Mittwoch, 21. Juni 2023

Wohnen: Wird das Einfamilienhaus zum Auslaufmodell?

 Süddeutsche Zeitung hier  19. Juni 2023,Von Tim Frehler

Die Ampelkoalition will den Flächenverbrauch massiv reduzieren, um Umwelt und Klima zu schonen. Aber gerade Einfamilienhäuser brauchen relativ viel Platz. Gerät der Lebenstraum vieler Deutscher in Gefahr?

Die Umstände heute sind andere, der Zweite Weltkrieg ist lange vorbei. Aber so ein Gesuch könnte man zurzeit auch finden: "Wer vermittelt Bauplatz, Einfamilienhaus", fragt jemand im Anzeigenbereich der Süddeutschen Zeitung vom 30. Oktober 1945. "Tauschmöglichkeit gegen Ruine im Zentrum."

Eine Ruine im Zentrum würde heute wohl niemand mehr anbieten, aber der Wunsch dahinter ist 77 Jahre später bei vielen Menschen der gleiche. "Sie wollen am liebsten in Einfamilienhäusern wohnen", heißt es zum Beispiel in einer Studie des Institutes der Deutschen Wirtschaft (IW) über die Wohnvorlieben der Menschen im Land. Große Mehrfamilienhäuser seien dagegen besonders unbeliebt. Doch dem Traum vieler Menschen gereicht ausgerechnet das zum Nachteil, worin viele den größten Vorteil sehen: der Platz.

Neue Häuser bauen und Fläche sparen. Geht das gleichzeitig?

Die Bundesregierung stellt das vor ein Dilemma: Auf der einen Seite ist die Nachfrage nach Wohnraum groß, es bräuchte dringend neue Häuser und Wohnungen. Und Einfamilienhäuser sind beliebt.
Auf der anderen Seite spielen Häuser eine wichtige Rolle beim Klimaschutz, der Flächenverbrauch wird als Problem oft unterschätzt.
Zu Unrecht, meint Manfred Miosga, Professor für Stadt- und Raumentwicklung an der Universität Bayreuth: "Die großen ökologischen Fragen wie Artenvielfalt, Trinkwassersicherung, Anpassung an den Klimaschutz brauchen freie, unversiegelte Flächen." Doch laut Umweltbundesamt ist die verbrauchte Fläche für Häuser, Straßen oder Bahngleise zwischen 1992 und 2021 um fast 30 Prozent gestiegen. Etwa die Hälfte dieser Fläche gilt als versiegelt - zubetoniert, asphaltiert. Dort wachsen weder Bäume noch Pflanzen, die Artenvielfalt leidet, und Regen gelangt schwerer ins Grundwasser. "Zudem wollen wir alle möglichst gesunde und ökologisch erzeugte Lebensmittel konsumieren, die brauchen auch ihre Fläche", fügt Miosga hinzu.

Gerade Einfamilienhäuser haben einen maßgeblichen Anteil am Flächenverbrauch, darauf deuten Zahlen des Statistischen Bundesamtes hin: Demnach waren 2019 zwei Drittel aller Wohngebäude Einfamilienhäuser. Zwar nimmt die Zahl der neu gebauten Einfamilienhäuser ab - sie bieten aber immer mehr Platz: 2019 etwa 14 Prozent mehr als noch vor zwanzig Jahren. Es gibt also mehr Einfamilienhäuser als Mehrfamilienhäuser in Deutschland, die ihren Bewohnern pro Person auch mehr Platz bieten. Die Folge: Die Wohnfläche pro Kopf in Deutschland ist in den vergangenen Jahren gestiegen.

Eine der Ursachen: Familien bauen ein Haus, die Kinder werden erwachsen, ziehen aus. Doch die Eltern bleiben im großen Haus. Haushalte, in denen der Haupteinkommensbezieher älter als 65 Jahre ist, leben laut Statistischem Bundesamt auf durchschnittlich 68,5 Quadratmeter Wohnfläche. So viel Platz nutzt keine andere Altersgruppe. Besonders in ländlichen Bereichen beobachten Fachleute zudem den Donut-Effekt: Während Innenstädte veröden und Häuser leer stehen, bläht sich der Stadtrand immer weiter auf, weil dort Neubausiedlungen aus dem Boden sprießen, oftmals in Form von Einfamilienhäusern. In die neuen Gebiete werden Straßen gebaut, Leitungen gelegt - das alles braucht Platz.

