Freitag, 23. Juni 2023

Klimaschutz: Aufstand der Klima-Bremser

SPIEGEL-Klimabericht  hier  Artikel von Susanne Götze  23.6.23

Liberale und Konservative verwässern derzeit zentrale Verordnungen und Gesetze in Berlin und Brüssel. Klimaschutz funktioniert ihnen zufolge nur, wenn er flexibel, freiwillig und technologieoffen ist. Ein fataler Irrtum.

Es gibt auch Erfolgsmeldungen beim Umwelt- und Klimaschutz: Am Dienstag beschlossen die Uno-Mitgliedstaaten endlich das seit Jahren anhängige Hochsee-Schutzabkommen. Es sieht erstmals Schutzgebiete außerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszonen einzelner Länder vor, außerdem muss Aktivitäten wie der Förderung von Bodenschätzen auf hoher See eine Untersuchung ihrer Umweltfolgen vorausgehen. Das kann man getrost als »historisch« feiern.

Andererseits: Viele Abkommen und Gesetze wurden einmal als »historisch« gefeiert, und anschließend wieder verwässert oder schlicht mangelhaft umgesetzt. Dafür gab es in dieser Woche gleich zwei Beispiele: das deutsche Klimaschutzgesetz und die Renaturierungs-Verordnung der EU.

Klimaziele verfehlen – ganz ohne Scham

Beginnen wir mit Berlin. Die Bundesregierung hat diese Woche endgültig die Änderungen am Klimaschutzgesetz beschlossen. Das noch von der Großen Koalition beschlossene Gesetz hat 2019 erstmals in der Geschichte der Republik verbindliche Klimaziele für die einzelnen Sektoren – von Energieproduktion bis Landwirtschaft – festgesetzt. Bis auf die Tonne genau ist festgeschrieben, wie viele Treibhausgase sie pro Jahr noch ausstoßen dürfen.

Vier Jahre später schafft die Ampelregierung auf Betreiben der FDP diese Errungenschaft wieder ab. Zwar bleiben die Einsparziele formal bestehen und auch in der jährlichen Bilanz sollen sie weiter auftauchen. Allerdings muss sich weder das Verkehr- noch das Bau- oder das Wirtschaftsministerium künftig daran halten. Werden sie verfehlt, passiert erst mal – gar nichts. Die Ministerien müssen keine Sofortprogramme mehr auflegen. Stattdessen soll nur noch alle zwei Jahre »bei projizierten Verfehlungen der Emissionsziele« nachgesteuert werden.

Das kommt vor allem Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) äußerst gelegen. Sein Sektor verfehlte dieses Jahr erneut die Ziele, er hätte im Juli eigentlich ein Sofortprogramm auflegen müssen. Nun aber kann er beruhigt in den Sommerurlaub fahren. Klimaziele verfehlen – ganz ohne Scham.

»Ich bin stinksauer«, kommentierte einer der Architekten des Gesetzes, Klaus Mindrup (SPD) schon vor einigen Wochen im SPIEGEL. »Wir haben es damals geschafft, Klimaschutz gesetzlich zu verankern. Nun soll das Gesetz zu einem zahnlosen Tiger gemacht werden.«

Niemand hat etwas abzugeben

Die Rechtfertigungen der Ampel sagen viel über den Zustand der Klimapolitik: Der Wegfall der Sektorziele sei richtig, künftig soll das Gesamtergebnis entscheidend sein, heißt es etwa. Die einzelnen Sektoren sollen ihre Werte miteinander verrechnen können. Das gebe »Flexibilität« und weniger »Planwirtschaft«, wie FDP-Chef Lindner gebetsmühlenartig wiederholt. Soweit so logisch, doch wo sind die Sektoren, die perspektivisch Einsparungen »übrig« haben? Allen Prognosen zufolge haben alle ein Problem, auf die vorgegebenen Werte zu kommen. »Es gibt keinen Bereich, der etwas abzugeben hat«, sagt etwa Brigitte Knopf vom Expertenrat für Klimafragen. Der berät übrigens die Regierung. Scheinbar jedoch ohne Erfolg. Knopf hält es für »illusorisch«, dass die Sektoren sich untereinander überschüssige Emissionen hin- und herschieben, damit die Gesamtbilanz stimmt.

