Donnerstag, 22. Juni 2023

Landwirtschaft ohne Regen: „Wir brauchen Wasser, Wasser, Wasser“

Frankfurter Allgemeine Zeitung  hier  Artikel von Sebastian Balzter • 

Herr Münchhoff, Sie bauen am Rand der Magdeburger Börde auf 1000 Hek­tar Weizen, Raps und Gerste an. Wie sieht es auf den Feldern aus?

Trocken, ab 80 Zentimeter Bodentiefe staubtrocken. Es gab dieses Jahr in der Hauptwachstumszeit der Pflanzen zwar genug Regen. Deshalb sehen die Bestände auf den Feldern jetzt besser aus als vor einem Jahr, als es von Ende März bis Ende Mai so gut wie gar nicht geregnet hat. Uns fehlt aus den vergangenen fünf Jahren zusammengenommen aber immer noch der Niederschlag eines ganzen Jahres. Deshalb sterben im Wald jetzt 150 Jahre alte Eichen, deren Wurzeln in tiefere Schichten reichen.

Wie viel weniger ernten Sie, weil es weniger regnet als früher?

Wir haben vor 2018 im Fünf-Jahres-Durchschnitt 85 Dezitonnen Weizen je Hektar geerntet. Seitdem kommen wir im Durchschnitt auf 60 Dezitonnen. 2018 waren es nur 40 Dezitonnen. Beim Raps ging es im Durchschnitt von 42 auf 25 Dezitonnen je Hektar runter.

Und das, obwohl der Boden in der Börde zu den besten im Land zählt.

Das stimmt. Der Hof, der mit der so­genannten Bodenwertzahl 100 seit der Reichsbodenschätzung in den 1930er-Jahren als Musterbetrieb für ganz Deutschland gilt, ist nur 30 Kilometer entfernt. Wir befinden uns andererseits aber auch im Regenschatten des Harzes. Dort regnen sich die meisten Wolken ab. Als meine Großeltern hier gewirtschaftet haben, wehte der Wind öfter von Nordwest. Das brachte Niederschläge am Harz vorbei. Aber die Hauptwindrichtung hat sich geändert. Deshalb zählt unsere Gegend jetzt zu den trockensten in Deutschland.

Wie viel Dürrehilfe haben Sie vom Staat bekommen?

Überhaupt keine. Dafür geht es uns bei allen Verlusten noch immer zu gut. Unser Boden speichert das Wasser besser als der sandige Boden etwa in der Altmark. Da ist die Lage katastrophal. Gerade habe ich von einem Kollegen gehört, der seinen Betrieb mit 600 Hektar aufgeben will, weil es sich schlicht nicht mehr rentiert. Ich sehe den Unterschied auf einigen unserer eigenen Flächen. Der Boden ist ja nicht überall gleich. An sandigen Stellen, wo das Wasser schnell abläuft, leidet der Weizen auch dieses Jahr schon wieder.

Können Sie sich dagegen versichern?

Es gibt neuerdings solche Versicherungen. Aber die sind teuer, und der Teufel steckt im Detail. Wir haben nicht mehr so oft großflächige Regenfälle. Die nächsten Messstationen des Deutschen Wetterdienstes sind in Halberstadt und Quedlinburg. Manchmal gibt es dort Starkregen, aber hier fällt kein einziger Tropfen. Wie soll ich dann der Versicherung einen Ernteausfall wegen Trockenheit auf meinen Flächen nachweisen?

Was tun Sie dann, damit sich Landwirtschaft für Sie weiterhin lohnt?

Wir brauchen Wasser, Wasser, Wasser ohne Ende. Dafür sind wir auf den Regen angewiesen, den uns der Himmel bringt. Das können wir nicht beeinflussen. Aber wir tun viele kleine Dinge, um uns anzupassen. Wir ernten zum Beispiel früher, damit uns das Korn nicht am Halm vertrocknet. Vor dreißig Jahren, als ich hier angefangen habe, haben wir die Gerste ab dem 22. Juli geerntet. Vergangenes Jahr ging es schon Ende Juni los, drei Wochen früher.

Bewässern Sie Ihre Felder?

Nein. Der Aufwand dafür wäre immens. Wir haben es durchgerechnet. Für Kartoffeln, Zuckerrüben und Mais könnte es sich lohnen. Für Weizen nicht. Und woher sollten wir das Wasser nehmen? Die Talsperren im Harz sind für die Trinkwasserversorgung reserviert. Aus den Flüssen dürfen wir kein Wasser entnehmen. Und von unseren Feldern läuft kaum etwas ab, was wir in Rückhalte­becken speichern könnten, wenn wir dafür eine Genehmigung bekämen. Die Drainagen, die überschüssiges Wasser 60 bis 80 Zentimeter tief unter den Äckern ableiten sollen, sind trocken.

