Mittwoch, 21. Juni 2023

Wasser:Lasset die Verteilungskämpfe beginnen


Süddeutsche Zeitung hier  27. April 2023, Von Uwe Ritzer, Genderkingen

Wasser ist keine Selbstverständlichkeit mehr in Deutschland: Der Verbrauch steigt, die Vorräte schrumpfen. Nun soll mit Hilfe von Fernleitungen umverteilt werden - doch das ist umstritten.

Oberirdisch ist die ländliche Gegend im Norden von Bayerisch-Schwaben ein friedlicher Landstrich, unterirdisch aber brodelt es. In rauen Mengen strömt dort eine Ressource, die zunehmend Begehrlichkeiten weckt: Wasser. In der von örtlichen Touristikern als "magischer Ort" beworbenen Donau-Lech-Spitz fließen inmitten mächtiger Laubwälder die beiden gleichnamigen Flüsse zusammen. Das Mündungsgebiet mit den begleitenden Grundwasserströmen gilt als die größte Trinkwasser-Gewinnungsanlage in Bayern.

Um die Bedeutung dieser Anlage zu verstehen, muss man sich ein paar Zahlen einmal genauer ansehen: Aus drei Brunnen holt allein die Wasserversorgung Fränkischer Wirtschaftsraum (WFW) 30 Millionen Kubikmeter pro Jahr aus etwa zwölf Metern Tiefe. Dann pumpt sie all das Wasser bis zu 105 Kilometer weit in den Norden. 1,26 Millionen Menschen im Ballungsraum Nürnberg-Fürth-Erlangen werden so mit Trinkwasser versorgt.

Jahrzehntelang war das eine Selbstverständlichkeit, über die nicht diskutiert wurde. Nun jedoch keimen Verteilungskämpfe auf. Wasser ist keine Selbstverständlichkeit mehr in Deutschland. Auch wenn die Republik im globalen Maßstab noch immer ein nasses Land ist und niemand Angst haben muss, zu verdursten. Der Klimawandel lässt jedoch die Vorräte schrumpfen. Gleichzeitig steigt in Hitzesommern der Verbrauch.

Deutschland gilt als eines der Länder mit den höchsten Wasserverlusten. Um etwa 20 Prozent sind die Grundwasservorräte seit der Jahrtausendwende geschrumpft; Experten veranschaulichen den Wert anhand der Wassermenge des Bodensees. Auch in vielen Flüssen und Seen gibt es das ganze Jahr über weniger Wasser als früher. Selbst wenn es - wie in den vergangenen Wochen - häufiger regnet, reichen die Niederschläge vielerorts nicht aus, um die ausgetrockneten Böden tiefgreifend zu wässern und die natürlichen, unterirdischen Speicher aufzufüllen. "Die vergangenen Dürrejahre haben Spuren hinterlassen", sagt Bundesumweltministerin Steffi Lemke.

Mitte März hat die Regierung eine nationale Wasserstrategie verabschiedet. Nach Einschätzung von Experten weist diese Strategie zwar in die richtige Richtung. Trotzdem sei sie nur ein Wunschkatalog, eine Zielvorgabe ohne rechtliche Verbindlichkeit. Die Wasserstrategen schlagen vor: Mit Verbundnetzen und Fernleitungen sollen trockene Regionen Deutschlands von wasserreichen versorgt werden.

Etwa 6000 öffentliche Wasserversorger gibt es in Deutschland, knapp die Hälfte davon in Bayern. Hier sind die Strukturen besonders kleinteilig. Mal sind es einzelne Stadtwerke, mal mehrere Gemeinden, die sich zum Zweck der regionalen Wasserversorgung zusammengeschlossen haben. Neben lokalen Bündnissen gibt es Fernversorger, wie eben besagten WFW. In einigen Bundesländern bilden sie das Rückgrat des Versorgungsnetzes.

Nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) decken insgesamt 218 Fernversorger hierzulande gut ein Fünftel des Bedarfs ab. Trinkwasser wird vor allem aus Grundwasser gewonnen, aber auch aus Uferfiltrat, Seen oder Flüssen. Wobei Deutschland diesbezüglich ein gespaltenes Land ist. In alpinen Regionen Bayerns und Baden-Württembergs ist nach Angaben des Umweltbundesamtes bis zu zwanzigmal so viel Wasser verfügbar wie etwa im trockenen Brandenburg.

Doch die große Umverteilung über weite Strecken, so logisch sie einerseits klingt, hat Grenzen. Sie ist kein Allheilmittel gegen Wasserknappheit und mancherorts auch nur eine Scheinlösung. Sie suggeriert ständige Verfügbarkeit von Wasser und endlose Vorräte.

