Samstag, 23. September 2023

"Die Ampel mag das eigene Klimagesetz nicht"

Süddeutsche Zeitung hier  22. September 2023,Von Michael Bauchmüller, Berlin

Klimaschutz: Ein Gesetz geht baden

Der Bundestag befasst sich in erster Lesung mit der Novelle des Klimaschutzgesetzes. Doch innerhalb der Koalition gibt es nur eine Fraktion, die mit dem Entwurf der Regierung zufrieden ist.

Aktivisten von Greenpeace haben in der Früh noch zu Pinsel und Farbe gegriffen. "Klimaschutzgesetz" haben sie an eine Kaimauer unterhalb des Reichstags gepinselt, mit Kreideleimfarbe, und das leicht schräg. Das Wort geht buchstäblich baden. Denn so, findet die Umweltorganisation, ergeht es an diesem Freitag ja auch dem deutschen Klimaschutzgesetz. Sie ahnen noch nicht, wer das im Hohen Haus alles genauso sieht.

Die Bundesregierung hat eine Novelle des Gesetzes in den Bundestag eingebracht, federführend ist der grüne Klimaschutzminister Robert Habeck. Das Gesetz, das Deutschland auf feste Klimaziele bis 2045 einschwört und dafür bisher auch die verschiedenen Ministerien in die Pflicht nimmt, soll verändert werden. Für einzelne Ministerien, etwa das Bau- und das Verkehrsministerium, sollen keine festen Sektorziele mehr gelten, an denen die Fortschritte im jeweiligen Bereich gemessen werden. Damit entfallen auch die "Sofortprogramme", die das Gesetz bisher den Ministerien abverlangte. Stattdessen gibt es einen neuen Mechanismus, der allerdings dieser Regierung nach Lage der Dinge nichts mehr abverlangt. "Mit diesem Gesetz würde die Ampel den dringend nötigen Klimaschutz noch weiter hinauszögern", findet Greenpeace.

Die Debatte im Bundestag eröffnet eine Parteifreundin Habecks, die Grünen-Klimapolitikerin Lisa Badum. Doch sie macht "gravierende" Änderungen an dem Gesetz aus. Völlig unklar sei, wer am Ende die Verantwortung trage. "Wir müssen die Sorgen der Verbände sehr, sehr ernst nehmen", sagt Badum - und bedankt sich anschließend bei der SPD für das "Struck'sche Gesetz". Das ist jene eherne Regel, nach der kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es hineinkommt. "Wir sind selbstbewusste Parlamentarierinnen und Parlamentarier", sagt Badum noch.

Bevor das Gesetz verabschiedet wird, haben die drei Ampelparteien noch einiges zu diskutieren

Und das sieht Matthias Miersch, stellvertretender Chef der SPD-Fraktion, ganz ähnlich: Schließlich sei man bei Gebäuden und Verkehr immer noch nicht da, wo man sein müsste. "Wenn Ziele verfehlt werden, muss es einen Automatismus geben, der garantiert, dass sie eingehalten werden", verlangt Miersch. Und das klingt schon wieder sehr nach dem bisherigen Gesetz, zu dessen Architekten Miersch zählte.

Allerdings war damals noch die Union Mierschs Koalitionspartner, und auch die teilt nun aus. "Sie entkernen das Klimaschutzgesetz", sagt der Unions-Abgeordnete Thomas Gebhard. "Sie gehen einfach einen Schritt zurück." Würde sich die Union so verhalten, gäbe es in ganz Deutschland Demonstrationen, schwant Gebhard, "und wissen Sie was? Diese Demonstrationen würden angeführt von den Grünen."

Die AfD hält das ganze Gesetz für überflüssig, weil es, wie ihr Abgeordneter Karsten Hilse sagt, einen menschgemachten Klimawandel nicht gebe. Dieser sei "nachweislich" nicht durch Kohlendioxid verursacht. Die Linkspartei dagegen erinnert an die jüngsten Extremwetter und wirft der Regierung klimapolitisches Versagen auf ganzer Linie vor.

Zufrieden mit dem Entwurf für das veränderte Gesetz, so zeigt sich an diesem Freitag, ist nur eine Fraktion: die FDP. "Wir heben die Klimapolitik auf ein neues Level", findet deren Klimapolitiker Olaf in der Beek. Das Gesetz werde effektiver und effizienter, und die Klimaziele würden nun "realistisch und zu geringsten Kosten erreicht". Womit nach dieser ersten Lesung des Gesetzes nur eines klar ist: Ehe das Gesetz tatsächlich baden geht, werden die drei Ampelparteien noch einiges zu diskutieren haben. Und solange sie sich nicht einig sind, gilt die bisherige Fassung weiter.