Wie viel Sorgen macht es Ihnen, dass Wind und Wasser den ausgetrockneten Boden mit sich wegreißen?

Von der Bodenerosion sind wir bisher zum Glück weitgehend verschont ge­blieben. Wir haben nicht viele Hang­lagen, das ist ein Vorteil.

Wie bearbeiten Sie den Boden, um der Trockenheit zu begegnen?

Wir wollen die Wasserhaltefähigkeit der schlechteren Stellen stärken. Dafür bringen wir dort nach der Ernte Biokompost aus. Das bringt nicht von heute auf morgen etwas, sondern voraussichtlich erst in 10 oder 15 Jahren. Aber irgendwann muss man anfangen.

Und was hilft kurzfristig?

Wir versuchen den Boden nach der Ernte möglichst flach zu bearbeiten und dabei einen Teil des Strohs oben zu lassen. Dann läuft das Regenwasser nicht so schnell ab. Dafür nehmen wir, wo es geht, den Grubber statt den Pflug. Und wo wir pflügen, säen wir unmittelbar danach, damit die jungen Pflanzen mit ihren Wurzeln schnell den Boden durchdringen können. Das nennen wir „Rum und rein“. Kaum ist die Scholle rumgedreht, sind die Körner schon drin.

Nach dem Grubbern wächst mehr Unkraut als nach dem Pflügen. Sprühen Sie dagegen Glyphosat?

Früher haben wir viel Glyphosat eingesetzt. Seit sieben oder acht Jahren verzichten wir fast komplett darauf. Wir müssen einmal mehr grubbern, um das Unkraut in Schach zu halten. Und gegen die Trespe, die uns an den Wegrändern zu schaffen macht, sprühen wir nach der Ernte ein Spezialmittel. Das ist, alles in allem, ein vertretbarer Mehraufwand, um Glyphosat zu ersetzen.

Wann steigen Sie vom empfindlichen Weizen auf Sorten um, die Trockenheit besser vertragen? Hirse und Soja sind viel robuster.

Das schon. Aber vergessen Sie bitte nicht: Wir müssen für alles, was wir anbauen, auch einen Abnehmer finden. Wenn wir die Scheune voll haben mit Sojabohnen, aber keiner sie kaufen will, dann haben wir nichts gekonnt.

Heißt das, Sie säen und ernten noch das gleiche Korn wie Ihre Ahnen?

Nein. Erstens hat die Züchtung viel verändert. Vor dem Zweiten Weltkrieg wurde hier der weithin gerühmte Derenburger Silberweizen angebaut, der im besten Fall 40 Dezitonnen je Hektar gebracht hat. Heute kommen wir in guten Jahren aufs Doppelte. Zweitens verzichten wir fast komplett auf Sommergetreide, das im Frühling gesät wird. Dafür ist es in dieser Jahreszeit jetzt zu trocken. Drittens haben wir einige neue Kulturen dazugenommen. Nicht Hirse, aber Erbsen und Sonnenblumen.

Sie sprechen den Züchtungsfortschritt an. Wann rechnen Sie mit trockenresistenten Weizensorten ?

Daran wird gearbeitet. Mit Crispr-Cas, der sogenannten Genschere, ginge es schneller. Aber solange die meisten Leute diese Methode ablehnen und keine Brötchen mit verändertem Weizen kaufen wollen, hilft uns das nichts. Wobei ich diese Haltung nicht recht verstehen kann. Züchtung bedeutet seit jeher Veränderung. Sonst hätten wir noch den Silberweizen meiner Großeltern.

Noch einmal zu den Sonnenblumen: Sind Sie darauf gekommen, weil die Ukraine wegen des Kriegs als Lieferant ausgefallen ist?

Nein. Sonnenblumen standen hier früher im Vorgarten, nicht auf dem Feld. Aber im vorvergangenen Winter hatten wir einige Frostschäden beim Raps. Auf diesen Flächen haben wir versuchsweise Sonnenblumen gesät. Es hat danach bis zur Ernte nur zweimal geregnet. Die Sonnenblumen sind trotzdem gut zurechtgekommen. Deshalb haben wir dieses Jahr wieder welche angesät, auf 25 Hektar. Sie reifen inzwischen früh genug ab, sodass wir sie gut mit dem Mähdrescher ernten können. Und die Erbsen brauchen wir für die Fruchtfolge. Sie binden Stickstoff im Boden. Dann müssen wir weniger düngen, wenn wir auf derselben Fläche im nächsten Jahr wieder Getreide anbauen wollen.

