Cécile Ndjebet kämpft für Frauenrechte und intakte Wälder. Ohne Afrikas Frauen ist die Klimaerwärmung nicht zu stoppen, warnt die Agrarwissenschafterin
Auf den Mund gefallen war Cécile Ndjebet noch nie. Als Kind einfacher Farmleute in einem kleinen Dorf in Kamerun aufwachsend, nimmt sie ihre Mutter zur Seite: "Du arbeitest zu viel, du kämpfst zu viel, das ist nicht gut. Wenn ich einmal groß bin, werde ich deine Rechte verteidigen." Dass sie Agrartechniken lernen und mit modernem Equipment zurückkehren werde, um die schwere Arbeit im Wald zu erleichtern, nimmt ihre Mutter damals nicht ernst. "Ach, ich werde dann längst nicht mehr am Leben sein."
Doch Cécile hält Wort. Als erstes und einziges von 14 Kindern schafft sie mit Unterstützung ihrer älteren Schwester und deren Mann – ein katholischer Lehrer – das Unmögliche. Sie besucht eine höhere Schule und schließt ein Studium zur Agrarwissenschafterin ab. Zunächst im Dienst der kamerunischen Verwaltung und dann als Gründerin diverser Organisationen wie des African Women's Network for Community Management of Forest (Refacof) kämpft sie seither für Umweltschutz und Frauenrechte in Afrika. Das Netzwerk ist mittlerweile in 20 afrikanischen Ländern aktiv.
Frauen und ihr Wald
"Ohne Frauen werden wir weder die Erderwärmung stoppen noch die Armut aus der Welt schaffen können", erklärt Ndjebet am Rande der internationalen Waldkonferenz Iufro 2024 in Stockholm. Dass intakte Wälder im Kampf gegen die Klimaerwärmung eine Schlüsselrolle spielen, stehe wissenschaftlich völlig außer Frage. Gerade in Afrika seien es aber die Frauen, die die Wälder bestellen, Nahrung und Arzneimittel aus ihnen gewinnen und ihr Wissen an ihre Kinder weitergeben würden. Auch die Renaturierung, also etwa das Wiederaufforsten von zerstörten oder ausgebeuteten Landstrichen, könne nur mithilfe der Frauen gelingen.
Dazu müssten Frauen aber auch rechtlich gleichgestellt werden. Denn bis heute sei es in großen Teilen Afrikas so, dass Frauen zwar den Wald nutzen und in Schuss halten, ihn aber nicht besitzen dürfen. "Schon als Zehnjährige habe ich mir gedacht, dass das nicht fair sein kann", sagt Ndjebet im STANDARD-Interview. Nun, Jahrzehnte und viel Überzeugungsarbeit später, ist das Bewusstsein gestiegen. Selbst in traditionellen Dorfstrukturen würden manche Familienoberhäupter mittlerweile bezweifeln, ob die Weitergabe von Landbesitz nur an männliche Nachkommen so klug sei. "Denn wer kümmert sich um sie, wenn sie alt sind? Es sind die Töchter und Enkeltöchter in der Familie", erklärt Ndjebet.
Cécile Ndjebet (hier mit weißer Bluse) wurde für ihr Engagement in Afrika unter anderem mit dem Champion of the Earth Award der UNEP ausgezeichnet.
In der Praxis geht der Kampf um Gleichstellung aber schleppend vor sich. Das liegt auch am Geld. Gerade einmal ein Prozent der globalen Fördermittel im Forstsektor komme Projekten mit Fokus auf Frauenrechte zugute, kritisiert die Agrarwissenschafterin. Die meisten Initiativen vor Ort würden derzeit von Freiwilligen getragen, das sei aber keine dauerhafte Lösung. Die Erkenntnisse, die in solchen Projekten evident seien, müssten durch mehr Forschung abgesichert werden. "Um politische Änderungen durchsetzen zu können, brauchen wir belastbare wissenschaftliche Daten", ist Ndjebet überzeugt.
Weitere Vorkämpferin
Eine, die das besonders gut weiß, ist Juliette Biao, Direktorin des UN-Forums für Nachhaltigkeitsstandards (UNFSS). Geboren im westafrikanischen Staat Benin hat auch sie wie Ndjebet schon als Kind keinen Zweifel daran gelassen, dass männliche Domänen da sind, um aufgebrochen zu werden.
"Ich war in unserer Schule die Einzige, die jeden Tag mit den Buben zwei Kilometer zum Unterricht geradelt ist. 1976 trat ich dem ersten Frauenfußballteam des Landes bei und war dort Torhüterin", erzählt sie in ihrer Rede auf der Iufro-Konferenz. Und auch als Försterin habe die studierte Waldökonomin und Politikwissenschafterin sich den Respekt der männlichen Forstarbeiter hart, aber dann doch erkämpft: "Mit Selbstbewusstsein, Bescheidenheit und Vertrauen."
