Montag, 19. Juni 2023

Was lässt sich aus vier Monaten Heizungsdebatte für die Klimapolitik lernen?

Freitag hier

Wärmewende Die Heizungsdebatte hat die Ampel arg strapaziert. Und Fragen aufgeworfen: Sind Verbote der falsche Weg? Wäre ein rein markt-basierter Ansatz besser? Und wie ginge soziale Klimapolitik? Ein Gespräch mit dem Wirtschaftsweisen Achim Truger

Der Wirtschaftsweise Achim Truger ärgert sich auf Twitter (@AchimTruger) über zu spät kommende Züge, kocht Lasagne und nennt die Schuldenbremse den „größten finanzpolitischen Fehler in der Geschichte der Bundesrepublik“

Deutschland hat jetzt vier Monate so intensiv wie noch nie über das Heizen diskutiert. Die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes wurde auf den letzten Metern doch noch beschlossen, hat aber die Ampel-Koalition an den Rand einer Regierungskrise geführt. Was lässt sich für die Klimapolitik daraus lernen? Im Gespräch mit dem Wirtschaftsweisen Achim Truger versuchen wir, die Debattenlage etwas zu entwirren.

der Freitag: Herr Truger, die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes ist jetzt mit Ach und Krach doch noch beschlossen worden. Wie haben Sie die ganze Diskussion darüber wahrgenommen?

Achim Truger: Da sind die Wogen der Aufregung extrem hoch gegangen. Klar wurden einige Aspekte vom Wirtschaftsministerium nicht so gut kommuniziert, und es war wohl noch nicht alles ganz zu Ende gedacht. Es ist auch klar, dass sich die Menschen vor Überforderung sorgen. Aber mir scheint, dass die Aufregung zum Teil auch bewusst durch Desinformation geschürt wurde, aus politischen und weltanschaulichen Gründen. Als ob jetzt alle quasi morgen gezwungen würden, ihre Heizung auszutauschen... Ich meine, es ist häufig so, dass derartige Vorhaben in der Politik kontrovers diskutiert werden und dabei auch nicht immer sauber argumentiert wird. Aber hier ging es offenbar wirklich ans Eingemachte, es prallten Weltanschauungen aufeinander: Auf der einen Seite die, die sehr engagiert für die Klimapolitik kämpfen. Und auf der anderen Seite wohl auch Leute, die der Meinung sind, dass wir in Deutschland eigentlich zu viel Klimaschutz betreiben. Das hat zu einer starken Polarisierung geführt und zu der Schwierigkeit, über die richtigen klimapolitischen Instrumente eine vernünftige Diskussion zu führen.

Mit etwas Abstand betrachtet hat in dem ganzen Prozess, seitdem im März der Entwurf für die Novelle des Gesetzes geleakt wurde und damit eine Kampagne von Springer, FDP und CDU-CSU gegen das Gesetz begonnen hat, auch Klimapolitik via Ordnungsrecht ziemlichen Schaden genommen, finden Sie nicht? Das Ergebnis ist, dass jetzt viele sagen: Ordnungsrecht ist Verbotspolitik, ihr seht doch, zu welchen Verwerfungen das führt. Auf einmal scheint für viele die Alternative dazu attraktiv, also ein marktbasierter Ansatz, bei dem durch eine CO₂-Bepreisung und eine Kappung der erhältlichen CO₂-Zertifikate, also der Verschmutzungsrechte, die Klimaziele erreicht werden sollen: Der Markt regelt das dann über die CO₂-Bepreisung alleine, niemand wird gequält mit irgendwelchen Verboten, sondern alle entscheiden sich ganz von alleine für die effizienteste, emissionsärmere Alternative.

Ehrlich gesagt überrascht mich, dass jetzt so darüber debattiert wird. Muss man denn das Rad jedesmal wieder neu erfinden? Ich hätte gedacht, dass wir da schon weiter sind.

Das müssen Sie jetzt genauer erklären.

