Freitag, 26. Juli 2024

Am Ende geht es um die richtige Fragestellung: "Schaffen wir das überhaupt noch?" – oder fragen wir: "Wie können wir das schaffen?"

 hier  Klimareporter  25.07.2024  von  David Zauner

Ich hoffe, dass wir Systemsprenger werden 

Zur Klimaklage: Die deutsche Klimapolitik ist nicht erst mit dem neuen Klimaschutzgesetz verfassungswidrig, sagen Einzelklägerin Kerstin Lopau und Susanne Jung vom Solarenergie-Förderverein. Im Interview diskutieren sie auch die Grenzen des juristischen Weges und der Macht der Gerichte.

Klimareporter°: Frau Jung, wie anstrengend ist es, die Bundesregierung zu verklagen?

Susanne Jung: Die erste Klage 2018, die der Solarenergie-Förderverein SFV beim Bundesverfassunggericht eingereicht hat, war eine enorme Herausforderung. Im Vorfeld haben wir bei Felix Ekardt, der uns auch bei der jetzigen Klimaklage unterstützt, mehrere juristische Gutachten eingeholt.

Wenn man vorhat, die Bundesregierung auf mehr Klimaschutz zu verklagen, muss man argumentativ gut vorbereitet sein. Ich war in dieser Zeit an der Seite unseres damaligen Geschäftsführers Wolf von Fabeck. Für mich als Ingenieurin bedeutete das vor allem, viele neue Vokabeln zu lernen und Rechtslagen zu studieren.

Vor allem braucht man Geduld. Letztes Mal vergingen drei Jahre bis zum Urteil. Aber diese Grundsatzentscheidungen nehmen nun mal Zeit in Anspruch. Damit muss man sich – so schwer das angesichts der Zuspitzung der Klimakrise ist – abfinden.

Die zweite Verfassungsbeschwerde ging nun einfacher von der Hand?

Jung: Unsere Juristen wissen mittlerweile, welches die rechtlichen Knackpunkte sind. Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht 2021 klare Leitplanken definiert, an die sich die Bundesregierung halten müsste.

Das ist nicht geschehen, deshalb blicken wir ziemlichen optimistisch auf die Entscheidung der Richter. Es liegt aber auch wirklich auf der Hand. Deutschland verfehlt nicht nur die eigenen Klimaschutzziele. Auch die Ziele selbst sind viel zu ambitionslos, um die 1,5‑Grad-Grenze zu halten.

Für Sie, Frau Lopau, ist es die erste Verfassungsbeschwerde.

Kerstin Lopau: Den Satz "Ich verklage die Bundesregierung" musste ich erst ein paarmal vor dem Spiegel üben, bevor ich mir selbst glauben konnte.

Als Einzelklägerin war es für mich vor allem ein großer Schritt, mich als Person in die Öffentlichkeit zu stellen. Auch ich bin Ingenieurin und damit nicht wirklich firm in den rechtlichen Fragen. Am anstrengendsten ist das alles aber sicherlich für die Jurist:innen. Im Falle unserer Klage also für Felix Ekardt.

Susanne Jung

ist seit 2019 Geschäfts­führerin des Solar­energie-Förder­vereins Deutschland e.V. SFV. 2018 leistete der Verein Pionier­arbeit bei der ersten Verfassungs­klage gegen das Klima­schutz­gesetz, nun verklagt er zusammen mit dem BUND und vier Einzel­kläger:innen die Bundes­regierung erneut. Jung engagiert sich seit den 1980ern für Klima­schutz, seit drei Jahren auch als Rätin im Bündnis Bürger­energie.

Die Verfassungswidrigkeit liege auf der Hand, sagen Sie, Frau Jung. Der Bundespräsident kam vor einer Woche zu einer gegenteiligen Einschätzung und segnete das neue Klimaschutzgesetz ab. Wie argumentieren Sie, dass die deutsche Klimapolitik grundgesetzwidrig ist?

Jung: Unsere Klage umfasst drei Kernpunkte. Erstens gibt es weiterhin unzureichende Zielvorgaben. Also die Zielsetzungen reichen nicht aus, um die Festlegungen des Pariser Klimaabkommens einzuhalten und die Freiheitsrechte künftiger Generationen zu schützen.

Zweitens wurde bereits mehrmals nachgewiesen, dass die Maßnahmen der Bundesregierung noch nicht einmal ausreichen, um die eigenen, ungenügenden Zielvorgaben zu erfüllen.

Und drittens führt die Reform des Klimaschutzgesetzes nun zu einer weiteren Verwässerung der schon zuvor ungenügenden Maßnahmen der Bundesregierung.

