Frankfurter Rundschau hier VonMartin Häusling
Um ein Gesetz für biologische Vielfalt zu Fall zu bringen, beschwören die Konservativen im EU-Parlament eine Gespensterdebatte herauf. Ein Gastbeitrag des grünen Europaabgeordneten Martin Häusling.
Gegenwärtig vollzieht sich im Europaparlament auf offener Bühne ein absurdes und unverantwortliches Possenspiel, angezettelt von der EVP (Pendant der CDU im Europaparlament), das in seinen Auswirkungen verheerende Konsequenzen für die Natur haben könnte. Es geht um einen Gesetzesvorschlag der EU-Kommission: Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur, das sogenannte Nature Restoration Law. Um dieses Gesetzesvorhaben wird jetzt erbittert gestritten, und die Konservativen im Europaparlament wollen es zu Fall bringen.
Dabei scheuen sie nicht davor zurück, eine unverantwortliche Gespensterdebatte heraufzubeschwören – mit falschen Behauptungen, die wissenschaftliche Erkenntnisse leugnen und politische Verantwortung mit Füßen treten. (Die EVP-Fraktion schrieb z.B. auf Twitter, dass zehn Prozent des Farmlandes aufgegeben werden müssten. Korrekt wäre, dass zehn Prozent der landwirtschaftlichen Fläche Merkmale großer Vielfalt aufweisen sollen, Anm. d. Red.).
Dass die Agrar- und Umweltpolitik zum Zankapfel in der politischen Debatte Europas geworden ist, überrascht niemanden. Zu bitter sind die Erfahrungen und Erinnerungen an die Diskussionen und Entscheidungen zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), die es ebenfalls nicht vermocht haben, das Ruder herumzureißen zu einer ökologischeren Ausrichtung der Landbewirtschaftung. Das sind schlechte Erfahrungen.
Doch was jetzt, orchestriert als Kampagne populistischer PR-Strateginnen und Strategen, gegen eine EU-weit sinnvolle und überfällige Gesetzgebung vom Zaun gebrochen wurde, entbehrt jeglicher Verantwortung. Konservative sind offenbar eine unheilvolle Koalition mit den Rechten, Wissenschaftsleugnerinnen und Zukunftsverhinderern eingegangen, wenn sie versuchen, das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur zu blockieren. Das ist nachgerade jämmerlich – eine Bankrotterklärung politischer Verantwortung, denn auch unsere Ernährungssicherheit hängt langfristig von der Wiederherstellung der Natur und der natürlichen Ökosysteme ab.
Wir befinden uns inmitten einer Zwillingskrise von Klimawandel und Biodiversitätskrise. Aktuell läuft das menschengemachte sechste Massenaussterben der Erdgeschichte. Die Klimakatastrophe belastet uns bereits, niemand kann davor die Augen verschließen! Flüsse und Seen fallen trocken, Wälder brennen, Grundwasserspiegel sinken und vielerorts in Europa wissen die Landwirtinnen und Landwirte nicht, wie sie damit umgehen sollen. Allen dürfte bewusst sein, dass es Veränderung geben muss.
Zudem sind vier von fünf der EU-weit wertvollsten Schutzgebiete (FFH) in schlechtem oder sehr schlechtem Zustand. Für den Naturschutz und damit unsere Zukunft muss rasch und nachhaltig etwas getan werden – wenn die Konservativen und die Liberalen das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur zu Fall bringen, handeln sie in höchstem Maße unverantwortlich. Morgen geht es in der Abstimmung im Umweltausschuss des Europäischen Parlaments um nicht weniger als eine Art ökologisches Friedensangebot an die Natur und eine Chance auf Wiedergutmachung an der natürlichen Umwelt, die wir seit Jahrzehnten zerstören und deren Gleichgewicht durch menschliches Handeln bereits erheblich ins Wanken geraten ist.
Die Christdemokraten wollen bei der Abstimmung im federführenden Umwelt- und Gesundheitsausschuss gegen eine Weiterarbeit an dem Gesetzesvorschlag stimmen – und setzen sich dafür mit der extremen Rechten und Europagegnern ins Boot. Sollten sich der EVP weitere Abgeordnete, eventuell auch der Liberalen, anschließen, so könnte es eine Mehrheit der Abgeordneten gegen den Vorschlag geben – und die weitere Arbeit des Europäischen Parlaments zu dieser Verordnung würde eingestellt. Das dringend benötigte Gesetz, eine wichtige Säule des Green Deal und Schlüsselelement der EU-Biodiversitätsstrategie, wäre damit verloren.
