Handelsblatt hier Hans-Jürgen Jakobs 06.06.2023
Rezension Klimawandel – Die Erde am Rand einer Katastrophe
Immer wieder haben Eruptionen das Klima beeinträchtigt. Diesmal erschwert aber ein neuer Aspekt die Situation – das zeigen zwei Neuerscheinungen zum Dauerthema Ökologie.
Jimmy Carter, 98, ist der vielleicht am meisten unterschätzte US-Präsident der vergangenen 100 Jahre. 1977, in seinem zweiten Amtsjahr, versprach der Staatschef, von Erdöl und Erdgas wegkommen zu wollen. Er plane die Umstellung auf saubere Energiequellen, auf Windkraft, Sonnenenergie und Erdwärme. „Die Welt ist nicht auf die Zukunft vorbereitet“, verkündete der Erdnussbauer aus Georgia.
Mit einem steuerfinanzierten Green-Energy-Programm scheiterte der Politiker der Demokraten danach an allen Fronten: vor allem an der mächtigen Öllobby und an Ronald Reagan. Der industriefreundliche Republikaner gewann 1980 die Wahl mit dem Versprechen von Freiheit und einem Stopp sozialistischer Hirngespinste.
Wenn Ihnen das womöglich – angesichts der hierzulande erregt diskutierten Hauruck-Methodik von Robert Habeck – bekannt vorkommt: Schon vor mehr als vier Dekaden wollten die Wähler von unbequemen Wahrheiten eben möglichst wenig wissen.
Seitdem haben sich die ökologischen Warnwerte – die Erwärmung der Erde, der Stand des Meerwasserspiegels, die Geschwindigkeit der Gletscherschmelze – rapide und drastisch erhöht. Die Klimakatastrophe produziert als Krise aller Krisen mit geradezu beängstigender Zuverlässigkeit Horrornachrichten von Flut- und Hitzeopfern.
Das Sujet ist demzufolge wie kaum ein zweites in den Büchermarkt eingedrungen – gedruckte Erkenntnishilfe im Überlebenskampf.
Oxford-Historiker zu Klimawandel: Der Kipppunkt sei vielleicht schon erreicht
Unter den aktuellen Neuerscheinungen zum Dauerthema Ökologie fallen ein dickes Sachbuch und ein schlankerer Roman auf: „Zwischen Erde und Himmel“ des stocknüchternen, ins Faktische verliebten Oxford-Historikers Peter Frankopan sowie „Blue Skies“ des leicht schrillen US-Romanciers T. C. Boyle.
Es geht beide Male um höhere Konflikte, um einen Himmel, der eben nicht mehr blau ist, sondern dunkel oder feuerrot. Ein Himmel, der auch nichts mehr verspricht, weder unbeschränkte Lebensfreude oder verlässliche Routine des Alltags noch irgendeine Erlösung. Frei nach Bertolt Brecht: Die Verhältnisse, die sind nicht so. Sie lassen vielmehr noch viel Schlimmeres befürchten, lernt man aus den beiden Büchern.
Der britische Gelehrte Frankopan, ausgewiesen mit Arbeiten über die Seidenstraße und Kreuzzüge, legt auf gut 1000 Seiten eine Menschheitsbetrachtung vor, in der keine Periode, kein wichtiges Reich unkommentiert bleibt. 4,5 Milliarden Jahren vergehen wie im Fluge. Man ist in diesem Opus magnum immer auf dem Sprung zwischen untergegangenen und untergehenden Imperien, zwischen Bronzezeit, Achsenzeit und Anthropozän, meistens unter dem Blickwinkel des Klimas, dem der Autor freilich immer wieder mal zu wenig Aufmerksamkeit schenkt.
Es treibt ihn halt in jede Ecke der Historie. Ist ja auch alles sehr komplex, das globale Klima ist keinesfalls homogen, und die eine große Weltformel gibt es auch nicht – wohl aber genügend Verständnishinweise in diesem verständlich geschriebenen Lehrbuch. Die Selbstgewissheit des Verfassers: Der Historiker lernt aus dem Blick zurück.
Mit Geschichten über den sauren Regen und Atomgefahren ist der 52-jährige Frankopan groß geworden. Nun resümiert er: Wir stehen am Rand einer Katastrophe, „wir spielen mit unserer Zukunft“. Eines habe sich über all die vielen Jahre auf der Erde nämlich nicht geändert: Die natürliche Umwelt und das Klima gäben den Rahmen für unsere Existenz vor.
