hier TAZ KOLUMNE VON FRANZISKA DROHSEL 3.5.24
Sind die Sitzblockaden der Letzten Generation Nötigung und damit strafbar gewesen? Die Justiz ist sich da uneinig. Untere Gerichte urteilen liberaler.Die Aktionen der Letzten Generation, bei denen sie Straßen blockierten, um auf eine andere Klimapolitik zu drängen, polarisierten die bundesdeutsche Öffentlichkeit. Ein Recht auf Notwehr für Autofahrer sowie härtere Strafen für Klimaaktivist*innen wurden gefordert und die Strafbarkeit ihrer Aktionen diskutiert. Im Fokus steht die Frage, ob – und wenn ja, wie – es strafbar ist, eine Straße durch das Verweilen oder das Ankleben auf der Fahrbahn zu blockieren.
Das Blockieren von Straßenkreuzungen hat eine lange Tradition in der bundesdeutschen Protestkultur. Kaum eine Demonstration in der Innenstadt wird ohne Einschränkungen im Straßenverkehr stattfinden können. Dennoch lösten die Aktionen der Letzten Generation eine Diskussion über die rechtliche Einordnung derartiger Protestmittel aus. Mittlerweile liegen Entscheidungen der Oberlandesgerichte vor, und es zeichnet sich ab, dass sich die Zerrissenheit der bundesdeutschen Öffentlichkeit auch in der Rechtsprechung spiegelt. Dies ist beispielhaft in Baden-Württemberg zu beobachten, wo sich die Einschätzung des Oberlandesgerichts und zumindest eines Amtsgerichts deutlich widersprechen.
So gibt es aktuell eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe (2 ORs 35 Ss 120/23). In dieser hob das Oberlandesgericht eine Entscheidung des Amtsgerichts Freiburg (24 Cs 450 Js 18098/22) auf. Das Amtsgericht hatte einen Klimaaktivisten freigesprochen. Dieser hatte zusammen mit anderen Aktivist*innen dreimal eine Sitzblockade für klimapolitische Belange auf einer Straße abgehalten, wodurch er Autofahrende zum Anhalten zwang. Es kam zu Verzögerungen im Verkehr. Das Amtsgericht urteilte, dass der Aktivist sich nicht strafbar gemacht hat.
Das Amtsgericht prüfte, ob eine Nötigung nach Paragraf 240 des Strafgesetzbuchs durch Sitzen auf der Straße verwirklicht worden ist. Nötigen setzt den Einsatz von Gewalt oder die Drohung mit einem empfindlichen Übel voraus. Wenn Straßenblockierende – wie im vorliegenden Fall – nicht anderen Menschen eine Körperverletzung oder den Tod androhen, sondern einfach nur dort mit einem Transparent sitzen, kommt nur in Betracht, dass sie Autofahrende „mit Gewalt“ zum Anhalten nötigen. Gewalt setzt aber eine unmittelbare körperliche Zwangswirkung beim Opfer voraus. Eine Demonstrantin, die lediglich auf der Straße sitzt, wirkt unmittelbar nicht auf den Körper anderer Menschen ein.
Es bleibt zu hoffen, dass sich noch viele Amtsgerichte von der allgemeinen Hysterie nicht beeindrucken lassen
Dennoch bejaht der Bundesgerichtshof eine Nötigung mit Gewalt, und zwar mit folgendem Trick: In Bezug auf die erste autofahrende Person, die vor der Demonstrantin anhält, liegt lediglich eine psychische Hinderung vor – das Hindernis kann ja theoretisch umfahren werden. Für alle weiteren Autofahrende besteht aber ein echtes physisches Hindernis durch das erste Auto, und dieses physische Hindernis ist der Demonstrantin zuzurechnen. Das Amtsgericht wendete diese Rechtsprechung an und sah den Tatbestand der Nötigung in allen drei Fällen.
Allerdings kommt bei der Nötigung hinzu, dass diese verwerflich sein muss. Der Einsatz von Gewalt ist dann verwerflich, wenn im Rahmen einer Abwägung ein erhöhter Grad sozialethischer Missbilligung des für das Ziel angewendeten Nötigungsmittels vorliegt. Dabei sind das Mittel und das Ziel in Verhältnis zu setzen. Das Amtsgericht hat dabei den Zweck, eine höhere Aufmerksamkeit für den Klimaschutz zu schaffen, ins Verhältnis zum Eingriff in die Fortbewegungsfreiheit gesetzt. Es erkannte einen direkten Sachbezug an, da die Protestierenden den Autofahrenden die Verkehrsbelastung und den CO2-Ausstoß durch das Fahren von Autos vor Augen führen wollten.
Auch verwies es auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Artikel 20 a Grundgesetz, wonach das Gewicht der Freiheitsbetätigung bei einem weiter fortschreitenden Klimawandel mehr und mehr zurücktritt. Im Ergebnis sah das Amtsgericht die Straßenblockade als nicht verwerflich an und sprach den Klimaaktivisten frei.
Oberlandesgericht will nicht Farbe bekennen
Anders das Oberlandesgericht Karlsruhe: Es hob die Entscheidung auf und verwies sie an das Amtsgericht zurück. Dabei wählte das Oberlandesgericht einen unorthodoxen Weg: In der Strafprozessordnung ist vorgesehen, dass im Falle von Rechtsfehlern das Oberlandesgericht selbst entscheidet. Hat die Entscheidung tatsächliche Lücken, weil das Amtsgericht den Sachverhalt nicht vollständig ermittelt hat, kann das Oberlandesgerichts an das Amtsgericht zurückverweisen, damit diese Lücken geschlossen werden.
Das Oberlandesgericht führte aus, dass „die Verneinung der Verwerflichkeit eher fernliegen dürfte“. Es geht augenscheinlich davon aus, dass das Amtsgericht mit seinen Darlegungen zur Verwerflichkeit einen Rechtsfehler begangen hat. Dennoch hat es aber nicht selbst in der Sache entschieden, sondern wegen vermeintlicher Lücken mit Blick auf unter anderem die Länge der Verkehrsunterbrechung zurückverwiesen. Man kann den Eindruck gewinnen, dass das Oberlandesgericht dem Freispruch etwas entgegensetzen und gleichzeitig doch nicht Farbe bekennen wollte, wie es mit einer eigenen Entscheidung zur Verwerflichkeit einer friedlichen Sitzblockade erfolgt wäre.
Es bleibt zu hoffen, dass sich noch viele Amtsgerichte und hoffentlich auch – anders als das Oberlandesgericht Karlsruhe – viele Oberlandesgerichte von der allgemeinen Hysterie rund um die Rufe nach Strafschärfung nicht beeindrucken lassen, sondern bei dem bleiben, was unsere Rechtsordnung mittlerweile nach einigen Jahrzehnten an Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Sitzblockaden kennzeichnet: ein starkes Bekenntnis zur Demokratie, in der die Versammlungsfreiheit unwiderruflich ein elementarer Pfeiler ist. Dies zu konterkarieren, indem der Tatbestand der Nötigung über den Wortlaut hinaus so stark überdehnt wird, dass dieser Pfeiler Stück für Stück angebrochen wird, widerspricht dem Grundgesetz.
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