Sonntag, 25. Juni 2023

Solarenergie und Landwirtschaft:Wenn der Acker Mangelware wird

 26. Mai 2023, 16:07 Uhr  hier in der Süddeutschen Zeitung Von Jan Heidtmann, Berlin

Konzerne und Investoren kaufen sich in Brandenburgs Landwirtschaft ein. Solaranlagen sind eben lukrativer als Rüben. Die Folgen des "Landraubs" bekommen nicht nur die Bauern zu spüren.

Einem Bauern in Brandenburg wird nichts geschenkt. Der Boden hier gehört zu den schlechtesten in Deutschland, "Streusandbüchse" heißt dieser Landstrich deshalb auch. Die Ackerkrume bietet weniger Nährstoffe als andernorts; um ihr trotzdem Kartoffeln oder Weizen abzutrotzen, dafür braucht es immer mehr Spritzmittel und Dünger. "Damit mache ich aus einer lebendigen Erde langfristig einen Wüstenboden", sagt Rudi Mixdorf.

Deshalb beschäftigt sich der Tierarzt seit nun sechs Jahren mit diesem Wunderwerk unter den Sohlen seiner Gummistiefel. Mit den Bakterien, den Pilzen, dem Humus und auch mit der Dürre der vergangenen Jahre. "Ich hab gesehen, wie der Boden hier zugrunde geht", sagt Mixdorf. Deshalb sei er Bauer geworden. Seit 2017 ist Mixdorf, 29, Landwirt im Nebenerwerb. Inzwischen bewirtschaftet er 36 Hektar, eine Fläche von gut 50 Fußballfeldern. "Ich will beweisen, dass es besser geht."

Leben könnten seine Frau, der Sohn und er noch nicht von der Landwirtschaft. Das Dorf aber, in dem sie wohnen, Lindow, 70 Kilometer nördlich vom Zentrum Berlins, "soll einmal zum Vorbild werden". Nur gibt es da noch ein anderes Problem mit dem Boden: Er wird knapp.

Dörfer veröden, weil Lohnarbeiter von Firmen fernab die Arbeit übernehmen

An die fünf Hektar werden in Brandenburg täglich für neue Straßen und Industrieansiedlungen zubetoniert.

Und für das Land, das vom Flächenfraß übrig bleibt, bieten inzwischen auch Konzerne außerhalb Brandenburgs jede Menge Geld. Manche haben mit der Landwirtschaft wenig bis gar nichts zu tun, der Immobilienkonzern Quarterback zum Beispiel, eine Aldi-Stiftung oder internationale Finanzinvestoren. "Landgrabbing", Landraub, nennen die Gegner das, was in Brandenburg und anderen Gegenden im Osten Deutschlands gerade geschieht.

Anders als in den alten Bundesländern bewirtschaften hier nicht seit Jahrzehnten Familienbetriebe den Boden, sondern Landwirtschaftsunternehmen, als Nachfolger der riesigen Agrargenossenschaften aus DDR-Zeiten. Niedrige Zinsen und einst niedrige Preise locken seit Jahren Kapital von außerhalb an, teils auch nur, um mit dem Boden zu spekulieren. Seit 2007 haben sich die Kaufpreise vervierfacht, die Pachtkosten für den Hektar Ackerland haben von durchschnittlich 73 Euro 2001 auf 184 Euro zugenommen.

Inzwischen steigen die Zinsen zwar wieder, dafür ist es nun lukrativer, Solaranlagen hinzustellen, statt den Boden zu beackern. Steht ein Stück Land zum Verkauf, bieten Konzerne das Vielfache der üblichen Preise. Selbst auf Ebay sind die Inserate "für Kapitalanleger" zu finden. "Die Investoren können halt Summen zahlen, die sich kein Landwirt leisten kann", sagt Mixdorf. Darunter leidet dann nicht nur die Produktion von Lebensmitteln, weil weitere landwirtschaftliche Fläche verloren geht. Die Gemeinden verlieren Geld, weil die Unternehmen ihre Gewinne nur noch zum Teil vor Ort versteuern müssen. Die Dörfer veröden, weil Lohnarbeiter von Firmen fernab die Arbeit übernehmen.

Im ersten Quartal dieses Jahres hat Mixdorf mit seinem biologischen Anbau erstmals 1000 Euro Gewinn gemacht. Damit er von der Landwirtschaft leben könnte, bräuchte Mixdorf mindestens 100 Hektar Boden. Deshalb sucht er über Facebook oder auch einfach mit Zetteln, die er im Ort aushängt, ständig neue Pachtflächen. Doch wenn es Angebote gibt, sind die meist zu weit verstreut. "Ich verbringe schon jetzt die Hälfte der Zeit, um auf dem Traktor zwischen den Flächen hin- und herzufahren." 32 Hektar, die kürzlich in der Nähe zum Verkauf standen, gingen an einen Finanzinvestor.