Diese klimapolitische Debatte – marktbasiert vs. ordnungsrechtlich – ist mir tatsächlich schon vor 30 Jahren zum ersten Mal begegnet, als „Instrumentendiskussion“, als es um die Ökosteuerreform ging. Und jetzt fangen wir wieder quasi bei Null an?


Markt-basierte Klimapolitik vs. Ordnungspolitik,

das ist völlig verkürzt.

Natürlich brauchen wir beides!


Das mag sich für Sie als Experten so anfühlen, aber für viele Menschen wird jetzt Klimapolitik zum ersten Mal wirklich spürbar, in den eigenen vier Wänden. Und weil das Heizungsgesetz als Verbotsgesetz so viel Ärger verursacht hat, gewinnt die angebliche Alternative Auftrieb.

Nun gut, dann müssen wir das tatsächlich noch mal diskutieren. Ich glaube, dass das völlig verkürzt ist, wenn wir die Diskussion jetzt als Entweder-Oder Frage angehen: markt-basierte Klimapolitik oder Ordnungspolitik. Natürlich brauchen wir beides! Wir brauchen sowohl ordnungsrechtliche Vorgaben, und manchmal auch Verbote, als auch einen CO₂-Preis. Und als drittes Element brauchen wir öffentliche Unterstützung bei der Infrastruktur und Förderprogramme, um die Transformation sozial abzufedern. Am Ende geht es eigentlich nur um eine Frage der Gewichtung. Das wäre aus meiner Sicht die vernünftigste Herangehensweise. Das ist natürlich viel weniger aufregend als jetzt eine Verbote-vs.-Markt-Debatte zu führen. Aber diese Verkürzungen waren schon immer falsch und sie sind es auch heute.

Die FDP ist ja in der Ampel die Partei, die angibt, die Klimaziele allein über eine CO₂-Bepreisung erreichen zu wollen, auch wenn sie sich zugleich widerspricht, weil sie jeden Anstieg der Preise für fossile Brennstoffe gleich wieder ausgleichen will.

Ja, das zeigt aber sehr schön, was das Problem an der reinen CO₂-Bepreisung als Emissionshandel ist. Der Vorschlag ist ja, dass es eine vorgegebene Menge an CO₂-Emissionen geben soll, also all jene Emissionen, die wir noch ausstoßen können, um unsere Klimaziele einzuhalten. Die werden dann versteigert, woraus sich ein CO₂-Preis bildet. Wir wissen natürlich nicht sicher, wie sich dieser Preis entwickeln würde, aber es kann durchaus sein, dass es zu starken Preisschwankungen kommt. Im schlimmsten Fall würden wir uns damit eine hausgemachte neue Energiepreiskrise einhandeln. Deshalb ist in der Debatte schon lange klar: Es braucht einen Höchstpreis, damit das verträglich ist. Zugleich sollte der Preis aber nicht zu niedrig liegen, weil er sonst keine Lenkungswirkung entfaltet. Also braucht man auch einen Mindestpreis. Höchstpreis, Mindestpreis: Das ist jetzt auf einmal viel weniger Markt, als man uns am Anfang erzählt hat. Wenn wir dann auch noch Planungssicherheit wollen, dann müssten wir den Preis am Ende doch wieder selber festsetzen. Oder eine CO₂-Steuer stattdessen einführen.

Ein Klimageld wäre gut. Aber das Instrument existiert noch gar nicht

Die Idee ist ja, dass die Belastung durch den ansteigenden CO₂-Preis durch ein Klimageld ausgeglichen wird, wobei die Einnahmen aus dem Verkauf der Zertifikate den Bürgerinnen und Bürgern zurückgegeben werden.

