Spiegel hier Ein Interview von Lukas Kissel 19.07.2024
Debatte über kleineres BahnangebotZüge streichen? Mit dieser Forderung provozierte CDU-Chef Friedrich Merz Kritik. Unerwarteten Zuspruch bekommt er von Fahrgastvertreter Lukas Iffländer. Der sagt, wo gekürzt werden könnte. Und stellt Bedingungen.
Es klang zuerst nach einem Tabubruch. »Die Bahn muss ihr Angebot reduzieren, damit das reduzierte Angebot wieder zuverlässig erbracht werden kann«, sagte CDU-Vorsitzender Friedrich Merz am Sonntag im ARD-Sommerinterview.
Angebot reduzieren? Braucht es nicht eigentlich mehr Züge? Als der SPIEGEL jüngst über mögliche Kürzungen bei Fernverkehrsverbindungen berichtete, war der Aufschrei dementsprechend groß. Und er ließ auch diesmal nicht auf sich warten, die Grünen widersprachen, selbst Bundeskanzler Olaf Scholz schaltete sich ein. Merz' Vorschlag sei »eine Verhöhnung derjenigen, die sich über die schlechte Qualität des Bahnangebots ärgern«, sagte er in der ARD .
Nun bekommt Merz allerdings Schützenhilfe von unerwarteter Seite. Selbst die Fahrgastvertreter vom Verband Pro Bahn befürworten Angebotskürzungen. Wenn auch nicht von Herzen.
Zur Person
Lukas Iffländer, 34, ist seit 2016 stellvertretender Bundesvorsitzender des Fahrgastverbands Pro Bahn. Der Informatiker ist Professor für Informationssicherheit an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden, zuvor arbeitete er beim Deutschen Zentrum für Schienenverkehrsforschung.
SPIEGEL: Merz oder Scholz, wer hat recht? Sollen auch aus Ihrer Sicht weniger Züge fahren?
Iffländer: Ja, auf den hochbelasteten Strecken sollten wir darüber sprechen. Wenn nur Herr Merz das aufgeworfen hätte, würde ich mich nicht so überzeugt dieser Position anschließen. Doch wenn selbst die Leute von DB InfraGo, also der Infrastruktursparte der Bahn, in ihrer Planung sagen, dass das Netz eigentlich voll ist, dann hat das leider Hand und Fuß. Es ist natürlich eine verkehrspolitische Kapitulation, dass wir darüber nachdenken müssen. Aber leider sind wir so weit.
SPIEGEL: Wir wundern uns, dass ausgerechnet Sie das befürworten. Ihr Verband vertritt doch die Interessen der Fahrgäste. Liefe es deren Interesse nicht völlig zuwider, wenn nun tatsächlich weniger fährt?
Iffländer: Die Frage ist, ob man die Leute nicht eher durch die vielen Verspätungen und Zugausfälle vergrätzt. Wir sollten die katastrophale Situation bei der Bahn lieber anerkennen, als sie schönzureden. Natürlich wäre unser Idealwunsch, mehr Züge zu haben, die pünktlich fahren. Aber wir sind nun mal in einer solchen Mangelsituation, dass wir solche Lösungen brauchen. Um ein geflügeltes Wort zu zitieren: Weniger Angebot ist die schlechteste aller Lösungen, mit Ausnahme aller anderen.
SPIEGEL: Aber würden Angebotskürzungen nicht mehr schaden? Im Sinne des Klimaschutzes sollen doch mehr Menschen vom Auto auf die Bahn umsteigen. Man weiß, dass dichtere Takte helfen. Aber wenn der nächste Zug erst in zwei Stunden fährt statt in 20 Minuten, steigt doch niemand auf die Bahn um.
Iffländer: Es geht uns nicht darum, irgendwo auf Zweistundentakte auszudünnen. Sondern es geht wirklich nur um die hochbelasteten Korridore, wo manche Linien sehr kurz hintereinander fahren.
SPIEGEL: Welche Linien wären das?
Iffländer: Zum Beispiel zwischen Hamburg und Hannover: Da fahren jetzt in zwei Stunden sechs Fernverkehrszüge. Wenn da alle zwei Stunden eine Linie entfallen würde, dann wäre das verkraftbar und könnte das ganze System stabilisieren. Statt solche Hochleistungskorridore zu entlasten, hat die Bahn in den vergangenen Jahren dort eher zusätzliche Linien eingeführt – obwohl die Infrastruktur nicht dafür ausgelegt ist. Zum Beispiel den Halbstundentakt zwischen Berlin und Hamburg, dabei wird die dortige Strecke erst im Rahmen der Generalsanierung tüchtig gemacht.
