- Charlie Kiehne (21) und Samuel Bosch (20) (mit Namensnennung einverstanden) weiterhin auf freiem Fuß
- Jugendrichterin Sandra Meyer bestätigte den bundesweiten Haftbefehl
- damit nun ein Fall fürs Landgericht
- Solidaritätsdemonstration in Augsburg am 16.6.
- Vorführungen eines Dokufilms über Kiehne, Bosch und andere
Pressemitteilung am 15.6.2023
JUGENDRICHTERIN SANDRA MAYER BESTÄTIGT BUNDESWEITEN HAFTBEFEHL GEGEN KLIMAAKTIVIST*INNEN
Mitte Oktober vergangenen Jahres erteilt die Regierung von Schwaben eine besondere Ausnahmegenehmigung, die den Lech-Stahlwerken erlaubt, sich über anhängige Klagen am VGH hinwegzusetzen und in Teilen einen rechtlich geschützten Bannwald zu roden [0, 1, 2]. Wenige Tage später nehmen Klimaaktivisten dafür die Regierung von Schwaben aufs Korn [3a, 3b]. Seit Dienstag (13.6.) werden zwei von ihnen mittels bundesweitem Haftbefehl polizeilich gesucht [4]. Es ist das erste Mal in Deutschland, dass nach Klimaaktivisten gefahndet wird. Diesen Freitag (16.6.) kommen nun Unterstützer nach Augsburg – und ein viel gerühmter Dokumentationsfilm, in denen die beiden Aktivisten prominent vorkommen, macht die Runde.
SPEKULATIVE NEUPFLANZUNGSEXPERIMENTE BENÖTIGEN 80 BIS 100 JAHRE
Von einer "perfiden Aktion" und einer "Watschen für die engagierte Bürgerschaft" sprach damals der Regionalreferent des Bund Naturschutz, Thomas Frey . Denn die Rodung war allenfalls erst für ein Jahr später vorgesehen, nach Abschluss artenschutzrechtlicher Maßnahmen, und am VGH waren und sind Klagen der angrenzenden Gemeinde Biberach sowie des Bund Naturschutz anhängig.
Auf spekulative Ersatzpflanzungsexperimente sei kein Erlass, fand damals Ingo Blechschmidt (34) vom Augsburger Klimacamp; es würde 80 bis 100 Jahre dauern, bis Ersatzpflanzungsexperimente dieselben Funktionen wie gewachsener Bestandswald erfüllen [5, 6].
Pikant: Zusammen mit dem Lobbyverband VBM ist Stahlwerksbesitzer Max Aicher (89) Spender Nr. 1 der CSU [7] (Zahlen von 2016 bis 2020) und die Regierung von Schwaben damals fest in Hand der CSU, angeführt von Erwin Lohner. Die Ausstellung der Ausnahmegenehmigung – für gewöhnlich ein langwieriger bürokratischer Prozess – dauerte gerade einmal zehn Tage (Beantragung 4.10.2022, Genehmigung 14.10.2022, [8]).
Auf diese Unregelmäßigkeiten machten Klimaaktivist*innen einige Tage nach der umstrittenen Rodung mit einer Kletteraktion aufmerksam; auch im BR-Format Quer wurde berichtet [0]. Neben unterstützenden Personen am Boden sowie Blechschmidt waren das Charlie Kiehne (21) und Samuel Bosch (20) aus Ravensburg.
AKTIVIST*INNEN WOLLTEN MIT ERKLÄRUNG VOR GERICHT WEITERE AUFMERKSAMKEIT SCHAFFEN
Am Dienstag (13.6.) hätten Kiehne und Bosch wie auch bei früheren Aktionen [9a] ihre Beweggründe vor Gericht erläutern und so erneut Aufmerksamkeit für die umstrittene Ausnahmegenehmigung schaffen wollen. Doch da ihr Verteidiger aufgrund eines anderen Prozesses verhindert war [9b], blieben sie der Verhandlung fern.