Ja, das wäre sinnvoll. Damit hätte man ja auch einen positiven Verteilungseffekt, weil alle gleich viel kriegen, was bedeutet, dass ärmere Menschen, die im Schnitt wenig CO₂-Emissionen verursachen, davon netto profitieren und die Reichen netto draufzahlen. Ein schönes Modell, trotzdem braucht man Härtefallregeln, weil es ungünstige Kombinationen geben kann, wo auch ärmere Menschen viel CO₂ emittieren, weil sie gar nicht anders können. Das Problem des Klimageldes oder des Klimabonus ist nur: Das Instrument existiert noch gar nicht. Es wird zwar seit 30 Jahren diskutiert, derartige Direktzahlungen einzuführen, aber bislang ist es technisch nicht möglich. Es ist also auch deshalb schwierig, sich hinzustellen und zu sagen: Wir lösen das Problem durch die CO₂-Bepreisung, wenn die aber ein Klimageld benötigt, von dem noch gar nicht klar ist, ob und wann es denn umgesetzt wird.

Ein CO₂-Preis kann ja auch nur dann die erwünschte Lenkungswirkung entfalten, wenn es Alternativen gibt: Ist die Wärmepumpe günstiger als die Gasheizung, dann greifen die Leute zu, aber eben nur, wenn es genug Wärmepumpen und Fachkräfte gibt.

Genau. Ein CO₂-Preis baut kein Fernwärmenetz, das ist klar. Genau wie das sogenannte Mieter-Vermieter-Dilemma im Gebäudesektor: Die Mieterinnen zahlen die Heizkosten, die Investitionsentscheidung für die Umrüstung trifft aber der Vermieter. Das war auch bei uns im Sachverständigenrat schon vor Jahren Konsens, dass es in so einem und ähnlichen Fällen Förderprogramme braucht. Außerdem braucht es Infrastruktur, zum Beispiel beim ÖPNV oder bei der Ladeinfrastruktur für E-Autos. Es ist also alles eine Frage der Gewichtung und nicht des Entweder Oder: Wieviel Verbot, wieviel CO₂-Preis und wieviel öffentliche Investitionen und Förderung sind nötig, um das gewünschte Ziel zu erreichen? Ich denke, wenn die Debatte nicht so polarisiert wäre, wäre es eigentlich Konsens, dass man eine Vielzahl von Instrumenten braucht.

Es gibt ja bereits einen CO₂-Preis, der eigentlich kontinuierlich ansteigen sollte. Im ersten Moment, wo es eine Energiekrise gab, wurde das aber verschoben.

Ein weiteres Problem ist, dass die Einnahmen aus dem CO₂-Preis, die in den Klima- und Transformationsfonds fließen, derzeit für Klimaschutzmaßnahmen ausgegeben werden. Wenn daraus das Klimageld gezahlt werden soll, gibt es eine Finanzierungslücke.

Wenn das mit der Klimapolitik etwas werden soll, dann darf sie nicht ungerecht sein und auf dem Rücken derjenigen ausgetragen werden, die sich das nicht leisten können

Die Achillesferse der Novelle des Gebäudeenergiegesetzes scheint mir die soziale Abfederung gewesen zu sein, die zu spät und unzureichend kommuniziert wurde. Im Grunde zielte die allermeiste Kritik darauf, auch wenn das in vielen Fällen vorgeschoben war. Wie aber geht Klimapolitik, die zu keinen sozialen Härten führt?

Nun, daran, dass da manche plötzlich ihr Herz für Verteilungsgerechtigkeit entdeckt haben, die sich sonst nicht dafür interessieren, sieht man, dass das in Teilen auch instrumentalisiert wurde. Aber es ist völlig klar: Wenn das mit der Klimapolitik etwas werden soll, dann darf sie nicht ungerecht sein oder ungerecht wirken und auf dem Rücken derjenigen ausgetragen werden, die sich das nicht leisten können. Das heißt: Kein CO₂-Preis ohne Klimageld, ohne Härtefallregelung, ohne Förderprogramme. Am besten wäre es, wenn die Förderprogramme auch nach Einkommen gestaffelt wären. Was die Finanzierung angeht, geht einiges über Kredite, weil es ja um Investitionen geht, die sich später rechnen oder die durch CO₂-Einsparungen zukünftige Ausgaben vermeiden. Aber man könnte auch sagen: Viele Belastungen müssen jetzt geschultert werden, daher braucht der Staat für eine gewisse Zeit höhere laufende Einnahmen, also brauchen wir einen Energie-Soli.

