Süddeutsche Zeitung hier Von Jan Schmidbauer 31. August 2023
Wenn man so hört, was einige Politiker über Wasserstoff sagen, könnte man fast glauben, er würde alle Probleme lösen: auch beim Heizen und Autofahren. Technologieoffenheit? Manche Wissenschaftler sprechen lieber von technologischer Ahnungslosigkeit.
....Später an diesem Julitag wird der Verkehrsminister vor Kameras und Mikrofonen wiederholen, was er und seine Parteikollegen seit Monaten sagen. Dass Deutschland offen sein muss für den Wasserstoff, egal ob im Lkw oder im Pkw. Egal ob im Heizungskeller oder in der Industrie. „Wir arbeiten konsequent technologieoffen“, sagt Wissing.
Alles andere sei ja „Planwirtschaft“.
Kein chemisches Element kommt im Universum so häufig vor wie Wasserstoff. Und irgendwie gilt das mittlerweile auch für die politischen Debatten in diesem Land. Ob es um Heizungen geht, um den Straßenverkehr oder um den sogenannten Standort Deutschland: Ständig ist von dem Molekül mit der Abkürzung H2 die Rede. Nur wenn es darum geht, wofür es eigentlich gut ist, gehen die Meinungen ziemlich weit auseinander. Für die einen ist Wasserstoff der „Champagner der Energiewende“, viel zu kostbar, um ihn überall einzusetzen, weil er auf absehbare Zeit knapp und teuer bleiben wird und bestimmte Bereiche auf ihn angewiesen sind, die Stahlindustrie und die Schifffahrt zum Beispiel. Politiker wie Wissing erzählen eine andere Geschichte. Glaubt man ihnen, dann ist Wasserstoff etwas, von dem Deutschland überall profitieren könnte. Der Stoff, aus dem die Träume sind.
Das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie hat im Juni eine sogenannte Metastudie veröffentlicht, eine Zusammenfassung von zwölf aktuellen Wasserstoff-Studien. Vor allem zwei Bereiche werden besonders viel Wasserstoff brauchen, heißt es darin: die Industrie und die Energiewirtschaft. Die Industrie, weil sie ihn als Grundstoff braucht, um Stahl und bestimmte Chemikalien klimaneutral produzieren zu können. Allein das Stahlwerk von Thyssenkrupp in Duisburg steht für 2,5 Prozent des deutschen CO₂-Ausstoßes und soll dank Wasserstoff und Milliardensubventionen sauberer werden. Die Energiewirtschaft braucht Wasserstoff, weil sie damit die Versorgung sichern soll in einem Stromnetz ohne Kohle- und Atomkraftwerke. Wenn kein Wind weht und keine Sonne scheint, sollen Gaskraftwerke einspringen, die auch mit Wasserstoff betrieben werden können. Ohne Wasserstoff keine Energiewende, könnte man also sagen.
Ausgebremst? Jeder, der mag, könnte sich ein Wasserstoffauto kaufen – macht nur keiner
In dem Papier steht aber auch, wofür Wasserstoff eher nicht gebraucht wird: „Aus Gründen der Effizienz und verfügbarer Alternativen gehört ein H₂-Einsatz für die Beheizung von Wohngebäuden und als Kraftstoffbasis für das Pkw-Segment des Verkehrssektors aus heutiger Sicht nicht zu den als prioritär einzuordnenden Bereichen.“ Heißt: Man kann mit Wasserstoff Auto fahren. Man kann mit Wasserstoff auch heizen. Ergibt nur wenig Sinn, solange es effizientere Alternativen gibt. Strom zum Beispiel.
Trotzdem ist dieses Jahr fast die Regierung an der Frage zerbrochen, ob das Heizungsgesetz auch für wasserstofffähige Gasheizungen gelten soll. Trotzdem fährt Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger seit Monaten mit einem Wasserstoff-BMW durchs Land und sagt, dass Wasserstoff „ideologisch“ ausgebremst werde. Trotzdem warnt Volker Wissing in Gersthofen vor Planwirtschaft. Und die Frage ist: Warum eigentlich? Bremsen tut ja eher der Markt. Zum Beispiel beim Auto: Die Deutschen können Wasserstoffautos kaufen, diese Autos werden auch gefördert. Sie werden aber nicht gekauft. 198 Wasserstoff-Pkws wurden dieses Jahr bisher in Deutschland zugelassen, 362 534 Elektroautos. Und sogar der Ölkonzern BP, der Milliarden mit Wasserstoff verdienen will, geht davon aus, dass das so bleibt. In seinem „Energy Outlook“ hat er prognostiziert, wie viel Prozent der weltweiten Pkws bis 2035 mit Wasserstoff fahren werden: null.
