiert werden.“

Oxfam und NWSG haben eine Studie verfasst, die die hundertjährige Geschichte der Vermögensteuer in Deutschland beleuchtet und die Frage stellt, ob die Angst vor einer Steuerfluchtwelle bei einer Wiedererhebung der Abgabe gerechtfertigt ist. 

Antwort der Aktivisten: nein. Zum einen zeigten Presseberichte und Registerdaten, dass zu Zeiten, als die Steuer noch zu zahlen war, nur recht wenige Superreiche das Land verlassen hätten. Zum anderen seien bereits 1972 sowohl die Gesetze gegen Steuerflucht als auch der Kampf gegen illegale Steuerhinterziehung verschärft worden. Mit einer Kombination aus Wegzugsteuer und der Besteuerung von Unternehmensverlagerungen ins Ausland stehe mittlerweile ein umfassender Werkzeugkasten gegen Steuerflucht zur Verfügung.

Statt die Berechnungsmethode zu ändern, setzte die Regierung die Steuer aus

Vermögen wird in Deutschland seit 1893 besteuert, 1996, im vorerst letzten Jahr der Erhebung, brachte die Abgabe umgerechnet 4,6 Milliarden Euro ein. Dass der Staat seither leer ausgeht, geht auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zurück. Es hatte 1995 gerügt, dass Immobilien bei der Festlegung der Steuerschuld nur mit einem Bruchteil ihres Werts berücksichtigt und damit gegenüber Kapitalvermögen massiv bevorzugt würden. Statt die Berechnungsmethode zu ändern, wie es 2021 zur Rettung der Grundsteuer geschah, entschied die damalige Regierung, die Steuer auszusetzen. Begründung unter anderem: Die Abgabe sei wachstumsfeindlich und ihre Erhebung zu teuer. Zudem könnten sich ausgerechnet die allerreichsten Bürgerinnen und Bürger durch Wegzug oder die Verschiebung von Kapital ins Ausland der Besteuerung entziehen.

Vor allem Letzteres halten die Experten von NWSG und Oxfam für unbegründet. Sie rechnen am Beispiel der BMW-Erbin Susanne Klatten vor, dass diese auf ihr gesamtes Vermögen 6,5 Milliarden Euro Steuern zahlen müsste, wollte sie aus Deutschland wegziehen. Nach Berechnungen des Manager Magazins kamen die 100 reichsten Bundesbürger vergangenes Jahr auf ein Gesamtvermögen von 720 Milliarden Euro. Das waren 460 Milliarden Euro mehr als noch 2001.

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