Gut fürs Klima. Bei der Herstellung von Stickstoffdünger wird sehr viel CO2 freigesetzt.

Für uns ist das vor allem eine Kostenfrage. Stickstoffdünger haben wir vor dem Krieg in der Ukraine für 280 Euro je Tonne gekauft. Dann stieg der Preis vorübergehend auf mehr als 1000 Euro, jetzt liegt er bei 350 Euro. Wir haben den Düngemitteleinsatz auch davor schon knapp kalkuliert. Dabei hilft uns die moderne Technik. Wir nutzen die Ertragsdaten, die wir auf unseren Flächen sammeln, und spezielle Sensoren am Düngerstreuer, um je nach Teilfläche zu dosieren. Grob gesagt, ist es so: Wo der Boden schlechter ist, kann ich mir Dünger sparen, weil dort in trockenen Jahren sowieso nicht viel wächst.

Ihre Schlepper und Mähdrescher sind aber wahre CO2-Schleudern.

Die Maschinen verbrauchen Diesel. Aber auch da sind wir sparsam. Wir haben ein breiteres Bodenbearbeitungs­gerät angeschafft. Jetzt müssen wir nicht mehr alle sechs Meter über den Acker, sondern nur noch alle neun Meter. Das klingt erst mal nicht nach viel, aber bei 1000 Hektar kommt einiges zusammen. Wir verbrauchen im Jahr 65 Liter Diesel je Hektar, das ist nur halb so viel wie viele andere Höfe in unserer Größenordnung.

Sie sehen die Folgen des Klimawandels jeden Tag auf dem Feld und an den Pflanzen. Wie halten Sie’s privat mit dem Klimaschutz?

Ich heize mein Haus seit sieben Jahren mit Holzhackschnitzeln. Vorher hatten wir eine Ölheizung. Das Haus ist groß und alt. Wir haben 20.000 Liter im Jahr verbraucht, um es warm zu bekommen.

Ihre Felder ließen sich auch prima für Photovoltaikanlagen nutzen.

Dafür habe ich erst kurz vor unserem Gespräch wieder ein Angebot bekommen. Eine Firma hat mir 4000 Euro je Hektar im Jahr versprochen, wenn ich mich darauf einlasse.

Das wäre ein gutes Geschäft.

Allerdings. Mit Weizen komme ich auf einen Deckungsbeitrag von 800 oder 900 Euro je Hektar.

Also haben Sie unterschrieben?

Im Gegenteil, ich habe den Herrn gleich wieder weggeschickt. Genauso wie die zehn oder zwölf Vertreter, die vor ihm schon bei mir waren. Ich bin gegen Photovoltaik auf Ackerland.

Warum?

Wir klagen in Deutschland jetzt zwar über die Trockenheit. Dabei sollten wir aber nicht vergessen, dass es nur in sehr wenigen Gegenden der Welt überhaupt möglich ist, Landwirtschaft so wie hier bei uns zu betreiben. Meine Überzeugung ist: Photovoltaik gehört in die Wüste, nicht auf einen 100er-Boden. Denn wir müssen Lebensmittel produzieren, wo immer es die Bedingungen erlauben. Nicht nur für Deutschland, sondern auch für den Rest der Welt. Das ist vielleicht etwas zugespitzt formuliert, aber der Zusammenhang ist doch klar: Je weniger wir ernten und in Länder mit schlechteren Bedingungen exportieren, desto mehr Menschen leiden dort Hunger. Oder sie kommen hierher, um sich das Essen zu holen.

Die Bundesregierung hat zuletzt geschützte Brachflächen für die Landwirtschaft freigegeben. Hat die Politik verstanden, worum es geht?

Nein. Diese Regelung kam viel zu kurzfristig und noch dazu mit Einschränkungen. Für die allermeisten Landwirte war sie deshalb nicht relevant. Wir haben jedenfalls keinen Antrag dafür gestellt. Die Politik versteht nicht, dass Landwirte nicht von heute auf gleich planen können. Wir müssen jetzt schon die Ernte 2024 planen, weil wir die Flächen dafür gleich nach der Ernte in diesem Sommer vorbereiten müssen. Deshalb brauchen wir Verlässlichkeit.

Ist die Kritik in diesem Fall nicht zu scharf? Es war eine Akutmaßnahme nach dem Beginn des Kriegs in der Ukraine, von dem der Landwirtschaftsminister nicht vorab wusste.

Da brauchte man auf einmal wieder Lebensmittel. Die Wahrheit ist: Wir brauchen immer Lebensmittel.

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