Morgenpost hier 15.09.2023, Jana Treffler
Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer ist das mediale Gesicht der Fridays For Future-Bewegung. An der Basis sind nach wie vor viele sehr junge Menschen aktiv.Zehntausende gehen in Berlin am globalen Klimastreiktag auf die Straße. Soziale Gerechtigkeit rückt in den Fokus des Protests.
„Wer von euch geht eigentlich zur Schule?“ Fast alle vor der Bühne am Brandenburger Tor heben die Hand. Der „13. Globale Klimastreik“ der Klimabewegung Fridays For Future (FFF) wird an diesem Freitagmittag vor allem von den jüngsten Berlinerinnen und Berlinern getragen: Den Schülern. Nach Schätzungen der Polizei waren in Berlin 12.500 auf der Straße, nach der Zählung durch FFF sogar 24.000, um mit dem Slogan „EndFossilFuels“ für eine Verschärfung des Klimaschutzgesetzes und die Einführung des Klimageldes zu protestieren.
Mit 250 Aktionen in Deutschland und 750 weltweit begeht die internationale Bewegung nach eigenen Angaben den Klimastreiktag. In Deutschland hat ein breites Bündnis aus 150 zivilgesellschaftlichen Organisationen, darunter die Naturschutzverbände, aber auch Gewerkschaften aufgerufen.
13. Klimastreik: Soziale Gerechtigkeit im Fokus
In dem Aufruf und den Redebeiträgen wird die Klimagerechtigkeit stärker in den Fokus gerückt. Als Instrument dafür sieht FFF das Klimageld. Die Umverteilungsmaßnahme soll bei einer stärkeren CO2-Bepreisung einen sozialen Ausgleich schaffen. Eigentlich war das Instrument schon von der Ampelkoalition geplant, wurde bisher jedoch nicht umgesetzt. Dass das jetzt passiert, ist eine der Forderungen von FFF.
Überhaupt klingen die Forderungen an diesem Klimastreiktag sehr nach: Bundesregierung, bitte die eigenen Hausaufgaben erledigen. In ihrem von den Demonstrierenden bejubelten Redebeitrag zielt Luisa Neubauer in eine ähnliche Richtung. Sie greift Olaf Scholz dafür an, dass die Bundesregierung ihre eigenen Projekte nicht umsetze. „Das sind Ihre Klimaziele, nicht unsere“, sagt sie und ermahnt ihn, die eigenen Ziele einzuhalten. Es sei ein Skandal, dass FFF nach fünf Jahren der Proteste immer noch auf die Straße gehen müsse.
Bundesregierung entkerne Klimaschutzgesetz
Den Kohleausstieg und das Klimaschutzgesetz sehen die Aktivistinnen und Aktivisten als ihren Verdienst, doch diese Projekt würden nun entkernt und verwässert. „Die Dinge die wir erkämpft haben, werden jetzt abgeschwächt“, so auch die Berliner FFF-Sprecherin Clara Duvigneau, „die Sektorziele wurden abgeschafft, das können wir nicht dulden und deswegen stehen wir heute hier.“
Wurde FFF in die Rolle der Mahner gedrängt, die die Regierung dauernd an die eigenen Versprechen erinnern muss? Der Adressat der Forderungen ist bei FFF ganz klar der Staat, aber der sitzt schließlich auch – wenn er denn wollte – am Hebel. Die Frustration darüber, wie langsam diese Hebel in Bewegung gesetzt werden, muss riesig sein. Das Mittel dagegen: Weiterprotestieren. So sieht es zumindest Duvigneau. Aktiv zu sein helfe ihr aus der „Krisenohnmacht“, erzählt die FFF-Sprecherin am Rande der Demonstration am Freitag in Berlin.