Es präge das Schicksal der Erde von Anbeginn der Zeit. Der Klimawandel bestimme dabei etwa die Lagerstätten von Rohstoffen wie Kohle, Erdöl und Erdgas. Wir lesen uns durch eine Chronik von Naturlaunen: Mal gab es beispielsweise 6150 v. Chr. einen Tsunami vor Norwegen, dann wiederum kollabierte 2200 v. Chr. in Mesopotamien während einer längeren Trockenphase das Reich von Akkad. Und rund 600 Jahre später beförderte ein gigantischer Vulkanausbruch auf der ägäischen Insel Santorini den Ausbruch des Pockenvirus.
Immer wieder haben solche Eruptionen das Klima beeinträchtigt. Aber auch der Mensch hat mit brutalstmöglicher Inkompetenz die Problemlage verschärft, sei es durch exzessive Wassernutzung, Abholzen der Wälder, extreme Verstädterung oder Ressourcennutzung mithilfe von Bergwerken, auch ein Phänomen der Kolonialisierung: „In dieser Phase der Geschichte war Profit der Motor. Er war es, der zum Umbau der Macht, zur Verformung der Natur und schließlich zum Klimawandel selbst führte“, schreibt Frankopan.
Es geht in diesem Buch um das „verlorene Paradies“, an einer Stelle schreibt der Autor vom „begrenzten Garten“. Schon immer haben Warm- und Kaltphasen das Werden und Sterben von Reichen begleitet, denkt man nach der Lektüre, und schon immer haben Menschen mit Überbewirtschaftung Böden vernichtet und somit Unheil geschaffen.
Nun aber kommen viel zu viele Treibhausgase hinzu, produziert in Städten, entstanden durch Verkehr, Gebäude, Müllbeseitigung oder auch Klimaanlagen. Schließlich verbrennen allein die Saudis täglich 700.000 Fass Öl, bloß um ihre Innenräume zu kühlen. Der Kipppunkt sei vielleicht schon erreicht, warnt Frankopan, „was wir allerdings nicht sagen können, ist, dass wir nicht gewarnt worden seien“.
Klimawandel: Die Apokalypse ist schon da
Wer dieses Warn-Buch liest, hat schon mal die wissenschaftliche Basis für die „Hurra, wir leben noch“-Dystopie von T. C. Boyle zur Hand. Man weiß dann vorab, dass in den USA vier Millionen Wohnhäuser gebaut werden in Regionen, die von Fluten und tropischen Wirbelstürmen bedroht sind. Dass in Florida jedes sechste Einfamilienhaus in Überschwemmungsgebieten steht und dass bis 2053 – also in 30 Jahren – auf einem Viertel der amerikanischen Fläche im Sommer mehr als 50 Grad gemessen werden.
Bei Schreckensmaler T. C. Boyle ist die Apokalypse schon da. Sie ist Teil des Lebens wie Ketchup oder Frühstücksmarmelade. In seiner Erzählung wird eine Familie aufgerieben zwischen den Polen des Umwelt-GAU.
Hier die beständige Wasserinvasion in Florida, wo das „All American Girl“ Cat mit ihrem nichtsnutzigen Barcardi-Promotionsboy Todd lebt, dort das Ofenfeuer-Klima Kaliforniens, wo ihre Eltern Ottilie und Frank sowie Bruder Cooper beständig den nächsten Waldbrand fürchten müssen.
Man lebt in diesem unwirtlichen L. A. im Bewusstsein, dass der Planet stirbt („Siehst du das nicht?“), ernährt sich aber zur Gegenwehr immerhin von Grillen, frittierten Heuschrecken und Würmern, meidet also konsequent Fleisch („Alles für die Rinder“), recycelt unentwegt und lässt sich papierlose Rechnungen schicken.....T. C. Boyle hat schon bessere Romane geschrieben. Er verirrt sich hier doch zusehends in einer immer absurderen Zeitgeist-Welt, in der die Trivialität der Handelnden mit der Schwere der Gefahr aufs Ärgste kontrastiert....
Sachbuch-Kollege Frankopan sieht auch Zeichen des Optimismus, hält grüne Investitionen für chancenreich, mahnt aber Eile an. Er fürchtet Wettermanipulationen durch China, Saudi-Arabien und die USA, um so künstlich Regen zu erzeugen, er thematisiert die starke Fraktion der Klimaskeptiker à la Donald Trump und lässt schließlich Partha Dasgupta so etwas wie das Schlusswort sprechen. Die Staaten der Welt, so der Ökonom aus Bangladesch, würden das Problem verschärfen, „indem sie Menschen für die Ausbeutung der Natur besser entlohnen als für deren Schutz“.
Sein Resümee: Wir benötigen 1,6 Erden, um unseren Lebensstandard zu halten. Diese Rechnung kann nicht aufgehen. Das wusste schon Jimmy Carter.
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