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#71 #Desinformation #Klima-Ausreden #Gespräch
Kurz vor der Europawahl müssen wir wieder mit massiver Desinformation und Bremser-Diskursen rechnen. Wie Du die gängigsten Mythen widerlegen kannst.
Den menschengemachten Klimawandel zu leugnen, ist sowas von out. Diejenigen, die Klimaschutz ausbremsen, sind aber längst nicht verschwunden, im Gegenteil. Klima-Desinformation hat sich verändert, ist komplexer geworden, und dank Telegram und Co. sowie allgemeiner Verunsicherung greift sie mehr denn je um sich.
Aber wer hat überhaupt etwas davon, Falschbehauptungen über die Klimakrise zu verbreiten?
Zunächst einmal natürlich die fossile Industrie, die am liebsten fröhlich weiter mit Kohle, Öl und Gas Geld scheffeln würde und absolut gar kein Interesse an wirksamer Klimapolitik hat.
Daneben gibt es noch zwei weitere Akteure, die von Klima-Desinformation profitieren: die sogenannten „outrage merchants“ (wir suchen noch nach einer guten deutschen Übersetzung, jemand eine Idee?), zu denen etwa rechte Medien und Blogger zählen, die mit Verschwörungserzählungen Reichweite und Geld generieren. Und staatliche Akteure, die an unseren Demokratien sägen, allen voran Russland.
Das European Digital Media Observatory (Öffnet in neuem Fenster) hat 2023 verschiedene Lügenerzählungen rund ums Klima ausgewertet: In Estland war beispielsweise von einer „linken Verschwörungstheorie“ die Rede, in Finnland wurden Klimaschutz-Maßnahmen als teuer, von der EU diktiert und schädlich für Wirtschaft und Arbeitsplätze dargestellt, und in Spanien kursierte die Lüge, dass die Regierung die Landwirtschaft abschaffen wolle und Klima-Lockdowns plane. Kein Wunder, dass auch jetzt, so kurz vor der Europawahl, mit massiven Kampagnen gerechnet (Öffnet in neuem Fenster) wird.
Die Klima-Ausreden sind vielfältig, folgen oft aber denselben Mustern. Und sie sind längst auch in den Köpfen vieler Menschen fest verankert. Darum kann es hilfreich sein, die Ausreden auch im Alltag als solche zu erkennen und im besten Fall widerlegen zu können.
Genau deshalb haben wir uns ein fiktives Gespräch rund um gängige Klima-Mythen ausgedacht – eine Situation, die Du so oder ähnlich bestimmt schon mal erlebt hast und auch künftig noch des Öfteren erleben wirst. Wir hoffen, mit dem Gespräch können wir Dir ein paar wertvolle Argumente gegen die gängigsten Klima-Ausreden an die Hand geben.
Die Studie „Discourses of Climate Delay“ (hier) liefert eine Typologie von Bremser-Erzählungen. Alle Klima-Ausreden lassen sich demnach vier verschiedenen Mustern zuordnen. Das Ziel ist entweder: (1) die Verantwortung abzuwälzen, (2) für nur schwache Maßnahmen zu plädieren, (3) die negativen Seiten von Klimaschutz zu betonen und (4) vor der Klimakrise zu kapitulieren. Allesamt rechtfertigen sie eine Untätigkeit, die wir uns in der Klimakrise längst nicht mehr leisten können.
🍻 Dein Handy blinkt, Du guckst aufs Display und freust Dich über die Überraschung: eine Nachricht von Timo, einem alten Bekannten. Du hast mit ihm in eurer Jugend zusammen Fußball gespielt, jetzt will er mit Dir spontan auf das Volksfest in eurem Heimatort gehen.
Vielleicht hättest Du einmal kurz darüber nachdenken sollen. Stattdessen sagst Du direkt: Ja.
Ein paar Stunden später sitzt Du mit Timo und drei seiner Freunde im Bierzelt und versuchst zu verheimlichen, dass Du gerade viel lieber einen Klima-Newsletter lesen würdest. Das würde hier bestimmt nicht gut ankommen. Und nachdem Du vorhin schon einen Kaffee bestellt hast und Dich die anderen – allesamt mit Bierkrug in der Hand – skeptisch angesehen haben, willst Du Dir nicht noch einen Fehltritt erlauben.
Du sagst nicht viel, während sich das Gespräch um Fußball, die Cannabis-Legalisierung, um King Charles und wieder um Fußball dreht – doch plötzlich stellt Christoph seinen Bierkrug energisch auf den Tisch und ruft in die Runde: „Haltet mich bloß nicht für einen Grünen, aber das mit dem Klima macht mir schon Sorgen.“ Du horchst auf. Vielleicht nimmt das Gespräch ja eine unverhoffte Wendung.