Messen lassen muss die Bundesregierung ihre Klimapolitik jetzt nur noch an den prognostizierten Emissionen bis zum nächsten Reduktionsziel – minus 65 Prozent bis 2030 und minus 88 Prozent bis 2040. Das eröffnet einen gewissen Interpretationsspielraum. Wie erklären sich etwa die deutlich unterschiedlichen Prognosen des Umweltbundesamtes und des Expertenrates?

Lopau: Der Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung hat vorgerechnet, dass Deutschland nicht auf Kurs zu den eigenen Klimazielen ist. Damit kommt er zu einem anderen Ergebnis als Klimaminister Habeck, der auf Grundlage einer Analyse des Umweltbundesamtes verkündet hat, Deutschland wird das 2030er Ziel übererfüllen.

Kerstin Lopau

ist Ingenieurin für erneuerbare Energien und Mit­begründerin des Klima- und Solar­kollektivs Solocal Energy, das sich im Großraum Kassel für eine sozial gerechte Energie­wende einsetzt. Sie installiert Solaranlagen auf Dächern und hält Vorträge über Klima­kommunikation. Als Einzel­klägerin verklagt sie gemeinsam mit dem SFV und dem BUND die Bundes­regierung auf mehr Klima­schutz.

In seinem Bericht hat der Expertenrat ausführlich dargelegt, warum er die Einschätzungen des Umweltbundesamtes für zu optimistisch hält. Die Expert:innen sehen unter anderem bei den Berechnungen des Umweltbundesamtes methodische Mängel.

Grundsätzlich würde ich aber sagen: Es geht um unsere Lebensgrundlagen, da sollte man lieber konservativ als optimistisch rechnen. Zumal der Expertenrat aus unabhängigen, sehr renommierten Wissenschaftler:innen besteht.

Damit will ich das Umweltbundesamt nicht schlechtreden, es macht wichtige und gute Arbeit. Aber es ist immer noch eine Bundesbehörde, die vielleicht nicht ganz so viel Spielraum hat wie ein unabhängiges Gremium.

Die Bundesregierung argumentiert, dass es dem Klima doch egal sein könne, in welchem Sektor die Emissionen eingespart werden. Stimmt das denn nicht? Oder anders gefragt, was ist falsch an der Abschaffung der sektorspezifischen Reduktionsziele?

Jung: Die Ausgangslage ist, dass Deutschland weit mehr Treibhausgase ausstößt, als mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar wäre. Die Schlussfolgerung daraus muss sein, dass jeder Bereich – egal, ob Verkehr, Gebäude oder Energieerzeugung – im Sprint vorankommen muss.

Es ist vollkommen illusorisch, dass zwischen den Sektoren hin- und hergetauscht werden könnte. Das wäre vielleicht vor 20 Jahren möglich gewesen. Heute haben wir dafür wirklich keine Zeit mehr. Es braucht einen Turbo in allen Sektoren.

Über den Urteilsspruch 2021, in dem der Bundesregierung ein teilweise verfassungswidriges Klimaschutzgesetz attestiert wurde, schien sich die Regierung geradezu zu freuen. Selbst der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier meinte, das Urteil gebe der Politik nun die Chance, mehr Generationengerechtigkeit zu schaffen. Und trotzdem ist danach zu wenig passiert. Warum setzen Sie weiterhin auf den juristischen Weg?

Lopau: Ich arbeite jeden Tag mit vielen motivierten Menschen an der Energiewende und engagiere mich in der Klimabildung. Aber wir stoßen immer wieder an Grenzen. An sehr vielen Stellen fehlt einfach der politische Rahmen.

Ein Beispiel ist das Energy Sharing, also die lokale und gemeinschaftliche Stromerzeugung und ‑nutzung. Da gibt es so viel ungenutztes Potenzial, um die Teilhabe an der Energiewende zu erleichtern und diese sozial gerechter zu gestalten.

Bisher ist sie ja nicht sozial gerecht. Vor allem die Menschen im Einfamilienhaus können sich vor der nächsten Energiepreiskrise schützen, mit ihrer eigenen Solaranlage, dem E‑Auto und der Wärmepumpe. Für viele Mieter:innen in Mehrfamilienhäusern ist das allein schon wegen der Investitionskosten nicht möglich.

Lokales Engagement reicht eben nicht mehr. Mit unserem Verein, den wir gegründet haben, können wir zwar vor Ort im Großraum Kassel etwas bewegen, aber nicht an den großen Stellschrauben drehen.

Recht ist ein Mittel, um Fehlverhalten in der Gesellschaft zu korrigieren. Gleichzeitig hat das Bundesverfassungsgericht gegenüber der Regierung keine Durchsetzungsmacht. Das zeigt sich auch in anderen Ländern. Die Schweiz wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt, ignoriert aber das Urteil. Deshalb noch mal die Frage: Was nützen Urteile, an die sich am Ende niemand hält?