Erste Städte regulieren den Bau von Einfamilienhäusern bereits

Das ist der Hintergrund, vor dem sich die Ampelkoalition das Ziel gesetzt hat, bis 2030 weniger als 30 Hektar Fläche pro Tag für Häuser, Industriehallen oder Straßen zu verbrauchen. Derzeit liegt der Wert bei 55 Hektar pro Tag - und ist zuletzt wieder angestiegen. Bleiben also sechseinhalb Jahre, um ihn in etwa zu halbieren. Wie soll das gehen?

Zudem das Thema auch noch hochemotional ist, betrifft es doch einen sehr persönlichen Lebensbereich. Strikte Vorgaben, gar ein Verbot von Einfamilienhäusern, sind kein Gewinnerthema für Politiker. Auch die Bundesregierung hält sich in der Frage zurück, ob es strengere Regeln für Einfamilienhäuser braucht. Dazu, wie das 30-Hektar-Ziel der Bundesregierung erreicht werden soll, steht im Koalitionsvertrag wolkig: Die Ampelparteien werden "Anreize setzen, Fehlanreize vermeiden und durch wirksame Initiativen Versiegelung reduzieren".

Manfred Miosga fordert hingegen eine konkrete Roadmap, einen Fahrplan, wie das Ziel erreicht werden soll. Auch IW-Ökonom Michael Voigtländer glaubt, das 30-Hektar-Ziel sei nur durch bundesweite Steuerung zu erreichen, "indem man sagt, in Regionen, die nicht mehr wachsen, wird auch nicht mehr gebaut, während in wachsenden Regionen Wohnbau ermöglicht wird".

Auf Anfrage, wie der Bau neuer Wohnungen mit dem Flächensparziel zu vereinen sei, verweist das Bauministerium von Klara Geywitz (SPD) etwa darauf, Büro- oder Gewerbeimmobilien weiterzuentwickeln und für Wohnraum zu nutzen. Das seien aber nur Vorschläge, der Bund mache keine verpflichtenden Vorgaben. Das Umweltministerium von Steffi Lemke (Grüne) wiederum sieht vor allem die Kommunen in der Pflicht.

Und die ersten Städte haben bereits angefangen, den Bau von Einfamilienhäusern zu regulieren, etwa die Stadt Münster. Anfang Mai hat der Stadtrat von Münster den "Leitfaden Klimagerechte Bauleitplanung" vorgestellt. Er enthielt den Satz: "Es werden keine freistehenden Einfamilienhäuser vorgesehen."

"Es funktioniert nicht über Verbote."

Im Stadtrat gab es eine heftige Debatte, Widerstand kam auch aus der CDU-Fraktion. Oberbürgermeister Markus Lewe, selbst CDU-Politiker, stellt jedoch klar: "Wir verbieten keine Einfamilienhäuser." Vielmehr gehe es darum, wie die Stadt nachhaltig bezahlbaren Wohnraum schaffen könne und dabei den Flächenverbrauch in Grenzen halte. Dazu brauche es ein "gesundes Maß an Verdichtung", wie Lewe der SZ sagt. Außerdem setze die Stadt auf Mehrfamilienhäuser, Grünflächen und Begegnungszonen. Und auf Einfamilienhäuser, wenn auch eher in Form von Doppelhaushälften oder Reihenhäusern. Frei stehende Einfamilienhäuser sollten als Ausnahme weiter möglich sein, sagt Lewe.

Dass das 30-Hektar-Ziel überhaupt zu erreichen ist, davon geht man im Bundesumweltministerium (BMUV) weiterhin aus. Laut Experten bestünden erhebliche Baulandreserven, die für eine Nachnutzung infrage kämen. Ob das geschieht, bleibt abzuwarten: Denn, wie das BMUV ebenfalls erklärt, es braucht ein gemeinsames Vorgehen aller staatlicher Ebenen, von Wirtschaft und Gesellschaft, um den Flächenverbrauch zu begrenzen. Und wenn so viele Akteure für eine Aufgabe verantwortlich sind, bietet das Raum, um auszuscheren.

Und was bedeutet das fürs Einfamilienhaus? Helfen am Ende doch nur strenge Vorgaben? "Es funktioniert nicht über Verbote", sagt IW-Ökonom Voigtländer. Vielmehr müssten Einfamilienhäuser in Zukunft flexibler gebaut werden, damit sich die Bewohner auf ihrer Wohnfläche verkleinern können. Etwa indem man von vornherein eine Einliegerwohnung einplane, in die später eine Pflegekraft einziehen könne.

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