Die Regierung rechtfertigt die Novelle damit, dass es Einsparungen dort geben soll, wo dies am leichtesten ist. Auch das ist eine Nebelkerze. Denn in 22 Jahren müssen alle Sektoren bei den Emissionen auf null kommen. Ernten wir in den kommenden Jahren nur die »low hanging fruits« (tief hängenden Früchte) und gehen die harten Brocken wie die Landwirtschaft oder den Verkehr nicht an, verschieben wir die Verantwortung auf die Dreißigerjahre – und damit auf die nächste Generation. Stellt man nicht rechtzeitig die Weichen, kommen neue fossile Investitionen hinzu und es wird noch schwerer umzusteuern.

Umweltschutz ist schon wichtig – aber bitte nur freiwillig

Wenn Sie jetzt schon deprimiert sind, dann lesen Sie am besten nicht weiter. Denn auch die Union bremst gerade eine wichtige Verordnung auf EU-Ebene aus – ohne Vorschläge, wie Defizite bei Umwelt- und Klimaschutz anders behoben werden sollen. Auch hier geht es um angebliche »Verbote« und fehlende Flexibilität. Auf dem Spiel steht der Gesetzentwurf zur Wiederherstellung der Natur der EU-Kommission.

Danach sollen bis 2030 EU-weit 20 Prozent der Flächen und Meeresgebiete renaturiert werden. Geplant ist auch eine Wiederbewässerung von Fluss-Auen oder Mooren, um die Folgen von Dürreperioden zu mindern und das Artensterben einzudämmen. Danach sollen die Mitgliedsländer bis 2030 solche Maßnahmen für mindestens 30 Prozent der Ökosysteme durchführen. Hintergrund ist auch die Einigung auf das Uno-Artenschutz-Abkommen im Dezember in Montreal – übrigens auch als »historisch« gefeiert.

Zwar haben die EU-Länder den Weg für die strengeren Naturschutz-Auflagen bereits freigemacht – wenn auch mit einigen Ausnahmen. Doch die Konservativen im EU-Parlament wollen die Einigung kippen. Hinter ihnen steht die mächtige Agrar-Lobby, die massive Umsatzeinbußen fürchten. Bernhard Krüsken vom Deutschen Bauernverband warnte in einer Anhörung im Bundestag »vor Gefahren für die Ernährungssicherheit«, wenn fast zehn Prozent der bisherigen landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland nicht mehr zur Verfügung ständen. Die »Landnahme« führe dazu, dass Flächen entwertet würden. Der Verband kritisiert die Verordnung auch, weil künftig weniger Pestizide eingesetzt werden sollen. Die Europäischen Volkspartei und die deutsche Union unterstützen die Bauern.

»Wir brauchen nicht so viele Ackerflächen«

»Umweltpolitische Ziele erreichen wir am besten durch finanzielle Anreize, Freiwilligkeit und kooperativen Ansätzen«, heißt es in einem Brandbrief von deutschen CDU- und CSU-Politikern an die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, der dem SPIEGEL vorliegt. Natur und Nutzflächen und Wälder könne man nicht »pauschal« sich selbst überlassen, heißt es weiter. Unterschrieben habt den Brief übrigens auch Anja Weisgerber, die Mitglied im Klimakreis der Union ist.

Dem widersprechen Wissenschaftler vehement. »Das ist eine reine Ablenkungsdebatte«, sagt etwa Katrin Böhning-Gaese, Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum und Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung, den die Bundesregierung einberufen hat. »Weniger als ein Viertel des deutschen Getreides landet auf dem Teller. Mehr als 60 Prozent gehen als Tierfutter in den Trog. Ein zunehmender Anteil endet als Biokraftstoff im Tank. Nach der ökologisch ohnehin notwendigen Reduzierung der Tierbestände bräuchten wir längst nicht so viele Ackerflächen«, so die Biologin gegenüber dem SPIEGEL.

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