Samstag, 23. September 2023

Klimaschutz? Macht die nächste Regierung

Die Zeit hier  Von Ruth Fend 22. September 2023

Der Bundestag diskutiert über die Änderungen am Klimaschutzgesetz. Es gibt heftige Kritik – aber auch Ideen, wie es noch zu retten ist.

Klimaschutzgesetz: Die Grundlage für Wirtschaft und Gesellschaft sichern – hält das neue Klimaschutzgesetz, was es verspricht?

Im Bundestag starten diesen Freitag die Diskussionen über das erneuerte Klimaschutzgesetz. Ein breites Bündnis an Umwelt- und Sozialverbänden kritisiert (PDF) die Veränderungen des Kabinettsbeschlusses, den das Bundesministerium für Wirtschaft und Klima (BMWK) im Juni vorgelegt hatte: Anstatt mehr Klimaschutz zu gewährleisten, würde die Novelle das Gesetz entkernen.

Was die Diskussionen besonders hitzig machen dürfte: Schon mit dem bestehenden Gesetz verfehlt die Bundesregierung ihre Klimaziele bis 2030. Das geht aus der Stellungnahme (PDF) hervor, die der Expertenrat der Bundesregierung zum Klimaschutzprogramm 2023 im August vorlegte. Viele der rund 130 Einzelmaßnahmen im Programm ließen sich nur schwer quantifizieren, monierte das Gremium.  

Diese Kurve müssen wir kriegen

Eigentlich müsste die Regierung also mit weitreichenderen Vorhaben nachsteuern. Stattdessen ändert sie das Gesetz. Mit dem Verweis auf die anstehende Novelle (PDF) stoppte sie die Sofortprogramme, auch ein Klimaschutzprogramm soll erst wieder zu Beginn der nächsten Legislaturperiode kommen. "Damit nimmt sie sich politisch selbst den Handlungsdruck: Wir sind fein raus, die nächste Regierung wird schon was machen", sagt Michael Kalis vom Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität (IKEM). Sein Institut hat einige Vorschläge untersucht, mit denen sich der Klimaschutz in der Novelle noch stärken ließe.

Was sich am Klimaschutzgesetz ändern soll

An den Klimazielen selbst ändert die Novelle nichts: Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen um 65 Prozent gegenüber 1990 sinken, bis 2045 will Deutschland klimaneutral sein. Bisher hatten alle Sektoren wie Energie, Verkehr, Gebäude oder Industrie eigene verbindliche Klimaziele. Verfehlten sie diese, mussten sie in ihrem Bereich ein Sofortprogramm auflegen. Das hätte vor allem das Verkehrsministerium betroffen. Stattdessen soll nun die Bundesregierung insgesamt für die jährliche Emissionsreduktion verantwortlich sein. 

Nachsteuern muss die Bundesregierung erst dann, wenn sie ihre Ziele in zwei aufeinanderfolgenden Jahren verfehlt. Um eine solche Verfehlung festzustellen, sollen nicht mehr die tatsächlich entstandenen Emissionen des vergangenen Jahres herangezogen werden, sondern eine Prognose der Gesamtmenge an Treibhausgasemissionen zwischen 2021 und 2030. Die Regierung hat dann ein weiteres Jahr Zeit, um Gegenmaßnahmen zu entwickeln. 

Der Expertenrat für Klimaschutz soll künftig nicht nur feststellen, ob die Emissionsmengen eines Jahres überschritten werden, sondern auch eigene Vorschläge zu geeigneten Klimaschutzmaßnahmen machen können.