„Der Markt entscheidet? Der hat schon entschieden“, sagt Volker Quaschning. Er sitzt mit einer Tasse Tee auf der Mensa-Terrasse und schaut auf die Spree. Quaschning ist Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, Fachbereich: Regenerative Energiesysteme. Wasserstoff? Wichtig für die Energiewende, sagt er. Aber nicht für alles.
Eines gleich vorweg: Wasserstoff ist nicht gleich Wasserstoff. Es gibt den sogenannten grauen Wasserstoff, der dem Klima nichts bringt, weil er aus fossilen Energien wie Erdgas gewonnen wird. Es gibt blauen Wasserstoff, der genauso entsteht, aber einen etwas besseren Ruf hat, weil das CO₂ bei seiner Herstellung nicht in die Atmosphäre gepustet, sondern unterirdisch gespeichert wird. Wirklich klimafreundlich und nachhaltig ist aber nur der Wasserstoff, der mit Strom aus Erneuerbaren erzeugt wird. Der grüne Wasserstoff. Auf den kommt es also an. Gerade der wird auf absehbare Zeit aber voraussichtlich knapp und teuer bleiben.
Volker Quaschning hat mehr als 130 000 Follower bei Twitter. Er ist Wissenschaftler. Er sagt aber auch gern seine Meinung. Und seine Meinung ist, dass die Menschen gerade in falsche Entscheidungen getrieben werden. „Das ist das Fatale daran“, sagt er. „Diese Skrupellosigkeit.“ Das Heizungsgesetz war ja das beste Beispiel. CSU-Chef Markus Söder sagte, dass der Einbau einer Wärmepumpe bis zu 300 000 Euro kosten könnte. Wo er diese Zahl herhat, sagte er nicht. Der FDP-Abgeordnete Frank Schäffler bezeichnete das Heizungsgesetz als „Atombombe“ für Deutschland, ein Parteikollege sprach von einer „Wärmepumpen-Ideologie“. Und jetzt? Ist der Absatz von Wärmepumpen eingebrochen. Kein Wunder, wenn ständig von Technologieoffenheit die Rede ist und eine besonders effiziente Technologie wie die Wärmepumpe in die „woke, grüne Spinnerecke“ gestellt wird. So nennt Quaschning das.
Und weil in den Kommentarspalten auch der Professor öfter mal in diese Ecke gestellt wird, sollte man die Sache mit der vermeintlichen Alternative Wasserstoff jetzt besser auf ein paar nüchterne Zahlen runterkochen, angefangen vielleicht erst mal mit dem Wasserstoffauto. Nur wenige Hersteller bieten überhaupt welche an, Toyota zum Beispiel oder Hyundai. Der BMW, mit dem Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger rumfährt, ist nur ein Prototyp. 100 SUVs hat BMW umgerüstet. Ob das Auto in Serie geht, will das Unternehmen 2024 entscheiden. Die Münchner tüfteln noch an Wasserstoff-Pkws, während VW und Mercedes sich weitgehend davon verabschiedet haben. Ist ja auch kompliziert, zumindest wenn man das Auto mit grünem Wasserstoff betreiben will.
Der muss erst mal hergestellt werden. Dafür wird Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt, mit sogenannten Elektrolyseuren, die sehr viel Strom dafür brauchen. Anschließend müssen die Wasserstoffmoleküle auf einen Druck von bis zu 700 Bar komprimiert werden, damit genug in den Tank passt.Wenn der Wasserstoff dann im Auto ist, wird er mithilfe einer Brennstoffzelle noch einmal umgewandelt, in Strom.
Um es kurz zu machen: Man verbraucht große Mengen Strom, um Wasserstoff zu gewinnen, verbraucht weitere Energie, um ihn zu komprimieren. Und danach wandelt man ihn wieder um, nur um das zu bekommen, womit ein Elektroauto rumfährt: Strom.
Der große Vorteil ist, dass so ein Wasserstoff-Auto keine schweren Batterien braucht und in wenigen Minuten vollgetankt werden kann. Der große Nachteil ist, dass sehr viel Energie verloren geht, bis so ein Auto mal fährt. Der Energieaufwand sei zwei- bis dreimal so hoch wie bei einem Elektroauto, sagt Volker Quaschning. Noch ineffizienter seien die E-Fuels, mit denen die FDP den Verbrenner am Leben halten will. Faktor fünf. Mindestens.
