Freitag, 9. Juni 2023

Häufigere Hitze in Städten: "Wir müssen Autos durch Bäume ersetzen"

 NTV hier  09.06.2023,

Um gegen den Klimawandel in Städten anzukommen, muss Platz für Bäume geschaffen werden, sagt Landschaftsplaner und Stadtökologe Stephan Pauleit.

Heißer Beton, wenig Schatten: Hitzewellen nehmen durch den Klimawandel zu. Die städtische Architektur verstärkt die hohen Temperaturen zusätzlich. Im vergangenen Sommer stiegen in vielen deutschen Städten die Temperaturen bis zu 40 Grad und mehr. Und das sei erst der Anfang, sagen Experten. Unsere Städte werden immer heißer. Was man dagegen tun kann und warum wir uns sehr wahrscheinlich zwischen Autos und einer lebenswerten Stadt entscheiden müssen, erklärt Landschaftsplaner und Stadtökologe Stephan Pauleit von der Technischen Universität München im Gespräch mit ntv.de.

ntv.de: Professor Pauleit, wie drängend ist das Problem der Hitzebelastung in Städten?

Stephan Pauleit: Für die Menschen in der Stadt wird die Hitzebelastung von Jahr zu Jahr größer. Um ein Beispiel zu nennen: Heute gibt es in München im Durchschnitt 8,4 Hitzetage pro Jahr - also Tage, an denen die Spitzentemperatur 30 Grad überschreitet. Bis 2100 könnte sich die Zahl mehr als verfünffachen. Bei einem mitteldrastischen Klimaszenario wären es dann 44 extrem heiße Tage. Und auch die tropischen Nächte könnten deutlich zunehmen. Gab es bislang im Schnitt fünf Nächte jedes Jahr, in denen die Lufttemperatur nicht unter 20 Grad sank, könnten es in vier Jahrzehnten bereits 14 werden.

Warum erhitzen sich insbesondere Städte so stark?

Städte erwärmen sich stärker als das Umland, weil sie dicht bebaut sind. Die Gebäude nehmen die Wärme auf, speichern sie und geben sie nachts wieder ab. Zudem sind Straßen von Asphalt versiegelt. Das alles führt zu einer erhöhten Lufttemperatur, die vor allem nachts spürbar ist. Das nennt man den Wärmeinseleffekt. Andererseits gibt es weniger Vegetation in den Städten, die eine höhere Reflexion hat als gebaute Materialien und daher nicht so viel Wärme speichert. Außerdem verdunsten die Pflanzen Wasser und verbrauchen dafür Sonnenenergie, die die Luft nicht mehr erwärmen kann.

Wie groß ist der Temperaturunterschied zwischen großen Städten und dem Land?

In großen Städten ist es im Jahresdurchschnitt um zwei bis drei Grad wärmer als im Umland. An einzelnen Hitzetagen kann der Unterschied sogar 6 bis 10 Grad betragen. Vor allem sehr große Städte wie Berlin, München oder Leipzig haben eine ausgeprägte Wärmeinsel. Diese führt dazu, dass es dort deutlich mehr Tropennächte gibt. Tagsüber sind die Lufttemperaturen in Städten hingegen nicht wesentlich höher. Dennoch unterscheidet sich die Hitzebelastung im Freien zum Teil enorm.

Woran liegt das?

Es kommt nicht nur auf die Lufttemperatur, sondern auch auf die Sonneneinstrahlung und die Durchlüftung an. In Städten gibt es viele schattenlose Plätze, wo auch die umliegenden Gebäude die Strahlung reflektieren. So kann man beispielsweise auf dem Berliner Alexanderplatz der Sonne kaum entfliehen. Man bekommt die volle Sonne auf den Körper. Dann kann sich eine Lufttemperatur von 30 Grad auch wie 45 Grad anfühlen.

Deutlich weniger Hitzetote Mehr Stadtbäume können viele Leben retten

Bäume sind das Mittel der Wahl. Sie senken die Temperatur nicht nur durch Verdunstung, sondern schaffen auch Schatten. Unter Bäumen ist es ein bis zwei Grad kühler als auf offener Straße. Gefühlt ist es aber im Schatten unter den Bäumen noch viel kühler. Aber auch durch Rasen oder begrünte Dächer kann man Verdunstungskühle schaffen. Gegen nächtliche Wärme helfen zudem große offene Grasflächen, die einerseits tagsüber weniger Wärme speichern und über denen nachts die Luft besser abkühlen kann als unter dem Schirm Bäume. Daher kommt es auf die richtige Mischung von Bäumen und Rasen in den Freiräumen an.