Doch der Schutz unserer Natur duldet keinen Aufschub. Eine gesunde und artenreiche Umwelt ist unverzichtbar auch zur Bekämpfung der Klimakatastrophe. Und: Nachhaltige Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung hängen von gesunder Natur ab! Eine Umkehrung des Verlusts der biologischen Vielfalt, auch auf landwirtschaftlichen Flächen, und die Verbesserung der Bodenqualität sind ein Muss, wenn wir die Nahrungsmittelproduktion und die Einkommen der Landwirtinnen und Landwirte für die nächsten Jahrzehnte sichern wollen.
Bleibt zu hoffen, dass die Abgeordneten nicht der unverantwortlichen Stimmungsmache gegen den Gesetzesvorschlag aufsitzen, die wissenschaftlich gestützte Vernunft die Oberhand behält und sie im Umwelt- und Gesundheitsausschuss in diesem Sinne abstimmen. Es geht um viel.
Martin Häusling ist Biobauer und agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament.
TAZ hier
Krach um EU-Renaturierungsgesetz: Nestlé und SPD gegen Konservative
Es ist ein ungewöhnliches Bündnis: 70 große Konzerne und Verbände, Linke und Umweltschützer wollen das europäische Renaturierungsgesetz retten.
Der Streit um den Umwelt- und Klimaschutz in der EU spitzt sich zu. Die im Europaparlament (EP) führende konservative EVP-Fraktion will ein geplantes EU-Gesetz zur Renaturierung zu Fall bringen – und bekommt nun Gegenwind von allen Seiten.
Die Entscheidung fällt am Donnerstag – dann stimmt der Umweltausschuss des EP über die Verordnung zur Renaturierung ab. Auch bei einem Nein der EVP will eine linke Mehrheit den Entwurf durchbringen. Sicher sei dies aber nicht, heißt es in Brüssel, die Abstimmung stehe auf der Kippe.
Die Verordnung zur Renaturierung gilt als ökologisches Kernstück des „Green Deal“. Sie sieht vor, dass bis 2030 geschädigte Ökosysteme auf 20 Prozent der Fläche der EU „wiederhergestellt“ werden. Bis 2050 müssen dem Entwurf zufolge sogar alle Ökosysteme in Europa wieder in einem gesunden Zustand sein – also „renaturiert“.
Die EVP hat die EU-Kommission aufgefordert, den Entwurf zurückzuziehen. Zur Begründung verweist sie auf angeblich zu hohe Belastungen für Bauern und Landwirtschaft. Das Gesetz würde zu einem Rückgang der Nahrungsmittelproduktion führen und die Preise treiben, erklärte EVP-Chef Manfred Weber (CSU).
Die Industrie widerspricht
Doch ausgerechnet die Industrie widerspricht. Über 70 Firmen und Verbände, darunter Nestlé, Spar und Ikea, haben sich für den Entwurf ausgesprochen. „Wenn die Natur unter Druck gerät, sind auch unsere Ernährungssysteme unter Druck“, erklärte Bart Vandewaetere von Nestlé.
Ein ungewöhnliches Bündnis aus „Big Business“ und Umweltschützern ist entstanden. „Angesichts der Doppelkrise von Biodiversitätsverlust und Erderwärmung nicht oder verspätet zu handeln, verursacht gigantische Schäden und entsprechende Kosten“, warnen der WWF, Deutscher Naturschutzring, BUND und andere in einem offenen Brief.
Doch die Konservativen zeigen sich unbeeindruckt. Die geplante Verordnung habe zwar „gute Absichten“, aber ein „schlechtes Design“, erklärte die Chefunterhändlerin der EVP, Christine Schneider (CDU).
Am Donnerstag könnte es daher zum Showdown im Umweltausschuss kommen. Noch hoffen die Abgeordneten aber auf ein Umdenken in letzter Minute. Jetzt komme es auf EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an, sagt Delara Burkhardt, umweltpolitische Sprecherin der SPD-Europaabgeordneten. Die CDU-Politikerin müsse ein Machtwort sprechen und ihre Parteifreunde zur Räson bringen – sonst werde der „Green Deal“ scheitern.
