Dienstag, 26. September 2023

Erfolge für erneuerbare Energien

hier  im Spiegel 24.09.2023  Eine Kolumne von Christian Stöcker

Lauter erfreuliche Überraschungen

Die erneuerbaren Energien kommen nicht voran? Von wegen! Deutschlands Ausbauziel für Solarenergie dieses Jahr ist bereits erreicht, Solarzellen werden immer effizienter – und da geht noch mehr.

Über den Umbau unseres Energiesystems wird derzeit vor allem geschimpft: zu teuer, zu langsam, reicht alles nicht. Dabei gibt es bereits viele gute Nachrichten und dazu neue Gründe für Optimismus:

1. Das Solar-Ausbauziel 2023 ist schon erreicht

Die Bundesregierung hat es sich zum Ziel gesetzt, den Bruttostromverbrauch in Deutschland bis zum Jahr 2030 zu mindestens 80 Prozent aus erneuerbaren Energien zu decken. Schon jetzt beträgt der Anteil erneuerbar erzeugten Stroms  an der Gesamtlast mehr als 56 Prozent. Der Anteil an der Erzeugung liegt bei über 59 Prozent. Richtig – es ist noch viel zu tun. Das Gute: Neun Gigawatt waren als Ausbauziel für Solarstromkapazität für 2023 festgelegt. Tatsächlich wurde dieser Wert bereits vergangene Woche erreicht.

Nun ist das zu wenig, um den Bedarf unserer Volkswirtschaft zu decken. Erst recht in der Zukunft, wenn Verkehr, Gebäude und möglichst viele Industrieprozesse elektrifiziert sind. Für 2030 soll der Beitrag der Fotovoltaik bei 215 Gigawatt liegen, um den Bedürfnissen gerecht zu werden. Das bedeutet, der Ausbau muss jedes Jahr schneller werden.  Dazu sollen eine höhere Vergütung und steuerliche Förderung beitragen – aber es geht voran!

Zugegeben ist die Lage der Windenergie weniger erfreulich. Dort waren vergangene Woche erst 52 Prozent der angestrebten zusätzlichen Leistung von 3,9 Gigawatt erreicht. Ein Grund: Transportgenehmigungen für längst bereitstehende Bestandteile von Windkraftanlagen werden zu langsam erteilt . In den letzten drei Monaten des Jahres muss das Tempo dennoch dringend steigen. Helfen dürfte dabei, dass einige Genehmigungsprozesse vereinfacht worden sind.

2. Die Börsenstrompreise sind wieder gefallen

Sollten Sie immer noch 35 Cent pro Kilowattstunde oder mehr für Ihren Strom bezahlen, liegt das daran, dass Sie in einem teuren Vertrag feststecken. Neukunden zahlen schon wieder weniger als 30 Cent .

Nun mag mancher einwenden, der Strom in Deutschland sei damit noch immer besonders teuer. Das liegt aber vor allem daran, dass wir derzeit weiterhin auch teures Gas verheizen, um Strom zu erzeugen. Und den Preis bestimmt eben – das ist das Prinzip »Merit Order « – immer das Kraftwerk mit den höchsten Erzeugungskosten.

Es gibt schon jetzt Phasen, in denen der Strompreis null oder sogar negativ ist. Und Phasen, in denen die gesamte Last erneuerbar abgedeckt wird. Wenn Sie solche Zahlen interessieren, folgen Sie einfach diesem  und diesem  Twitter-/X-Account. Oder schauen Sie ab und zu bei der Fraunhofer-Plattform »Energy Charts « vorbei.

3. Preissturz bei Solarstrom und Speicherung

Die Preise für erneuerbare Energien fallen immer schneller, und zwar seit vielen Jahren. Immer wieder durchschlagen  die abstürzenden Kosten für Solar- und Windenergie die etwa von der Internationalen Energieagentur (IEA) vorhergesagte »Billiger wird’s jetzt aber nicht mehr«-Grenze.

Tatsächlich ist die Stromerzeugung aus Solarkraft binnen zehn Jahren um 87 Prozent günstiger geworden, das Speichern in Batterien um 85 Prozent. Das geht aus einer aktuellen Studie des Berliner Klimaforschungsinstituts MCC hervor, die im Magazin »Energy Research & Social Science«  erschienen ist. Auch Windkraft, Wärmepumpen und weitere fossilfreie Technologien erleben demnach einen starken Preisverfall. Wie das MCC berichtet, kosten Batterien bereits heute weniger als 100 US-Dollar je Kilowattstunde – »deutlich weniger, als in einer Publikation von vor zwei Jahren für das Jahr 2030 vorausgesagt wurde«, wie es in einer die Studie begleitenden Pressemitteilung heißt. Der Preisaufschlag für Batteriespeicherung, der Sonnenstrom in einem optimalen Mix flexibel verfügbar macht, soll laut den Autoren bis 2030 von aktuell 100 auf nur noch 28 Prozent sinken.