Lopau: Der juristische Weg allein kann sicher nicht alles richten. Aber es ist eine Möglichkeit, mit der man die öffentliche Meinung auch mitbeeinflussen kann. Und wenn es dann eine dritte Klage braucht, dann wird es auch die geben.

Jung: Das scharfe Schwert der Justitia ist gegenüber einer Regierung, die ignoriert, und einer Bevölkerung, die verdrängt, nicht das Allheilmittel. Dennoch erhöht so ein Urteil den Druck auf die politischen Vertreter und beeinflusst die politische Diskussion.

Ich bin viel auf Demonstrationen, habe mich jahrelang in der Klimabewegung gegen den rheinischen Braunkohleabbau engagiert. Es kommt auf jeden Fall auch auf die Zivilgesellschaft an, auf das, was auf der Straße passiert, und die Kraft der Bewegung.

Die grundlegende Frage ist doch: Wenn man die Klimakrise als Krise der sozialen Verhältnisse, als Krise des Wirtschaftssystems versteht, inwiefern haben Gerichte die Fähigkeit, das System zu verändern?

Lopau: Ich glaube nicht, dass dieses Urteil den Kapitalismus stürzen wird. Auch wenn es ja durchaus sehr renommierte Klimawissenschaftler:innen gibt, die ganz trocken und fundiert zu dem Ergebnis kommen: Ohne das Wirtschaftswachstum infrage zu stellen, wird das mit dem Klimaschutz nichts.

Aber, ja, so weit ist das Verfassungsgericht dann vielleicht doch noch nicht.

Ich glaube aber, dass das alles kleine Schritte in die richtige Richtung sind. Wir versuchen, mit unseren Energiewende-Projekten Alternativen aufzubauen. Wir arbeiten ohne Chef:innen, haben solidarische Preise und versuchen bedürfnisorientiert zu wirtschaften.

Gleichzeitig muss neben dem Aufbau von Alternativen auch das gegenwärtige System zurückgefahren werden. Dabei kann eine Klage helfen. Ob es dann die Revolution wird oder die schrittweise Durchsetzung progressiver Reformen, wer weiß?

Am Ende gibt es auch einfach viele Leute, die sich mit solchen Wegen eher identifizieren, als dass sie auf eine Demo gehen oder bei einer Blockadeaktion mitmachen würden.

Jung: Ich hoffe, dass wir Systemsprenger werden. Als Erstes müssen wir mit dem Ausbau der Erneuerbaren die Macht der fossilen Konzerne sprengen.


Die regionale Struktur der Erneuerbaren ist eine große Chance.
Damit können in der Theorie alle Menschen an der Energieerzeugung teilhaben
und dadurch können große soziale Veränderungen ausgelöst werden.


Welche Rolle in der gesamten Transformation dann ein oder zwei Urteile spielen, kann man sicherlich erst im Nachhinein wirklich beurteilen.

Als die Verfassungsbeschwerden in der Bundespressekonferenz vorgestellt wurden, sagte Felix Ekardt mit Bezug auf einen Bericht des Sachverständigenrats für Umweltfragen, Deutschland habe sein 1,5‑Grad-kompatibles CO2-Budget eigentlich schon heute aufgebraucht. Gibt es dann überhaupt einen Weg zurück in eine grundrechtskonforme Klimapolitik?

Jung: Das ist ein Punkt, der sehr ungern – auch von Umweltverbänden – in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Aber im Grunde ist klar, die CO2-Konzentration in der Atmosphäre, gegenwärtig etwa 425 ppm, ist schon heute viel zu hoch.

Wir müssen wieder auf 360 ppm oder zumindest 380 ppm runter. Das schaffen wir aber nicht mit ein bisschen Aufforstung hier und ein bisschen Renaturierung dort. Die technische Rückholung wird in den nächsten Jahren ein wichtiges Thema werden. Auch wenn es eine unangenehme Lösung ist, müssen wir auch für die bereits angerichteten Schäden Verantwortung übernehmen.

Natürlich werden diese Technologien heute vor allem von Unternehmen dafür verwendet, sich einen grünen Anstrich zu geben. Da müssen wir aufpassen. Aber trotz all dieser berechtigten Kritik kommen wir um diese Technologien nicht herum.

Lopau: Am Ende geht es um die richtige Fragestellung. Fragen wir: "Schaffen wir das überhaupt noch?" – oder fragen wir: "Wie können wir das schaffen?"


Zu resignieren ist eine privilegierte Art, auf die Welt zu blicken.
Jedes Zehntelgrad entscheidet über Leben und Tod.
Wir sind angeblich das Land der Dichter und Denker. Na, dann denkt doch mal nach!


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