Du: Mir macht das auch Sorgen.
Christoph: Zu Recht. Die 1,5 Grad haben wir mit Sicherheit verfehlt. Wir haben offensichtlich nichts im Griff. Wir fahren den Planeten gegen die Wand und spätestens in ein paar Jahrzehnten wird es richtig ungemütlich. Wenn ihr mich fragt, war’s das. Drum, Jungs, hebt die Humpen. Genießen wir das Leben, solange es sich noch lohnt!
Die anderen lachen und stoßen an. Okay, doch keine unverhoffte Wendung, denkst Du. Eher Klima-Bremser-Talk aus dem Lehrbuch. Da musst Du dagegenhalten.
Du: Moment mal, wir Menschen verursachen die Klimakrise, also können wir sie auch stoppen. Und wir machen schließlich auch Fortschritte. Denkt nur mal an die vielen Innovationen der letzten Jahrzehnte im Bereich Erneuerbarer Energien. Oder an die vielen gewonnenen Klima-Klagen (Öffnet in neuem Fenster). Natürlich kommen wir viel zu langsam voran, aber dass wir gar nichts gebacken bekommen, stimmt auch nicht.
Christoph: Aber die 1,5 Grad sind nun mal nicht mehr zu erreichen.
Du: Aber selbst wenn wir die 1,5-Grad-Grenze reißen, ist nicht gleich alles verloren. Es stimmt, dass wir die Klimakrise nicht mehr loswerden. Wir müssen für immer mit ihr leben. Aber wie schlimm es tatsächlich wird, haben wir selbst in der Hand. Und dabei zählt jedes Zehntelgrad Erderhitzung, das wir vermeiden. Denn mit jedem Zehntelgrad werden die Klimafolgen noch drastischer.
Christoph schielt in sein Bier, nimmt einen großen Schluck und sagt nichts mehr. Du hast ihn anscheinend erfolgreich außer Gefecht gesetzt. Das war ja einfach, denkst Du und lehnst Dich zurück. Doch bevor Du auch nur einen Schluck von Deinem Kaffee nehmen kannst, schallt eine meckernde Stimme über den Tisch. „Es ist aber schon ein bisschen komplizierter als das“, sagt Norbert, der vorhin noch damit geprahlt hat, auch nach zwei Maß Bier noch Auto fahren zu können.
Norbert: Wir haben unseren Wohlstand mit fossilen Energien aufgebaut. Wollen wir uns das jetzt wirklich mit teurem Klimaschutz kaputtmachen? Dann können wir uns gleich wieder an ein Leben in Höhlen gewöhnen.
FACTCHECK
Das Verbrennen fossiler Energien bedroht das Fortbestehen unserer Gesellschaften. Diese Tatsache einfach umzudrehen, ist ein beliebter Taschenspielertrick der Klimaschutz-Bremser.
Klimaschutz schade der Wirtschaft, heißt es dann. Oder in den Worten von Sultan Al Jaber, Chef des Öl-Konzerns ADNOC und Präsident der letzten Weltklimakonferenz (COP28): Ein Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas würde die Welt zurück in die Höhlen (hier) führen.
Die meisten Menschen in Deutschland gehen dieser Ausrede glücklicherweise nicht auf den Leim (siehe Grafik). Trotzdem glaubt immer noch ein ganzes Drittel, dass Klimaschutz teurer wäre als die Folgen einer ungebremsten Erderhitzung.
Du: Was unserer Wirtschaft schadet, ist doch aber nicht Klimaschutz, sondern die Folgen der Klimakrise. Und die sind ja schon längst zu spüren: die Dürren und die Hitzewellen, die Ahrtal-Katastrophe. Abgesehen vom menschlichen Leid verursacht das alles auch krasse Kosten. Bis 2050 könnten es bis zu 900 Milliarden Euro (Öffnet in neuem Fenster) sein, allein in Deutschland. Wenn unsere Ökosysteme leiden, trifft das auch die Wirtschaft. Dann kann nämlich der Landwirt seine Felder nicht mehr bewässern. Und die Forstwirtin erntet kein Holz mehr, sondern nur noch Borkenkäfer.
Norbert: Aber Du musst schon sehen, dass die Autoindustrie in Deutschland für Arbeitsplätze und Wohlstand sorgt. Das können wir doch nicht einfach sabotieren.