Gefahr einer Abwärtsspirale

Im Fokus der Kritik steht vor allem die Abschaffung der Ressortverantwortlichkeit. Sie könnte "als Deckmantel für politische Untätigkeit gerade in den Bereichen dienen, in denen besonders dringender Handlungsbedarf besteht", schreibt ein Bündnis von Umweltverbänden in einem Papier zum Referentenentwurf. Dass sich in diesem Punkt noch etwas ändern wird, hält Kalis vom IKEM zwar für wünschenswert, aber unwahrscheinlich, da es sich um das Kernstück der Novelle handele. Und trotzdem: "Ich bin überzeugt, dass man auch mit einer jährlichen Gesamtemissionsmenge Klimaschutz betreiben kann", sagt Kalis. Auch der Expertenrat für Klimaschutz sagte in seiner Stellungnahme, dass eine übergreifende Regierungsverantwortlichkeit wirksam sein kann, sofern – anders als bisher – ein schlüssiges Gesamtkonzept vorliegt.  

Der Klimaschutz wird Kalis zufolge mit dem aktuellen Entwurf vor allem in einem Bereich stark abgeschwächt: ab wann die Bundesregierung nachsteuern muss, wenn sie denn die Klimaziele verfehlt. So wie die Novelle jetzt formuliert ist, könnte Folgendes passieren: Die Bundesregierung stellt zu Beginn ihrer Legislaturperiode ein Klimaschutzprogramm auf. Dann zeigt sich in den zwei folgenden Jahren, dass sie damit zu wenige Treibhausgase reduziert. Daraufhin muss sie innerhalb eines Jahres ein besseres Programm erarbeiten. Das heißt, dass die eigentliche Anpassung erst gegen Ende ihrer Legislaturperiode erfolgt oder sogar erst in der nächsten. "Wenn wir alle vier Jahre gucken, ob wir auf dem richtigen Pfad sind, geraten wir ganz schnell in eine Abwärtsspirale", warnt Kalis. Zumal die ganze Nachsteuerung nur noch aufgrund von Prognosen geschieht, die immer auch fehleranfällig sind.

Karsten Neuhoff, Leiter der Abteilung Klimapolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), kann dem Blick in die Zukunft hingegen auch etwas Positives abgewinnen: "Eine sicher berechtigte Kritik am Gesetz bisher war, dass der starke Blick auf die Emissionsbudgets der jeweiligen Jahre vielleicht zu kurzfristig war", sagt Neuhoff. "Es fehlte die Perspektive auf die langfristigen Transitionen und wie wir sie erreichen." 

Weiter wie bisher – mit einem starken Expertenrat ginge das nicht mehr

Als positive Neuerung in der Gesetzesnovelle bewertet Kalis, dass die Rolle des Expertenrates gestärkt wird. Künftig soll er auch selbst Klimaschutzmaßnahmen vorschlagen können. Die Bundesregierung müsste die Vorschläge berücksichtigen. "Danke für die sachverständige Beratung, wir machen weiter wie bisher – das ginge künftig nicht mehr", sagt Kalis. Wenn die Regierung die vorgeschlagenen Maßnahmen nicht umsetzt, muss sie dies zumindest öffentlich begründen.

Im bisherigen Entwurf gibt es nur einen Haken: Die Regierung soll solche Vorschläge nur in dem Moment berücksichtigen, in dem sie gezwungen ist, mit weiteren Klimaschutzmaßnahmen nachzusteuern. Dieser ganze Prozess startet nach bisheriger Beschlusslage aber viel zu spät. "Da kann also ein Gutachten nach dem anderen rauskommen, das sagt: Bitte beachtet doch mal diese Maßnahme", sagt Kalis. "Aber eine ernsthafte Auseinandersetzung ist erst dann nötig, wenn die Bundesregierung nachsteuert."

Damit das Vorschlagsrecht seine Wirksamkeit entfaltet, sollte der Expertenrat dem IKEM zufolge auch zu anderen Gelegenheiten Maßnahmen vorschlagen können. Zum Beispiel, wenn alle zwei Jahre seine Gutachten erscheinen oder Sondergutachten erstellt werden, wie etwa zum Verkehrssektor. 

"Warum macht der Bundeskanzler nichts?"

