Donnerstag, 29. Juni 2023

Schadet die Letzte Generation wirklich dem Klimaschutz?

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Die Zeit hier
Von Lenz Jacobsen 28. Juni 2023,

Demos, Kartoffelbrei, Blockaden: Eine neue Studie untersucht, wie sich Protestformen auf das Ansehen von Aktivisten auswirken – und den Anspruch an Klimapolitik.

Zu den häufigsten Beschwerden über die Aktionen der Letzten Generation gehört, dass deren Aktionen – leider, leider – dem wichtigen Anliegen Klimaschutz schadeten. Wer sich auf die Straße klebt, erweise damit der Umwelt am Ende einen Bärendienst – das ist die Kritikformel, auf die sich Konservative bis Grüne in den vergangenen Monaten einigen konnten. "Dieser Protest verhindert eine Mehrheit für Klimaschutz", rief zuletzt Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister, Anfang Juni auf dem Kirchentag. "Er treibt die Leute weg." 

Aber stimmt das wirklich? Eine Forscherin und zwei Forscher vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) haben nun in einer experimentellen Umfrage versucht, das herauszufinden.


Sinkt die Unterstützung für Klimaschutz, wenn Gemälde mit Brei beworfen oder Straßen blockiert werden? Das Ergebnis: Solche radikalen Protestformen sind zwar deutlich unbeliebter als harmlose Demonstrationen ohne Sachbeschädigung oder Eingriffe in den Verkehr. Aber die Wissenschaftler finden keine Hinweise darauf, dass die Proteste etwas daran ändern, wie viel Klimaschutz sich die Menschen wünschen.

"Unsere Studie macht deutlich, wie wichtig es ist, zwischen dem Ansehen der Protestgruppe und ihrem Einfluss auf die politischen Einstellungen der Menschen zu unterscheiden", sagt Daniel Saldivia Gonzatti, einer der Autoren. Man könnte auch sagen: Die Menschen können sehr wohl noch trennen zwischen (Protest-)Form und Inhalt.

Die Wissenschaftler haben im Januar eine repräsentative Gruppe von 2.800 Menschen befragt. Ein Drittel bekam den Satz vorgelegt: "Vor ein paar Wochen demonstrierten mehrere tausend Menschen in Berlin" (für mehr Klimaschutz). Dann wurden die Personen gebeten, auf einer Skala von 0 bis 100 Punkten anzugeben, wie viel Verständnis sie für die Proteste haben, ob sie diese unterstützen, ob sie sie legitim finden und ob sie dafür sind, dass die Bundesregierung "den Klimawandel entschiedener bekämpfen soll". Einer zweiten Gruppe wurden die gleichen Fragen gestellt, aber nicht zu Demos, sondern zu Straßenblockaden. Und ein drittes Drittel sollte sagen, wie es dazu steht, wenn Aktivistinnen Kartoffelbrei auf Gemälde werfen.   

Das Ergebnis zeigt eine klare Beliebtheitsrangfolge der Protestformen: Wer nach Demos gefragt wurde, unterstützt die Klimaproteste am stärksten (43,7 Punkte), im Straßenblockaden-Szenario fällt die Zustimmung deutlich geringer aus (25,5 Punkte). Und Angriffe auf Kunstwerke finden sogar noch weniger Unterstützung (21,7 Punkte) als Angriffe auf den Verkehr. Aber nach der Legitimität der Proteste gefragt, vergeben die Umfrageteilnehmer auch für die Kunst-Angriffe noch 40 von 100 Punkten.

Diese Unterscheidung zwischen Unterstützung und Legitimität geht in simpleren Umfragen unter, die nur allgemein die Meinung zu den Protesten abfragen. Dabei ist sie entscheidend für die Funktion von Protest, für liberale Demokratien generell: Dass man auch jenen Meinungen und Aktionen Berechtigung zugesteht, die man sich nicht zu eigen machen will. Man nennt es Toleranz.

Was passiert nun, wenn die Gruppen, nachdem ihnen die drei verschiedenen Protestszenarien vorgelegt wurden, zur Klimapolitik selbst befragt werden? Nichts.       

"Wir beobachten einen Nulleffekt", sagt Forscher Saldivia Gonzatti. Die Zustimmung zu "mehr Klimaschutz" liegt bei 52,4 Punkten bis 54,9 Punkten, die Unterschiede sind also so gering, dass sie statistisch vernachlässigbar sind.

Allerdings ist der Wunsch nach "mehr Klimaschutz" so allgemein, dass er wenig über die konkreten Fragen der Klimaschutzpolitik sagt: Heizungstausch, Windkraftausbau, Verbrennerverbot. Hier beginnen die Konflikte erst. Ob sich die verschiedenen Protestformen darauf auswirken, wie die Befragten zu diesen strittigen Themen stehen, hat die Studie nicht untersucht.

Außerdem wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Januar befragt. Erst danach verschärften Teile der Politik den Ton gegen die Letzte Generation und ihre Aktionen. Erst im Frühling kam es zur großen Razzia, versuchten einzelne Staatsanwaltschaften und Politiker, die Gruppe als möglicherweise kriminelle Vereinigung zu kategorisieren. Könnte es sein, dass all das auch die Meinung der Menschen zu den Protesten noch verschlechtert hat, dass es möglicherweise doch noch einen Einfluss auf ihre klimapolitische Einstellung hat? 

"Wir wissen natürlich nicht, wie genau unsere Fragen heute beantwortet werden würden", sagt Saldivia Gonzatti. "Aber ich bin überzeugt, dass die Zusammenhänge, die wir aufzeigen, heute auch noch wirken." Der wichtigste Zusammenhang: Entscheidend ist die ideologische Ausrichtung der Befragten. "Rechte und jene, die sowieso nicht mehr Klimaschutz wollen, lehnen auch alle drei Protestformen fast gleichermaßen stark ab, ob Demos, Kunstaktionen oder Straßenblockaden." Auf der anderen Seite, bei denen, die sich politisch links verorten oder mehr Klimaschutz wollen, sind die Unterschiede viel größer: Demos sind beliebt, die anderen beiden Protestformen deutlich weniger.  

Die ideologische Ausrichtung entscheidet auch darüber, ob sich die Befragten mehr Klimaschutz wünschen. "Wer eher rechts eingestellt ist oder bisher nicht mehr Klimaschutz wollte, lehnt auch jetzt mehr Klimaschutz ab – egal, mit welcher Protestform er konfrontiert ist", sagt Saldivia Gonzatti. Das gilt allerdings auch auf der anderen Seite: Wer sich links verortet oder sowieso mehr Klimaschutz will, bleibt dabei, ungeachtet der genauen Protestform, die ihm vorgesetzt wird. Innerhalb ihres engen methodischen Rahmens versteckt sich in dieser Studie also vor allem eine Ernüchterung in jeder Hinsicht: Wie genau Klimaaktivisten protestieren, hat überhaupt keinen direkten messbaren Effekt auf die Haltung der Deutschen zum Klimaschutz.    

Dr. Daniel Saldivia Gonzatti, Prof. Sophia Hunger, Prof. Swen Hutter: Analysebericht zur Studie ‘Environmental Protest Effects on Public Opinion: Experimental Evidence from Germany’.  (Preprint)

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