SPIEGEL: Ist die Generalsanierung – also die Idee von Komplettsperrungen, um über mehrere Monate einmal alles zu sanieren – denn die richtige Strategie? Der ehemalige Chef der Schweizer Bahnen, Benedikt Weibel, kritisierte das als »Selbstmord mit Ansage«, weil das Bahnfahrer ins Auto treiben werde.
Iffländer: Es kommt auf den Einzelfall an. Bei der Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim sind wir optimistisch, weil es da einen vernünftigen Ersatzverkehr gibt. Da gibt es westlich und östlich auch hochleistungsfähige Umleitungsstrecken. An anderen anstehenden Sanierungsstrecken – zwischen Obertraubling und Passau, zwischen Nürnberg und Regensburg – gibt es die nicht. An diesen Stellen müsste tatsächlich mehr unter rollendem Rad saniert werden. Denn da werden die Fahrgäste wirklich davonlaufen. Ich bin überzeugter Bahnfahrer, aber bei mehreren Monaten Vollsperrung würde ich mir da auch ein Auto kaufen.
SPIEGEL: Viele Menschen könnten das ähnlich empfinden. Die Fahrgastzahlen steigen seit dem Coronaeinbruch wieder, liegen aber noch immer unter dem Niveau von 2019. Liegt das an der Unzuverlässigkeit der Bahn?
Iffländer: In Teilen, ja. Selbst unter Pro-Bahn-Mitgliedern kenne ich manche, die mittlerweile wieder fliegen, weil ihre Zugverbindung zu oft platzt. Ein Mitglied unseres Verbands hat während der EM mal die Ankünfte am Münchner Hauptbahnhof gemessen. An manchen Tagen war da gerade noch ein Viertel der Fernverkehrszüge pünktlich. Da kann man nicht mehr von einem planmäßigen Betrieb sprechen. Wenn sowieso dauernd ein Zug ausfällt, kann man auch im Vorhinein eine Linie streichen. Sonst besteht das tolle Angebot nur auf dem Papier.
SPIEGEL: Trotzdem ist die Frage, ob Angebotskürzungen wirklich das Mittel der Wahl sind, um das System zuverlässiger zu machen. Die Bahn selbst verspricht sich doch viel von der Digitalisierung, also von automatisierten Zügen . Dadurch könnten die Züge auch ohne mehr Gleise zuverlässiger fahren, so das Versprechen.
Iffländer: Das Versprechen, dass Digitalisierung wirklich ein Drittel mehr Kapazität bringt, glaube ich nicht. Aber dass dadurch in der Stunde ein oder zwei Züge mehr auf einer Strecke stabil fahren könnten, das schon. Eigentlich bräuchten wir das also so schnell wie möglich, vor allem auf den Hauptkorridoren. Stattdessen scheitert die Bahn gerade eher mit ihrem Projekt der Digitalen Schiene.
SPIEGEL: Das ist doch auch eine Finanzierungsfrage. Bei der Digitalisierung des Bahnknotens Stuttgart ringen Bahn und Bund anhaltend ums Geld .
Iffländer: Die Finanzierung ist generell ein Problem. Da sind wir von der groß angekündigten »Fortschrittskoalition« der Ampel echt enttäuscht. Wir sehen wieder genau dasselbe wie früher, dass nämlich bei jedem Haushalt ums Geld fürs nächste Jahr gefeilscht wird. Aber mit dem Haushalt für ein Jahr kann man keine langfristige Infrastrukturplanung machen.
SPIEGEL: Was halten Sie da von Verkehrsminister Wissings Vorschlag, einen Infrastrukturfonds einzurichten? Der soll die Mittel für mehrere Jahre bündeln.
Iffländer: Da stehen wir zu 100 Prozent dahinter. Unseres Wissens nach scheitert der bisher aber an Finanzminister Lindner .
SPIEGEL: Was die Angebotskürzungen angeht, haben wir bisher nur über Fernverkehrszüge gesprochen. Würden Sie auch im Nahverkehr streichen?
Iffländer: Nein. Denn der verspätete Fernverkehr ist es, der bislang auch den Regionalverkehr so durcheinanderwirft – wenn ein Regionalzug dauernd von einem verspäteten ICE überholt wird, ist er irgendwann selbst eine Stunde zu spät. Mittlerweile lässt sich schon gar nicht mehr von so was wie Anschlussverbindungen reden. Wie oft passiert es, dass man irgendwo eine Stunde sitzt, weil man den Anschluss verpasst hat? Das ist bestenfalls für die Bahnhofsgastronomie gut.
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