Solche Fälle erleben in Brandenburg nicht nur Junglandwirte wie Mixdorf. Im Winter machte der Fall der Röderland GmbH in Bönitz Schlagzeilen, eines Vorzeigebetriebs mit 1600 Hektar Land für Kartoffeln, Getreide, Mais sowie 900 Rindern. Ein Landwirt von außerhalb hatte für den Betrieb geboten, acht Millionen Euro, wie es heißt; Bönitz sollte die neue Heimat für seine Familie und ihn werden. Doch die Anteilseigner entschieden sich für die Quarterback AG in Leipzig, die zwei Millionen Euro mehr geboten haben soll. Der Immobilienentwickler aus Leipzig ist nicht nur mit einem Solarenergieunternehmen verbunden, sondern zu 40 Prozent im Besitz des Wohnungsbaukonzerns Deutsche Wohnen.

Um mehr über die Interessen von Quarterback an Röderland zu erfahren, hat Brandenburgs Landwirtschaftsminister Axel Vogel von den Grünen der Deutsche Wohnen einen Brief geschrieben. Es ist ein etwas hilfloser Akt, doch mehr kann die Politik bei solchen Geschäften derzeit kaum tun. Damit sich das ändert, hat Vogel im April den Entwurf eines Agrarstrukturgesetzes vorgelegt. "Damit wollen wir verhindern, dass noch mehr Investoren Land in Brandenburg kaufen, weil sie Kapital anlegen oder spekulieren und eben nicht die Landwirtschaft langfristig erhalten wollen", sagte Vogel bei der Präsentation.

Das Auslaugen der Böden sei den Großbetrieben wurscht, sagt der Biobauer

Die Idee des Gesetzes ist es im Kern, dass Agrarflächen nach Verkauf oder Neuverpachtung auch weiter landwirtschaftlich genutzt, dass Konzentration von Boden bei wenigen Firmen vermieden wird und dass die Preise gedeckelt werden. Da die Konzerne teils Strohmänner vorschicken, soll auch transparent werden, wem Grundstücke tatsächlich gehören und wer hinter den Besitzern steckt. Es ist ein äußerst komplexes Regelwerk, da es potenziell in Eigentumsrechte und die Vertragsfreiheit eingreift. Andere ostdeutsche Bundesländer arbeiten an ähnlichen Regelungen. Gesetz ist noch keine davon geworden.

Henrik Wendorff, Präsident des mächtigen Landesbauernverbands, warnt daher auch davor, sich zu übernehmen. Er sei auch für Transparenz bei den Verkäufen und auch dafür, dass der Firmensitz der Unternehmen vor Ort liegen solle. Aber schon die Deckelung der Preise sei fragwürdig. Denn die helfe ja nicht nur Käufern, sie schade auch den Bauern, die Land besitzen. "Wir haben da noch viele Fragen", sagt Wendorff. Sollte das Gesetz scheitern, wäre es in Brandenburg schon das zweite Mal. Auch ein Versuch der Grünen 2017 verlief im Brandenburger Sand.

Doch allzu viel Zeit ist nicht mehr, jedenfalls wenn man der UN-Landwirtschaftsorganisation glaubt. Die FAO hatte schon 2018 gewarnt, dass die Äcker weltweit im Durchschnitt noch 60 Ernten hergäben, dann seien sie ausgelaugt. Rudi Mixdorf sieht das nicht so drastisch. Aber nicht nur als Jungbauer, auch als Stadtverordneter der Grünen kämpft er für die klimaverträgliche Bewirtschaftung. Vor 100 Jahren habe der nahrhafte Humusgehalt im Boden noch bei ungefähr sechs Prozent gelegen. Jetzt sind es gerade noch ein halbes bis zwei Prozent. "Vielen Großbetrieben sind solche Rechnungen vollkommen wurscht."

Mixdorf hat sich stattdessen einen sogenannten Geohobel angeschafft. Das 28 000 Euro teure Gerät gräbt den Boden zwar um - aber längst nicht so tief wie ein klassischer Pflug. "Der Erfindung des Pflugs hat den Menschen vor 100 000 Jahren den Arsch gerettet", sagt Mixdorf. "Aber jetzt mit dem Klimawandel ist er einfach schädlich." Durch den Pflug werde Sauerstoff in Tiefen eingebracht, wo er nichts verloren habe. Nährstoffe würden dadurch geradezu verbrennen.

Jetzt muss Mixdorf aber erst einmal ein naheliegenderes Problem lösen. Einem Bauern in Brandenburg wird eben nichts geschenkt. Neuerdings taucht im Boden vermehrt die Quecke auf. Da der Biobauer keine Pestizide einsetzt, muss er einen anderen Weg finden, dieses grasige Unkraut loszuwerden. Mixdorf setzt auf friedliche Koexistenz: "Die Quecke hat ihre Aufgaben in der Natur. Ich muss nur noch herausbekommen, welche das sind."

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