Da die Gesetzesnovelle die Gesamtverantwortung der Bundesregierung in den Vordergrund rückt, stellt sich die Frage, welche Rolle dem Bundeskanzler künftig zukommen wird. Das IKEM schlägt vor, eine Koordinierungsstelle im Bundeskanzleramt zu schaffen, die sich um die Kohärenz der Klimaschutzprogramme bemüht und Beschlussvorlagen verfasst. 

Auch schon jetzt könnte der Bundeskanzler beim Thema Klimaschutz von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen und sogar Einzelfallentscheidungen treffen. Olaf Scholz hat das bereits bewiesen, als sich FDP und Grüne beim Atomausstieg nicht einig wurden. "Wenn die Verantwortlichkeit im Gesetz festgeschrieben wird, entsteht auch mehr Handlungsdruck", sagt Michael Kalis vom IKEM. "Dann kann man fragen: Warum macht der Bundeskanzler nichts?" Auch die Ministerien wüssten so, dass der Bundeskanzler eingreift, wenn sie nicht tätig werden – sie wären zusätzlich zum Handeln motiviert.  

Verfehlungen verfassungsrechtlich bedenklich

Auch im Hinblick auf das Bundesverfassungsgericht ruft die Novelle Bedenken hervor. Denn eine Reihe an Verfassungsexperten sehen durch die Novelle des Klimaschutzgesetzes die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz gefährdet. Im März 2021 hatte das Gericht festgestellt, dass das Grundgesetz wirksame Maßnahmen gegen die Erderwärmung erfordere. Auch Umweltschützer werfen der Bundesregierung Rechtsbruch vor, weil ihr Klimaschutzprogramm nicht ausreiche, die Ziele im Klimagesetz zu erfüllen. Einem Gutachten von Agora Verkehrswende und Agora Energiewende (PDF) zufolge seien die Verfehlungen verfassungsrechtlich bedenklich. 

Der IKEM-Studie zufolge könnten Beschwerdeverfahren zu Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Klimaschutzgesetz beim Bundesverfassungsgericht eingeführt werden. Ein Parlamentsgesetz könnte es auch dazu ermächtigen, die Einhaltung der Verpflichtungen zu prüfen, die sich aus dem Klimaschutzgesetz ergeben. Zusätzlicher Druck entstünde, wenn Umweltverbände als Beschwerdesucher zugelassen würden. All das ist bisher in der Novelle nicht vorgesehen.

Nutzlos ohne Sanktionen

Die größte Schwachstelle des Klimagesetzes sind jedoch die fehlenden Sanktionsmöglichkeiten bei einem Verstoß. Mitglieder der Bundesregierung oder Haushaltssperren lassen sich nicht so einfach verhaften, weil sie ihre selbst gesteckten Ziele verfehlen. Auch drastische Maßnahmen wie Haushaltssperren sind verfassungsrechtlich schwer umzusetzen. 

Möglich wäre es hingegen, im Klimaschutzgesetz zu verankern, dass der CO₂-Preis automatisch ansteigt, wenn die Ziele verfehlt werden. "Wenn die Prognosen sich als falsch oder die getroffenen Maßnahmen als weniger wirksam erweisen als erhofft, könnten solche Instrumente greifen, bis die Bundesregierung mit anderen Programmen nachsteuert", sagt Kalis. Damit würde automatisch Druck zum Nachsteuern entstehen. 

Eine direkte Preiserhöhung für CO₂-Emissionen wäre europa- und verfassungsrechtlich schwierig. Leichter ließe sie sich über die Energiesteuer erreichen. Dafür müsste die CO₂-Intensität von Brennstoffen in deren Bemessungsgrundlage einfließen. 

Soziale Härten könnte das von der Koalition ohnehin versprochene Klimageld abfedern. Doch das auszuzahlen, sieht sich die Bundesregierung und vor allem der zuständige Minister Christian Lindner (FDP) noch nicht in der Lage. 2025 könnte das Geld an die Bürgerinnen und Bürger ausgezahlt werden – wenn alles glattläuft.

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