Das Waldmanagement habe sich angesichts multipler Herausforderungen wie Landverödung, Baumverlust, Brände und Schädlingsbefall längst von der maskulin geprägten, physisch anstrengenden Holzproduktion wegbewegt. Vielmehr seien heute technisches und systemisches Wissen sowie soziale Kompetenz gefragt. Wie Ndjebet ist sie überzeugt davon, dass der heute so notwendige Schutz und die Regeneration von Wäldern ohne die spezifische Erfahrung und die Fertigkeiten von Frauen in Afrika nicht umsetzbar sei.
Hitze in Indien
Doch nicht nur in Afrika werden die Stimmen lauter, die auf eine Einbindung der lokalen Bevölkerung beim Klimaschutz pochen. In Indien drohen Millionenstädte wie Delhi mit mehrtägigen Temperaturen jenseits der 50 Grad zur tödlichen Hitzefalle zu werden. Besonders davon betroffen sind die unkontrolliert wachsenden Siedlungen an den Stadträndern, wo die provisorischen Aluminium-, Zinn- und Plastikdächer die Hitze förmlich explodieren lassen.
Mangels Klimaanlagen versucht die lokale Bevölkerung sich mit Bäumen und Sträuchern zu behelfen, die nicht nur für Schatten, sondern ähnlich den afrikanischen Wäldern für Nahrung und Heilmittel sorgen. "Indien ist kolonial bedingt von fremden Baum- und Pflanzenarten geprägt, die meist nur eine dekorative Funktion besitzen", sagt die Ökologin Harini Nagendra von der Azim Premji University in Bengaluru. "In den Slums hingegen sind 70 Prozent der angebauten Pflanzen heimisch und erfüllen multiple Funktionen."
Schatten und Nahrung
Die Drumstick-Schoten des Meerrettichbaums etwa dienen der Bevölkerung als ebenso wichtige Nahrungsquelle wie die kohlenhydratreichen Früchte des Tamarindenbaums, die noch dazu eine antibakterielle Wirkung besitzen. Süße Kost liefern Mango- und Jackfruit-Bäume, die chemisch komplexen und noch nicht vollständig erforschten Inhaltsstoffe des Niembaums wiederum spielen in der traditionellen indischen Medizin, aber auch als natürliches Insektizid und Fungizid eine große Rolle.
Harini NagendraDie Ökologin Harini Nagendra forscht über Hitze in Städten. Indien ist davon besonders stark betroffen.
Dieses Wissen anzuzapfen, das meist von Frauen von Generation zu Generation weitergegeben werde, sei angesichts der notwendigen Anpassungen an die Klimaerwärmung unerlässlich. Bisher sei in den von Europa und Nordamerika geprägten Forstwissenschaften dazu jedoch viel zu wenig geforscht worden, drängt Nagendra wie zuvor auch Ndjebet und Biao auf aussagekräftiges Datenmaterial. "Leute, die in solch prekären Verhältnissen leben, denken viel eher in die Zukunft, weil sie wissen, wie sehr sie von bestimmten Pflanzen und Bäumen abhängig sind", sagt sie im STANDARD-Interview.
"Stärkste Waffe gegen Klimawandel"
Um Bäume, die dem Klimawandel trotzen und gleichzeitig die Ernährungssicherheit gewährleisten können, geht es auch in Ndjebets Projekten. Millionen von Bäumen, viele davon Mangroven, wurden unter der afrikanischen Agrarpionierin bereits gepflanzt. Dass sie nach ihrer Beamtinnenkarriere überhaupt zu ihren Wurzeln zurückkehrte und in Afrikas Wäldern ihre Berufung fand, führt sie neben den Erlebnissen in der Kindheit auf eine schlüsselhafte Begegnung mit einer weiteren Vorkämpferin zurück: Wangari Maathai.
Die Umweltaktivistin und erste afrikanische Friedensnobelpreisträgerin hatte kurz vor ihrem Tod im Jahr 2011 ein Projekt Ndjebets in Kamerun besucht und war davon so beeindruckt, dass sie jene kurzerhand mit einer Mission beauftragte. "Geh und sag allen afrikanischen Frauen, sie sollen Obstbäume pflanzen und auf ihren Wald schauen wie auf ihre eigenen Babys", erinnert sich Ndjebet an die damaligen Worte. "Die Früchte werden ihre Ernährung verbessern, sie können damit auch Geld verdienen. Und die Bäume werden da sein und der Menschheit dienen. Afrikas Frauen sind die stärkste Waffe gegen den Klimawandel." (Martin Stepanek, 3.7.2024)
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