Entsprechend irre und gefährlich findet Quaschning, wie die Autonation Deutschland sich gerade verheddert in Debatten um E-Fuels und Wasserstoff, während der Markt schon anders entschieden hat. Auf der IAA in München dürfte es kommende Woche jedenfalls nicht um Wasserstoff und E-Fuels gehen, sondern eher darum, ob die deutsche Autoindustrie mit Tesla und chinesischen E-Auto-Herstellern überhaupt noch mithalten kann. Gibt es die deutschen Autokonzerne und ihre gut bezahlten Jobs in zehn Jahren noch? „Damit spielen wir in Deutschland“, sagt Quaschning.
Draußen auf der Spree ziehen jetzt ein paar Ruderer vorbei. 30 Grad sollen es heute werden, und Volker Quaschning würde jetzt gerne mal über das Klima reden. Es geht hier ja nicht nur um Effizienz und um Kosten, sondern um alles. Wenn man den Autoverkehr mit einbezieht, die Industrie und die Heizungen, sagt er, dann decken die Erneuerbaren bislang nur 20 Prozent des deutschen Energiebedarfs. Bis 2045 sollen es 100 Prozent werden. Wird eh sauschwierig. „Alles, was es zusätzlich erschwert, macht es am Ende unmöglich“, sagt er.
Selbst Verbraucherzentralen warnen vor wasserstofffähigen Gasheizungen, die könnten sehr teuer werden.Gilt übrigens auch für Heizungen. Der Energieaufwand für eine Wasserstoffheizung sei etwa fünfmal so groß wie für eine Wärmepumpe, sagt er. Das sind so die Sachen, die ihm durch den Kopf gehen, wenn er das Wort Technologieoffenheit hört. „Man kann es auch mit technologischer Ahnungslosigkeit übersetzen.“
Wasserstoff-Fans argumentieren an dieser Stelle anders als Volker Quaschning. Sie sagen, dass die Effizienz zweitrangig ist, solange es genug überschüssigen Wind- und Solarstrom gibt, um grünen Wasserstoff herzustellen. Die Frage ist nur, ob und wann es den wirklich geben wird. Noch mal Zahlen. Bis 2035 wird grüner Wasserstoff nur ein Prozent des weltweiten Energiebedarfs decken können, heißt es in einer Studie. Und in der Nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung steht, dass Deutschland bis 2030 nur zu 30 bis 50 Prozent seines eigenen Bedarfs an grünem Wasserstoff decken kann. Es müssen also gewaltige Mengen mit Schiffen importiert werden. Ist möglich und auch geplant, fünf Milliarden Euro will die Bundesregierung dafür in den kommenden Jahren ausgeben. Macht den grünen Wasserstoff allerdings nicht billiger.
In Gersthofen steht Verkehrsminister Wissing jetzt vor einem Wasserstoff-Lkw, ....
Schwer zu sagen, ob sich diese Investitionen lohnen werden. In manchen Bereichen ist noch gar nicht klar, welche Rolle Wasserstoff spielen wird. Der Lkw-Verkehr ist so ein Bereich. .....
Wasserstoff ist ein wichtiger Markt, ein riesiger Markt, auch für die deutsche Wirtschaft. Die Sache ist nur, dass in der Diskussion um Wasserstoff so viel vermischt wird wie in einer Cocktailbar. Dabei ist die Sache bei den Heizungen und den Autos ja sehr viel eindeutiger als bei den Lkws. Die Verbraucherzentralen bezeichnen die wasserstofffähige Gasheizung als „Scheinlösung“. Sie warnen die Menschen sogar davor, sich eine einzubauen, weil das noch sehr teuer werden könnte. Und die Frage ist, warum die Politik den Menschen trotzdem nahelegt, dass eine Wasserstoffheizung eine gute Alternative sein könnte.
Volker Quaschning glaubt, dass es um wirtschaftliche Interessen geht. Zum Beispiel um die Interessen der Gaslobby, die es sicher prima fände, wenn sie ihr milliardenschweres Gasnetz weiter nutzen könnte, und sei es für Wasserstoff. Aber es gehe auch um Gefühle, sagt er, um Ängste. „Wir müssen uns nicht verändern“, das sei die „Story“, die den Menschen erzählt wird, sagt Quaschning. Getankt wird in drei Minuten. Und im Keller steht eine Gasheizung.