Tagesschau ARD hier  22.09.2023  Von Michael Weidemann, ARD Berlin

Erste Lesung im Bundestag: SPD und Grüne wollen Klimaschutzgesetz nachbessern

Die Bundesregierung will das Gesetz zum Klimaschutz grundlegend reformieren. Statt einzelner Sektoren soll nun der gesamte CO2-Ausstoß betrachtet werden. Die Opposition läuft Sturm, SPD und Grüne wollen nachschärfen.

Sechs Sektoren kennt das geltende Klimaschutzgesetz - und jeder von ihnen muss dazu beitragen, dass die Treibhausgasemissionen in den kommenden Jahren deutlich verringert werden.
Zwei Sektoren aber erreichen ihre festgelegte Quote derzeit nicht, wie der klimapolitische Sprecher der Linksfraktion, Ralph Lenkert, unterstreicht: "Im Verkehr wird weit mehr CO2 ausgestoßen als zulässig. Und auch der Bausektor erfüllt nicht die gesetzlichen Ziele.
"Verkehrs- und Bauministerium müssten jetzt einen Maßnahmenplan vorlegen, um die Ziele zu erreichen, so Lenkert. "Aber die Koalition will das Klimaschutzgesetz aufweichen und damit die Verstöße legalisieren. Und das ist ein Skandal."

Union: Klimaziel wird so nicht erreicht

Tatsächlich will die Bundesregierung mit ihrer angestrebten Reform des Klimaschutzgesetzes eines ändern: Es soll nicht mehr in jedem einzelnen Bereich gemessen, gewertet und nachgesteuert werden, sondern die Ergebnisse mit Blick auf das Gesamtziel betrachtet werden, den CO2-Ausstoß bis 2030 um zwei Drittel zu verringern.

Dies sei falsch, meinen CDU und CSU. Denn die bisherige Regelung habe sich doch bewährt, so die Unionsabgeordnete Anja Weisgerber: "Keine Sektorziele mehr, keine jährlichen Sofortprogramme mehr bei Zielverfehlung. Erst nach zweimaligem Reißen der Klimaziele sollen perspektivisch mehr Anforderungen kommen." Das aber reiche nicht, um das Klimaziel zu erreichen, beklagt die Umweltpolitikerin der CSU.

Sozialdemokraten wollen mit Automatismus nachschärfen

Die Konzentration auf das Gesamtbild führe viel eher zum Ziel, hält Olaf in der Beek für die Liberalen dagegen: "Indem wir nicht mehr starr auf einzelne Sektoren blicken, machen wir es möglich, dass Emissionen dort reduziert werden können, wo es die größten Einsparpotenziale zu den geringsten Kosten gibt."

Dass die Regierung wie selbstverständlich auf Fehlentwicklungen reagieren wird, darauf vertrauen allerdings auch die Ampelfraktionen nicht blind. Bei der Beratung des Klimaschutzgesetzes wollen die Sozialdemokraten vor allem an einer Stelle nachschärfen, kündigt SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch an: "Wenn Ziele verfehlt werden, muss es einen Automatismus geben, der uns garantiert, dass die Ziele eingehalten werden."

Grünen fragen nach Verantwortung

Und die Grünen wollen die Verantwortung dafür, dass der CO2-Ausstoß auch wirklich im vorgegebenen Umfang reduziert wird, so hochrangig wie möglich ansiedeln. Für ihre Fraktion, sagt die Klimaexpertin Lisa Badum, stelle sich vor allem eine Frage: "Wer trägt am Ende die Verantwortung für das Klimaschutzprogramm? Ist es zum Beispiel der Bundeskanzler? Es ist eine der offenen Fragen, die wir einfach gemeinsam klären müssen und die wir in der Beratung aufgreifen müssen."

Dass Klimagase massiv eingespart werden müssen, darüber ist sich das ganze Parlament aber am Ende einig.

AfD bestreitet menschengemachten Klimawandel

Das ganze Parlament? Nein. Eine Partei leistet den Erkenntnissen der Wissenschaft weiter erbittert Widerstand: "Wir sagen einfach: Es gibt keinen einzigen wissenschaftlichen Beweis dafür, dass die menschengemachten CO2-Emissionen diesen Klimawandel auslösen", erklärt der AfD-Abgeordnete Karsten Hilse.

Seine Fraktion setze deshalb auf einen "sogenannten Klimawandelanpassungsfonds, mit dem man negative Folgen des Klimawandels, der derzeitigen Klimaschwankungen letztendlich abfedern könnte."Mit dem die Mittel, die aus AfD Sicht überflüssigerweise für CO2-Reduktionen ausgegeben würden, deutlich zielführender einsetzen könnte. Ein entsprechender Antrag der Alternative für Deutschland wird jetzt wie auch der Gesetzentwurf der Regierung in den Ausschüssen beraten.

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