Nach 30 Jahren läuft Ende 2023 die behördliche Genehmigung aus, auf deren Basis der WFW Wasser aus dem Norden von Bayerisch-Schwaben nach Franken pumpt. Damals, unter ganz anderen klimatischen und ökologischen Voraussetzungen also, genehmigten die Behörden eine Entnahme von bis zu 63 Millionen Kubikmetern Grundwasser pro Jahr. Tatsächlich entnahm der WFW einer Sprecherin zufolge meist um die 30 Millionen Kubikmeter. Nun hat der Fernversorger beim zuständigen Landratsamt Donau-Ries 52,5 Millionen Kubikmeter pro Jahr beantragt. Rechnerisch also 10,5 Millionen Kubikmeter weniger, als bislang erlaubt waren. De facto aber geht der WFW seinen Antragsunterlagen zufolge von einem steigenden Bedarf aus, weil die Bevölkerung wächst und der Bedarf vor allem in heißen Jahren steigen wird. Deswegen läuft der Antrag auf bis zu 22,5 Millionen Kubikmeter Mehrentnahme pro Jahr hinaus.

"Für uns ist das nicht akzeptabel", sagt Genderkingens Bürgermeister Leonhard Schwab. "Wir haben zwar noch genug, aber auch bei uns wird das Wasser immer knapper. Das sieht man am Zustand unseres Waldes, der immer trockener wird." Bereits seit 2003 gingen die Pegel nach unten, hat die Donauwörther Zeitung herausgefunden. Bürgermeister Schwab führt auch Abwasserprobleme in Zusammenhang mit der WFW-Entnahme an; der Kläraufwand und die damit verbundenen Kosten würden davongaloppieren.

In ihrer Skepsis sind Genderkingen und Niederschönenfeld nicht allein. Der Bayerische Bauernverband bewertet in einer Stellungnahme im Zuge des laufenden Genehmigungsverfahrens die vom WFW beantragte Erhöhung "sehr kritisch" und warnt vor "erheblichen Grundwasserabsenkungen". Das Landesamt für Umwelt formuliert ungewöhnlich vorsichtig, wasserwirtschaftlich könne man den WFW-Antrag "wahrscheinlich befürworten". Das klingt unterschwellig nach: Im Moment gerade noch so. Der Fernwasserversorger hält dagegen, die Auswirkungen der WFW-Entnahmen seien vergleichsweise gering.

Trockene Regionen aus nassen heraus zu versorgen, wird nicht so einfach, wie es sich Ministerin Lemke und andere wünschen. Nicht nur, weil die Wasservorräte auch in feuchten Regionen tendenziell rückläufig sind. Wobei es auf Deutschland bezogen regional große Unterschiede gibt. Der Bau von Fernwasserleitungen ist aber auch teuer, technisch aufwendig und dauert entsprechend lange. 14 Jahre hat es gebraucht, eine solche Pipeline vom Ostharz in die Region Halle hineinzuziehen, mehrere Jahre für Planung und Genehmigungsverfahren nicht eingerechnet. Vergangenen Sommer wurde die 42 Kilometer lange Leitung in Betrieb genommen; sie kostete 62 Millionen Euro.

Und es gibt immer gewaltigere Ideen und Vorschläge. In Brandenburg etwa, wo man mit dem Tesla-E-Autowerk einen großen Wasserschlucker ausgerechnet in eine Region gesetzt hat, die vorher schon mit Wasserknappheit kämpfte, denken manche darüber nach, Wasser aus der Oder-Region oder den Alpen heranzuschaffen. Als hätte nicht die Oder selbst im Sommer 2022 mit Niedrigwasserständen gekämpft.

Und die Alpen sind nicht nur mehrere Hundert Kilometer entfernt, sondern haben als Folge des Klimawandels ihrerseits mit Problemen zu kämpfen: Je weniger es schneit, wie im zurückliegenden Winter, desto weniger Schmelzwasser kommt im Frühjahr in den Tälern und im Voralpenraum an. An dem 1200 Kilometer langen Gebirgszug hängt bereits jetzt die Trinkwasserversorgung von 170 Millionen Menschen in Deutschland, Österreich, Slowenien, der Schweiz und Teilen Frankreichs.

Auch das Modell, dass ländliche Regionen große Städte mit Trinkwasser versorgen, ist nicht mehr unantastbar. Berlin, Hamburg, München sehen sich bereits entsprechender Kritik und Debatten ausgesetzt. Die bayerische Landeshauptstadt etwa bezieht drei Viertel des Trinkwassers aus der südlich von ihr gelegenen Mangfallregion und weitere 20 Prozent aus dem Loisachtal. Kommunen dort beklagen, dass sie in ihrer Entwicklung ausgebremst werden, weil sie immer größere Wasserschutzgebiete ausweisen müssen. So sollen sie die Trinkwasserqualität garantieren.

So logisch Fernwasserversorgung an sich auch ist - sie verleitet auch dazu, das Thema Wasser zu verdrängen. Eigentlich sieht das Gesetz die Verantwortung bei den Kommunen; sie sollen regionale Versorgung aus örtlichen Ressourcen heraus organisieren. Tatsächlich funktioniert der Fernwasseranschluss häufig aus Bequemlichkeit. Das bayerische Treuchtlingen etwa hat allerhand Brunnen. Aus denen schöpft jedoch ein örtlicher Mineralwasserhersteller. Die Trinkwasserversorgung ist an das WFW-Netz angeschlossen; Genderkingen liegt etwa 40 Kilometer entfernt. Will ein Treuchtlinger also Treuchtlinger Wasser trinken, muss er es im Supermarkt kaufen. Verpackt als Mineralwasser und obendrein um ein Vielfaches teurer.

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