Fridays For Future: Jung und professionell
Kein Wunder, dass die Sprecherin einer so junge Bewegung selbst noch sehr jung ist. Clara Duvigneau ist 21 Jahre alt, studiert Ökologie und Umweltplanung an der TU Berlin und ging schon als Schülerin mit FFF auf die Straße, seit drei Jahren ist sie in der Bewegung aktiv. Inzwischen als absoluter Profi. Beim Interview sieht sie ihrem Gegenüber fest in die Augen und argumentiert ohne Stolperer, warum die Bewegung so wichtig sei.
Als Berliner Sprecherin hat sie auch etwas zur Berliner Landespolitik zu sagen: „Wir kritisieren sehr stark die Verkehrspolitik der Berliner Landesregierung.“ Es müsse massiv in den sicheren Rad-, Fuß-, und Öffentlichen Personennahverkehr investiert werden und nicht Riesenprojekte in wie die A100. Auch das könne und wolle man nicht dulden.
Klimasondervermögen am liebsten auch auf Bundesebene
Das Berliner Klimasondervermögen hält Duvigneau für eine sinnvolle Idee. Beim Klimastreik 2022 hatte FFF ein Klimasondervermögen auf Bundesebene in der Höhe von 100 Milliarden Euro gefordert, analog zu den 100 Milliarden für die Bundeswehr. Das sei „leider noch nicht umgesetzt worden“.
Immer wieder berichteten Medien zuletzt über eine Krise bei FFF, der Bewegung drohe der Bedeutungsverlust. „Es ist selbstverständlich, dass der Hype nach fünf Jahren sozialer Bewegung nicht mehr der gleiche ist wie am Anfang“, äußert sich dazu Duvigneau. Trotzdem ist sie der Ansicht, dass die Mehrheiten für Klimaschutz da seien. Eine aktuelle Umfrage des ZDF-Politikbarometers gibt ihr in diesem Punkt recht. Eine Mehrheit unterstützt demnach die Klimaproteste, zweifelt jedoch an deren Wirksamkeit.
Kampagne von Fridays For Future und Verdi
Auch die neue Ausrichtung mit stärkerem Fokus auf soziale Gerechtigkeit und die Kooperation mit Gewerkschaften könnte als neue Strategie von FFF gesehen werden. Ein Beispiel ist die Kampagne „Wir fahren zusammen“ von Verdi und FFF, die die Beschäftigten im Nahverkehr bei ihren Tarifverhandlungen 2024 unterstützt. Die Annahme ist, dass bessere Arbeitsbedingungen im Nahverkehr und eine ökologische Verkehrswende untrennbar zusammenhängen.
Die Zusammenarbeit zwischen Verdi und FFF war bereits zu den Tarifverhandlungen 2021 angedacht gewesen, war dann aufgrund der Corona-Pandemie nie richtig ins Rollen gekommen, wie ein Verdi-Funktionär 2023 in einem Interview erklärt. Parallel zum Klimastreik startet nun eine Unterschriftensammlung im Rahmen der Kampagne.
FFF unterstützt Tarifverhandlungen 2024 im ÖPNV
Ziel der Unterschriftensammlung sei es, eine breite gesellschaftliche Mehrheit für einen gut ausgebauten und funktionierenden ÖPNV zu gewinnen, heißt es in einer Mitteilung von Verdi und FFF. Etwas kämpferischer klingt da der Redebeitrag einer Kampagnensprecherin beim Klimastreik: „Sonst legen wir das ganze Land lahm“, erinnert sie an die Streikmacht der ÖPNV-Beschäftigten.
„Menschen, die Klimaschutzmaßnahmen mittragen müssen, sollten im besten Fall von den Maßnahmen profitieren“, so Duvigneau über Gerechtigkeit beim Klimaschutz. Wer viel habe, könne auch mehr geben. Weiterhin Massenproteste und Bündnispolitik im Zeichen der Klimagerechtigkeit – die neue Strategie von FFF zielt darauf ab, weiterhin eine breite Klimabewegung zu bleiben.
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