4. Solarzellen werden ergiebiger

Nicht alles Sonnenlicht, das auf eine Solarzelle trifft, wird in Strom umgewandelt. So lassen sich einfache Siliziumzellen zwar mittlerweile für wenig Geld herstellen, sie verarbeiten aber vor allem den roten und infraroten Frequenzbereich. Mehr als 29 Prozent Effizienz sind auf diese Weise nicht drin. Die effizientesten für Privatkäufer heute erhältlichen Siliziumzellen schaffen etwa 25 Prozent. Nun gibt es aber Materialien, die mehr können.

Ein besonders heißer Kandidat ist seit einigen Jahren eine Klasse von kristallinen Substanzen, die Perowskit genannt werden. Perowskit kann auch die blauen Lichtanteile in Strom verwandeln. Kombiniert man diese Materialien in einer Solarzelle mit Silizium in sogenannten Tandemzellen, gilt die genannte Obergrenze nicht mehr. Alle paar Monate wird ein neuer Effizienz-Weltrekord aufgestellt. Der aktuelle liegt laut der ständig aktualisierten Hitliste des National Renewable Energy Laboratory  der USA bei 33,7 Prozent Effizienz. Es gibt in der Aufstellung noch effizientere Techniken, aber die sind viel teurer und aufwendiger. Als gleich zwei Teams mit Tandemzellen die 30 Prozent durchbrachen, war das »Science« diesen Juli zwei  Fachartikel  und einen zusätzlichen Expertenkommentar  wert.

Weltweit arbeiten Forscherinnen und Forscher mehrerer Unternehmen sowie diverser anderer Einrichtungen an Perowskit- und Tandemzellen. Eike Köhnen vom Helmholtz-Zentrum Berlin – ein Team des Zentrums hielt im Juli vorübergehend den Weltrekord für Forschungs-Tandemzellen – schätzt auf Nachfrage: Es dauert maximal fünf Jahre, bis derlei Produkte marktreif sind. Aber es könnte auch viel schneller gehen.

Jedenfalls herrscht international weitgehende Einigkeit darüber, dass weitere Effizienzsteigungen nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich sind. Und eine marktreife, bezahlbare Solarzelle, die ein Viertel bis ein Drittel mehr Storm aus Sonnenlicht macht als die bislang Besten im Markt, das würde die Branche noch einmal nachhaltig verändern.

5. Erneuerbare Energien boomen weltweit

Ebenso unbestritten: Erneuerbare Energien sind weltweit auf Erfolgskurs. 80 Prozent der letztes Jahr zugebauten Kapazität für Stromerzeugung weltweit waren Bloomberg NEF zufolge  erneuerbar. Und 2022 wurde weltweit insgesamt mehr Kapazität zugebaut als je zuvor.

Laut dem Forschungsteam des MCC gibt es Berechnungen, »wonach der gesamte weltweite Energieverbrauch im Jahr 2050 komplett und kostengünstig durch Solar und andere Erneuerbare gedeckt werden könnte«, sagte Felix Creutzig, Leitautor der aktuellen Studie, in einer Mitteilung. Ein »extrem optimistisches Szenario«, wie er selbst einräumt. Aber es verdeutliche, dass eine fossilfreie Zukunft möglich sei.

Buchtipp: Christian Stöcker / Die Große Beschleunigung /Verlag: Pantheon

Sicherlich braucht es weiterhin vereinte Anstrengung, damit die erneuerbaren Energien auch wirklich über die fossilen Energien siegen. Der Weltmarkt ist extrem dynamisch – die mancherorts aktuell erwogene Einführung von Importzöllen für Solarmodule  ist deshalb etwa eine schlechte Idee. Was bremst, schadet. Und wir haben es ja eilig.

6. Jetzt kommt noch ein Beschleuniger dazu

Der Fortschritt findet also sehr wohl statt – schneller, als es manchmal den Anschein hat. Optimismus ist angebracht. Auch, weil exponentiell wachsende Märkte und exponentiell fallende Preise nun auf maschinelles Lernen als Werkzeug treffen. Fachleute gehen davon aus, dass künstliche Intelligenz als Exponentialturbo wirkt – maschinelles Lernen wird etwa für die weitere Optimierung von Perowskitzellen erst seit wenigen Jahren vermehrt eingesetzt. Die aktuellen Effizienzrekorde kamen noch ohne zustande.

Und stetig beschleunigte Entwicklungen haben eine besondere Eigenschaft: Sie sorgen immer wieder für Überraschungen.

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