Ist ja alles genau so weiterhin möglich, solange die Gasheizung H₂-ready ist, also umrüstbar auf Wasserstoff. So hat es die Regierung nach monatelangem Streit entschieden. Technologieoffen. Nur: Wenn sich die Technologie nicht durchsetzt und der Wasserstoff teuer bleibt, haben diejenigen, die jetzt daraufsetzen, wenig davon, außer einer neuen Heizung und einer hohen Rechnung vom Energieversorger. Der Union geht aber auch das entkernte Heizungsgesetz zu weit. Markus Söder hat jedenfalls schon versprochen, das neue Heizungsgesetz wieder abzuschaffen, falls die Union die nächste Bundestagswahl gewinnt.
Volker Quaschning muss gleich los, seine Studenten schreiben heute eine Klausur. Für Söder gibt’s aber heute schon eine Art Zeugnis vom Professor. „Mich würde interessieren, wie er dann das Klimaschutzgesetz einhalten will“, sagt Quaschning.
„Verstehen die es nicht oder ist es ihnen so egal?“
So viel zur Sicht eines Wissenschaftlers. Und jetzt zur Sicht eines Praktikers.
Ein Freitag im Juli, später Nachmittag. Die meisten sind schon im Feierabend bei den Stadtwerken. Florian Bieberbach ist noch bei der Arbeit und sitzt in einem Besprechungszimmer in der 6. Etage mit Blick auf München. Die Stadt, die er mit Energie versorgen muss. Klar macht er sich Gedanken, wie das am wirtschaftlichsten funktioniert. Das ist sein Job. Und eigentlich sollte man annehmen, dass der Stadtwerke-Chef ein Interesse daran hat, dass in Zukunft mit Wasserstoff geheizt wird. Auch sein Unternehmen betreibt ja ein Gasnetz, durch das theoretisch mal Wasserstoff strömen könnte. Aber Florian Bieberbach sagt: „Wir kommen immer wieder zu dem Schluss, dass Wasserstoff nur für einen sehr kleinen Teil sinnvoll sein wird.“ Fünf Prozent, maximal.
Auch der Praktiker beruft sich dabei auf die Wissenschaft, auf viele Studien. Eine davon ist 300 Seiten lang, heißt „Klimaneutrale Wärme München 2035“, und was da drinsteht, spricht überhaupt nicht gegen Wasserstoff, aber gegen den Einsatz von Wasserstoff in Heizungen. Weil grüner Wasserstoff selbst 2040 noch sehr knapp bleiben wird zum Beispiel. Sehr teuer. Und weil bei der Erzeugung viel Energie verloren geht.
Dass Wasserstoff nicht nur das häufigste Molekül im Universum ist, sondern auch das kleinste und durch alle Ritzen kriecht, ist übrigens nicht das Problem, sagt er. Die Leitungen umzurüsten, das würden sie hinkriegen. „Das Problem ist das Kostenthema.“
Es ist halt einfach so, dass Wärmepumpen in Sachen Effizienz kaum zu schlagen sind
Ist oft beschrieben worden, dass Wärmepumpen nicht billig sind. Aber was die Effizienz angeht, sind sie kaum zu schlagen. Aus einer Kilowattstunde Strom macht die Wärmepumpe drei bis vier Kilowattstunden Wärme, weil sie zusätzliche Energie aufnehmen kann, zum Beispiel aus der Umgebungsluft. „Das ist ja gerade der Witz der Wärmepumpe“, sagt Bieberbach.
Er ist kein grüner Fundamentalist. Er ist Stadtwerke-Chef. Bieberbach schaut von hier oben mit verschiedenen Perspektiven auf die Welt. Er sagt zum Beispiel, dass die Heizungspläne der Grünen am Anfang zu extrem waren. Und er sagt auch, dass Wasserstoff in ganz bestimmten Fällen auch zum Heizen geeignet sein könnte. Zum Beispiel in Kommunen, in denen ohnehin ein Wasserstoffnetz für einen großen Industriekunden gebaut werden muss.
Wie in diesem Land über die Wärmeversorgung gestritten wurde, hat ihn dann aber doch überrascht. Heizungshammer? „Die Debatte ist leider über lange Strecken sehr unsachlich geführt worden“, sagt Bieberbach. Und die Verunsicherung landet auch hier. Es reicht eine Bierzeltrede, schon rufen die Leute an bei den Stadtwerken: Habt ihr jetzt auch Wasserstoff?
Wenn man Florian Bieberbach zuhört, ist die Sache jedenfalls klar. Eine H₂-ready-Therme, sagt er, eine wasserstofffähige Gasheizung, würde er momentan niemandem empfehlen.
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