Viele Industriebetriebe seien wegen der hohen Strompreise in Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig, hört man jetzt oft, weshalb auch Wirtschaftsminister Robert Habeck einen subventionierten Industriestrompreis vorschlägt. Kritiker warnen davor, dass das marktverzerrend wirken würde: Der Wettbewerb soll entscheiden, welche Firmen überleben, nicht der Staat. Wie sehen Sie das?

Nun, einen reinen Markt, den gab es nie. Schon jetzt gibt es Steuervergünstigungen, mit denen bestimme Branchen beim Strompreis privilegiert werden. Wenn jetzt Ereignisse der internationalen Politik zu Preissenkungen oder -anstiegen führen, dann muss man sich dazu verhalten. Auch hier würde ich keine Schwarz-Weiß-Malerei betreiben. Ich würde auch nicht einfach den Strompreis staatlich fördern, weil die Industrie das gerne hätte. Sondern, und so lautet ja auch der Entwurf aus dem Wirtschaftsministerium, man sagt: Für die nächsten Jahre, bis wir günstigen Strom aus erneuerbaren Quellen haben, schaffen wir eine Brücke, die niedrigere Strompreise garantiert und zugleich Einsparanreize schafft, immer mit der Perspektive, dass man damit dann die CO₂-neutrale Produktion fördert. Das fände ich vernünftig. Das funktioniert aber natürlich nur, wenn zugleich das Tempo des Ausbaus der Erneuerbaren sehr stark anzieht.

Derzeit läuft eine Haushaltsdebatte, bei der – weil die Schuldenbremse eingehalten werden soll und die FDP Steuererhöhungen blockiert – um Einsparungen gerungen wird. Sie haben dazu aufgerufen, in der Frage zum „Pragmatismus“ zurückzukehren.

Mir scheint, da ist eine Menge Theaterdonner dabei. Die FDP will sich als Hardlinerin inszenieren, um bei ihrer Kernklientel zu punkten. Dabei war die Ampel im ersten Jahr tatsächlich relativ pragmatisch, man hat auf die multiplen Krisen pragmatisch und schnell reagiert, auch durch die Ausnahmeregel der Schuldenbremse und Sondervermögen. Jetzt hat die Ampel sich selbst in eine Zwangslage hineinmanövriert, die unnötig war: Man wollte unbedingt die kalte Progression über Nettosteuerentlastungen schnell abbauen, die schlagen jetzt 2024 besonders zu Buche. Und die Rückkehr zur Schuldenbremse schon 2023 führt dazu, dass fast die ganzen Rücklagen und Puffer, die man hatte, aufgebraucht werden. Hätte man diese beiden Entscheidungen nicht getroffen, stünden über 40 Milliarden mehr für kommendes Jahr und die Folgejahre zur Verfügung. Wie die Dinge aber jetzt liegen, gäbe es mehrere Möglichkeiten, die ganze Sache zu lösen: Einmal wird wohl aus dem Haushalt 2023 Geld übrig bleiben. Dann kann man die Verbuchung von Zinsausgaben so strukturieren, dass sie nicht auf einmal verbucht werden, sondern gestreckt. Und drittens könnte man die sogenannte Konjunkturbereinigung der Schuldenbremse reformieren. Das sind alles relativ technische Dinge, durch die sich aber der angebliche Kürzungsbedarf auf ein erträgliches Maß reduzieren ließe.


Achim Truger ist Professor für Sozioökonomie mit Schwerpunkt Staatsfinanzen an der Universität Duisburg-Essen und Mitglied des Rats der Wirtschaftsweisen

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