Donnerstag, 28. September 2023

Blick nach Dänemark: „Wir machen einfach“

Focus hier 13.06.2023

Deutsche Riesen-Wärmepumpe versorgt 100.000 Menschen - aber in Dänemark

Während Deutschland über die Wärmewende debattiert, sind andere Länder schon weiter. In der dänischen Stadt Esbjerg soll eine Großwärmepumpe jetzt 100.000 Haushalte versorgen - aus deutscher Produktion. Die Diskussionen in der Bundesrepublik sorgen in Dänemark für Verwunderung.

Worüber Deutschland gerade erbittert debattiert, ist in Dänemark schon seit 2013 gängige Praxis. Seit zehn Jahren dürfen im nördlichen Nachbarland keine Öl- oder Gasheizungen mehr in Neubauten installiert werden. Die Dänen setzen stattdessen auf Fernwärme, die bereits zur Hälfte aus grüner Energie generiert wird und an die fast 70 Prozent der Haushalte angeschlossen sind. Der Rest heizt nach Daten der staatlichen Energieagentur vor allem mit Wärmepumpen.

Die 70.000-Einwohner-Stadt Esbjerg will jetzt beides kombinieren - mit deutscher Hilfe. In einer unscheinbaren Halle am Hafen soll bis Sommer 2024 eine sogenannte Großwärmepumpe entstehen, gebaut vom Augsburger Unternehmen MAN Energy Solutions. Der Riesenpumpe werden rund 4000 Liter Meerwasser pro Sekunde zugeführt, sogenannte Wärmetauscher entziehen dem Wasser ungefähr zwei bis drei Grad Wärme, mit deren Hilfe das Fernwärmenetz auf bis zu 90 Grad erhitzt wird. Das Wasser fließt dann wieder ins Wattenmeer zurück. Der Strom für diese Anwendung kommt aus der Windkraft - Esbjerg ist auch ein wichtiger Umschlagplatz für die großen Windparks in der Nordsee. 

„Wer jetzt handelt, ist vorn mit dabei“

Rund 100.000 Menschen sollen mit Hilfe der Großwärmepumpe ans Fernwärmenetz angeschlossen werden, ein Heizungsaustausch ist nicht nötig. Die Wärmepumpe soll das örtliche Kohlekraftwerk ersetzen, das gleich gegenüber der Halle liegt. Alleine das Abschalten des Kraftwerks spart nach Angaben der Stadt rund 60.000 Kilogramm CO2 pro Jahr. Bis 2030 will Esbjerg klimaneutral werden - 15 Jahre früher als die meisten deutschen Kommunen.

Die deutschen Debatten um die Wärmewende sind den Dänen fremd. „Wir reden nicht, sondern wir machen es einfach“, sagte Bürgermeister Jesper Frost Rasmussen im Mai dem "Spiegel“. „Und wir machen es schnell. Wer jetzt handelt, ist ganz vorn mit dabei, auf der Gewinnerseite.“ Rasmussen ist studierter Ingenieur, kennt sich also mit der Materie aus. Die Notwendigkeit ambitionierter Klimaziele, sagt der Bürgermeister, sei in Dänemark nichts mehr, das man ernsthaft diskutieren müsste.

Das große 100.000er-Ziel

Aber wieso verbauen die Augsburger von MAN ihre Großwärmepumpe bislang nur in Dänemark - und nicht in Deutschland? Immerhin verfügt die Bundesrepublik über eines der größten Fernwärmenetze in Europa. Doch das größte deutsche Projekt dieser Art, eine Flusswärmepumpe des Energieversorgers MVV in Mannheim, wird voraussichtlich nur 7000 Menschen zugute kommen - ein Bruchteil der Leistung der Esbjerg-Pumpe.

Dabei würden Großwärmepumpen auch politisch gut ins Konzept passen: Das Ziel sei, 100.000 Haushalte pro Jahr ans Fernwärmenetz anzuschließen, sagte Bauministerin Klara Geywitz (SPD) am Montagmorgen dem Fernsehsender n-tv. Bei einem Treffen mit Kommunen und Branchenvertretern wollten Geywitz und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Montag ein „deutliches Aufbruchssignal“ für den klimaneutralen Um- und Ausbau der Fernwärmeversorgung setzen.

„Mehr Quellen als wir brauchen“

Expertinnen und Experten sehen großes Potenzial. „Deutschland verfügt über mehr Umwelt- und Abwärmequellen als wir brauchen, um den gesamten Wärmebedarf für Temperaturen bis 200 Grad Celsius zu decken“, sagt Simon Müller, Direktor Deutschland von Agora Energiewende. „Mit Großwärmepumpen werden diese Wärmequellen großflächig für die Fernwärmeversorgung und in der Industrie nutzbar.“

Tatsächlich zeigen Berechnungen des Wirtschaftsministeriums, dass Großwärmepumpen bis 2045 mehr als 70 Prozent der Fernwärmeversorgung in Deutschland bereitstellen könnten. Geothermie, See- und Flusswasser, industrielle Abwärme, Abwasser, Kohlengruben, Rechenzentren - überall liegt Potenzial, um vom Erdgas loszukommen, das bislang noch die Fernwärme dominiert.

Der schlafende Riese

„In der Praxis vollzieht sich der Fortschritt der Wärmewende in Deutschland leider noch schleppend“, sagte jedoch Uwe Lauber, Vorstandsvorsitzender von MAN Energy Solutions, im Mai der „Berliner Zeitung“. Der deutsche Wärmemarkt sei ein „schlafender Riese“, die Technologie sei ebenfalls schon vorhanden - „jetzt müssen wir sie nur noch nutzen.“ Stattdessen heizten die Deutschen immer noch lieber mit Holzpelletöfen, so Lauber. „An denen ist aber nichts umweltfreundlich – es gibt also noch sehr viel zu tun.“

Für eine goldene Zukunft mit der Großwärmepumpe brauche es in Deutschland drei Dinge, erklärt Agora-Experte Müller. 

  • Erstens brauche es eine verbindliche kommunale Wärmeplanung - die wurde jedoch jahrelang verschlafen. 
  • Zweitens müssten erneuerbare Wärmeträger steuerlich endlich besser gestellt werden als die fossile Konkurrenz, wie es in Dänemark etwa der Fall ist. 
  • Und drittens brauche es eine Ausweitung des Angebots an Großwärmepumpen. 
Die Zeit drängt jedoch, mahnt Müller, schließlich hat sich Deutschland für das Jahr 2045 ehrgeizige Ziele gesetzt: „Es bleiben noch gut 20 Jahre bis zur Klimaneutralität.“

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