Tagesspiegel hier Von Albrecht Meier 14.6.23
EU-Umweltplan auf der Kippe: „Manfred Weber sollte sich schämen“
In Berlin und Brüssel wollen Abgeordnete von CDU/CSU eine geplante Verordnung zum Naturschutz zu Fall bringen. Dabei kommt der Plan von Parteifreundin Ursula von der Leyen.
Während in diesem Monat auch in Berlin schon wieder Temperaturen bis 30 Grad verzeichnet wurden und die Trockenheit zum Problem wird, torpedieren CDU/CSU und Europas Konservative ein EU-Gesetz, das auch dem Klimaschutz zugutekommen soll. So sieht es jedenfalls die Ampelkoalition. Vor allem die Grünen kritisieren die Blockadehaltung scharf, die hierzulande vom Deutschen Bauernverband mitgetragen wird.
Der Streit dreht sich um das geplante EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur. Der Plan sieht vor, mindestens 20 Prozent der Land- und Meeresfläche in der EU zu schützen. Gleichzeitig sollen Ökosysteme wie Wälder und Moore wiederhergestellt werden.
Der „Green Deal“ der EU
Der Plan zur Wiederherstellung der Natur ist Teil des „Green Deal“ der EU. Mit dem „Green Deal“ will die EU ihr Ziel erreichen, bis 2050 klimaneutral zu werden. Dabei spielen Moore und Wälder als CO₂-Speicher eine wichtige Rolle.
Am Mittwoch befasste sich der Umweltausschuss des Bundestages mit dem Umwelt- und Klimaplan der EU. Aus den Reihen der Union wurde kritisiert, dass die Kommunen durch das Brüsseler Vorhaben in ihren Entwicklungsmöglichkeiten beschränkt würden. Auch müsse bei einer Umsetzung der EU-Verordnung mit einer „Enteignung“ von Flächen gerechnet werden, wurde aus den Reihen von CDU/CSU kritisiert.
Doch während die Union im Bundestag in der Opposition sitzt, stellen die Christdemokraten der EVP im Europaparlament die stärkste Fraktion. Und dort – im EU-Parlament – wird letztlich entschieden, ob das EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur verabschiedet wird oder nicht. Bei der Abstimmung im Umweltausschuss des EU-Parlaments steht das Vorhaben wegen der Ablehnung der EVP-Abgeordneten an diesem Donnerstag auf der Kippe.
Bemerkenswert ist diese Blockadehaltung vor allem deshalb, weil die von Manfred Weber (CSU) geführte EVP-Fraktion in Straßburg damit der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen einen Strich durch die Rechnung zu machen droht.
Von der Leyen, die ebenso wie Weber zur politischen Parteienfamilie der EVP gehört, pocht auf Fortschritte beim „Green Deal“ der EU. Und dabei ist die geplante Verordnung zum Schutz der Naturflächen ein wesentlicher Baustein.
Entsprechend deutlich fällt auch die Kritik der Grünen an der Blockadehaltung von Vertretern der CDU und CSU in Berlin und Brüssel aus. „Manfred Weber sollte sich schämen, dass er im Europaparlament mit den Rechtsextremen paktiert, um das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur zu Fall zu bringen“, sagte Jan-Niclas Gesenhues, umweltpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, dem Tagesspiegel. CDU-Chef Friedrich Merz „sollte alles unternehmen, damit die Union in Berlin diesen populistischen Kurs nicht mitträgt, der letztlich der Demokratie schadet“, forderte Gesenhues.
Die Union will dennoch am Freitag im Bundestag über einen Antrag beraten lassen, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, sich angesichts der Krisen, die aus dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine resultieren, für eine Verschiebung des EU-Umweltplans einzusetzen. .......
Inzwischen hat sich auch Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) in die Meinungsschlacht um das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur eingeschaltet. Sie verteidigte das Vorhaben von Kommissionschefin von der Leyen mit den Worten: „Mit Waldbränden, Starkregenereignissen oder Dürrephasen erleben wir die Auswirkungen der Klimakrise längst schon bei uns in Europa. Mit gravierenden Folgen für Menschen, Natur und ökonomischen Schäden in Milliardenhöhe.“
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