Viele Städte haben bereits große Parkanlagen, wie zum Beispiel den Tiergarten in Berlin oder den Englischen Garten in München. Warum wird es dort trotzdem so heiß?

Einzelne Grünflächen, auch wenn sie groß sind, haben leider nur einen geringen Effekt bezogen auf die gesamte Stadtfläche. Es müssen engmaschige Netzwerke von kühlenden Grünflächen geschaffen werden. Außerdem braucht man Durchlüftungskorridore in der Stadt, durch die kühlere Luft aus dem Umland in die Städte eindringen kann. Das sind zusammenhängende Grünzüge ohne Strömungshindernisse wie Hochhäuser.

Wie stehen deutsche Städte beim Thema Hitzeschutz da? Wird bereits genug getan?

Mittlerweile gibt es immer mehr Städte, die sich mit dem Thema beschäftigen und auch eine Strategie zur Anpassung an den Klimawandel entwickeln. So hat sich die Stadt Leipzig zum Ziel gesetzt, an den großen Straßen wenigstens 133 Bäume pro Kilometer zu pflanzen. Regensburg will von der steinernen Stadt zur grünen Stadt werden und begrünt Flächen, wo es zuvor gar keine Vegetation gegeben hat. Und auch bei uns in München haben wir Projekte angeschoben.

Wie viel mehr Grünflächen bräuchte es in Städten?

Wir haben in zwei dichtbebauten Stadtvierteln untersucht, wie die heutige Hitzebelastung ist und wie sie sich in Zukunft darstellen wird. Zurzeit ist in einem der Viertel etwa zehn Prozent der Fläche mit Bäumen überschirmt. Nach unseren Berechnungen müsste man den Anteil des Grüns auf 20 bis 25 Prozent erhöhen, damit der Sommer auch noch 2050 erträglich ist.

Ist das zu schaffen?

Der Platz ist grundsätzlich da. Allerdings nur theoretisch. Denn in Wirklichkeit wird dieser Platz heute von Parkplätzen belegt oder auch von dem fahrenden Verkehr. Diese muss man drastisch reduzieren, wenn man begrünen will. Im Prinzip ist die drängendste Aufgabe in Innenstädten, Autos durch Bäume zu ersetzen. Gleichzeitig muss man aber auch im Untergrund Raum schaffen für die Wurzeln der Bäume. Das ist besonders schwierig, da dort die ganze Infrastruktur für Abwasser, Gas, Strom, Internet, Telefon verläuft. Es ist somit ein mühseliger Prozess, der nicht von heute auf morgen zu schaffen, aber unbedingt notwendig ist, damit Städte auch für den voranschreitenden Klimawandel gerüstet sind.

Was passiert, wenn nichts getan wird?

Das hat negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Bewohner. Es ist bereits vielfach belegt, dass es bei jeder großen Hitzewelle eine Übersterblichkeit gibt. So starben im Extrem-Sommer 2003 europaweit etwa 80.000 Menschen mehr, als statistisch in diesem Zeitraum erwartbar gewesen wäre. Und die sind vor allem in Städten gestorben, weil es dort besonders heiß war. Wenn nichts getan wird, nimmt man künftig weitere Hitze-Tote in Kauf.

Ziehen dann einfach mehr Menschen aufs Land?

Das wäre eine Konsequenz. Wenn es in der Stadt nicht mehr auszuhalten ist, ziehen viele aufs Land oder steigen spätestens am Wochenende ins Auto, um rauszufahren. Das bedeutet wiederum mehr Verkehr. Und diejenigen, die sich das nicht erlauben können, bleiben zurück und leiden. Die Hitze wird auch immer mehr jene Menschen treffen, die nicht viel Geld haben. Somit ist es am Ende auch eine Gerechtigkeitsfrage. Wir werden uns zwischen Autos und einer lebenswerten Stadt entscheiden müssen.

Wie wird Ihrer Meinung nach diese Entscheidung ausfallen?

Die Menschen wünschen sich eigentlich mehr Grün in der Stadt. Sie wollen lebenswerte Städte. Wenn es jedoch darum geht, dass sie dafür auf ihr Auto verzichten müssen, wird es problematisch. Man kann nicht erwarten, dass die Bürger den Kampf selbst in die Hand nehmen. Daher hat die Politik die wichtige Aufgabe, eine Richtung vorzugeben.

Mit Stephan Pauleit sprach Hedviga Nyarsik



So sieht das Alternativ-Konzept aus, wenigstens nach dem Artikel im Postillion  (hier) auf die Spitze getrieben.

Nach dem Sieg der Brötchentaste in Bremen.

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