Zwei Mal hatte Verteidiger Klaus Schulz zuvor um Terminverschiebung gebeten [Die entsprechenden Schriftsätze des Anwalts an das Amtsgericht schicken wir auf Anfrage unmittelbar und ungeschwärzt zu], eigentlich ein Routinevorgang, doch Jugendrichterin Sandra Mayer entschied anders: Kurzerhand verhängte sie einen deutschlandweiten Haftbefehl gegen die beiden und setzte so die erste Fahndung jemals nach Klimaaktivist*innen in Gang.
"Wie passt es zusammen, die größtmögliche Grundrechtseinschränkung vorzunehmen, nachdem das Grundrecht auf angemessene juristische Vertretung nicht gewährleistet werden konnte?", fragt Blechschmidt. "Wieso machte die Vorsitzende Richterin nicht einfach einen neuen Termin aus, oder erließ wenigstens nur einen Vorführbefehl?"
Bei einem Vorführbefehl wird anders als bei einem Haftbefehl nicht deutschlandweit nach nicht erschienenen Angeklagten gefahndet. Stattdessen werden Angeklagte nur unmittelbar vor dem nächsten Prozesstermin von der Polizei zu Hause abgeholt [9c].
Telefonisch erklärte Richterin Sandra Mayer gegenüber Schulz, dass sie den Haftbefehl nicht aufheben werde. Damit würden die Aktivist*innen, falls die Polizei sie aufgreift, bis zum nächsten Prozesstermin im Gefängnis bleiben. Das kann Wochen dauern. So wird die erste Fahndung in Deutschland nach Klimaaktivist*innen ein Fall für die nächste Instanz, das Augsburger Landgericht. Wann eine Entscheidung fällt, ist derzeit nicht absehbar.
UNTERSTÜTZER UND DOKUFILM KOMMEN NACH AUGSBURG
Für diesen Freitag (16.6.) kommen nun Freunde und Familie von Bosch und Kiehne sowie weitere Unterstützer nach Augsburg, um gegen den umstrittenen Haftbefehl zu demonstrieren. Um 14:30 Uhr beginnt die Demonstration, vor dem Amtsgericht in der Gögginger Str.
Angemeldet ist die Demonstration unter dem Titel "Was geht vor im Kopf von Jugendrichterin Sandra Mayer? Für ein Recht auf rechtzeitige Akteneinsicht, für rechtsstaatliche Verhältnismäßigkeit und gegen Übergriffe von Justiz und Polizei gegen friedlichen Klimagerechtigkeitsaktivismus". Da erst vor kurzem eine ähnlich gelagerte Solidaritätsdemonstration stattfand, anlässlich der bundesweiten Razzia bei Aktivist*innen, die der bayerische Generalstaatsanwalt der Letzten Generation zuordnet, rechnen die Organisator*innen mit einer überschaubaren Menge an Versammlungsteilnehmern [10].
Zudem wird um 18:00 Uhr in Augsburg der Dokufilm "Von Menschen, die auf Bäume steigen" gezeigt, in denen Bosch, Kiehne, Eltern und weitere Aktivist*innen prominent vorkommen. Über 18 Monate begleiteten die Berliner Regisseure Bernadette Hauke und Christian Fussenegger die Ravensburger Klimagerechtigkeitsbewegung. "Informativ, empathisch und erkenntnisreich zeigt der Film die Geschichte der Klimaaktivisten. [...] Eine Atmosphäre von Mitgehen, Sympathie, Nachdenklichkeit und viel aktivem Erleben nebst vermittelter Erkenntnis füllt den Raum", schrieb die Schwäbische Zeitung [11]. Die ersten Aufführungen in Ravensburg und Umgebung waren allesamt ausverkauft.
Interessierte können sich sowohl der Solidaritätsdemonstration anschließen als auch auf Spendenbasis den Dokufilm sehen. Der Vorführort wird einige Stunden vor Beginn auf der Website des Augsburger Klimacamps veröffentlicht. Weitere Vorführtermine gibt es in Heilbronn (18.6.), Leutkirch (21.6.), Gielow/Liepen (22.6.), Ravensburg (25.6.) sowie weitere im Juli [12].
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