Du: Aber Wohlstand für wen? Eine hohe Wirtschaftsleistung ist erstmal nicht zwingend etwas, von dem alle profitieren. Seit Pandemie-Beginn 2020 gingen 80 Prozent des Vermögenszuwachses (Öffnet in neuem Fenster) in Deutschland an das reichste Prozent der Menschen. Die anderen 99 Prozent – und dazu gehören wohl auch wir – haben nur krümelige 20 Prozent des Wachstums-Kuchens abbekommen. Verbrenner-Autos als Wohlstand misszudeuten, geht außerdem nur, wenn man die Schäden für Umwelt und Gesundheit nicht einpreist. Deshalb wäre es doch insgesamt viel wichtiger, unser Verständnis von Wohlstand zu überdenken.
Um nicht noch tiefer in die Diskussion zu rutschen, hättest Du wohl etwas anderes sagen sollen. Dominic, der bisher vor allem mit den Knöpfen an seiner Lederhose beschäftigt war, setzt sich auf einmal gerade hin und holt tief Luft.
Dominic: Na toll, und während wir unseren Wohlstand überdenken, machen die anderen einfach so weiter, oder was? Deutschland ist doch eh nur für zwei Prozent aller Emissionen verantwortlich.
Du: Aber du gehst doch auch Anfang Juni wählen, oder?
Dominic: Ja. Aber was hat das damit zu tun?
Du: Na, ja. Deine Stimme unter Millionen anderen Stimmen macht doch keinen Unterschied, oder doch?
Dominic: Hä? Klar. So funktioniert doch Demokratie. Außerdem kriegt mein Umkreis ja mit, dass ich wählen gehe und wenn keiner mehr wählen geht, dann … Ok, ich sehe deinen Punkt. Aber trotzdem. Wie willst du China dazu bringen, keine neuen Kohlekraftwerke zu bauen?
FACTCHECK
Zwischen 2000 und 2021 sind durch die Klimakrise bereits Schäden von mindestens 145 Milliarden Euro entstanden. Bis 2050 werden sich in Deutschland die Kosten durch Klimafolgen auf zwischen 280 und 900 Milliarden Euro belaufen – und dabei sind die Folgen für Gesundheit, Todesfälle, Verlust von Artenvielfalt und andere Faktoren noch nicht einmal einberechnet.
Du: Das wird schwierig, keine Frage. Aber Deutschland steht immerhin an sechster Stelle der Länder mit den bisher meisten Emissionen und hat damit eine historische Verantwortung. Versetz dich außerdem mal in die Lage von China oder Indien. Würdest du als erstes auf fossile Energien verzichten, während „der Westen“ weiterhin fleißig Kohle, Öl und Gas nutzt und subventioniert?
Dominic: Wahrscheinlich nicht. Aber was könnte China und Co. dann dazu bringen?
Du: Gute Frage. Ein Ansatz wäre so etwas wie ein Klima-Club.
Dominic: So wie Olaf Scholz ihn vorgeschlagen hat?
Du: Ja, nur etwas effektiver. Die Staaten innerhalb des Klima-Clubs könnten zum Beispiel einheitliche Preise und Steuern auf CO₂ erheben. Wer nicht im Club ist, zahlt extra für Exporte in die Länder, die im Club sind. So gäbe es einen wirtschaftlichen Anreiz für Klimaschutz, auch international.
Dominic: Ok, ok, aber das würde unterm Strich auch nichts ändern. Wir gucken viel zu sehr auf die Staaten. Dabei ist es doch nicht Deutschland, das die Emissionen verursacht. Es sind die Leute, die hier leben. Letztlich tragen sie die Verantwortung. So lange jeder seine Nackensteaks mit dem Auto zur Grillparty fährt und ständig in den Urlaub fliegt …
FACTCHECK
Dass die Verantwortung für Klimaschutz nicht bei Politik und Wirtschaft liegt, sondern bei Individuen, ist eine besonders hartnäckige Klima-Ausrede. In einer aktuellen Erhebung des Forschungsprojekts PACE (Öffnet in neuem Fenster) gaben 47 Prozent der Befragten an, dass ihr eigener Klimaschutz wirksam sei. Nur 27 Prozent glauben das von politischen Maßnahmen.
Gefüttert wird dieses Narrativ immer wieder auch von führenden Politiker*innen. Christian Lindner zum Beispiel klingt bei Maybrit Illner so (hier), als hätte er die entsprechende Passage des Klima-Ausreden-Playbooks auswendig gelernt:
Du: Ich glaube eher, dass wir viel zu wenig auf die Staaten schauen. Natürlich tragen auch wir alle individuelle Verantwortung. Aber die Möglichkeiten, den eigenen ökologischen Fußabdruck zu reduzieren, sind begrenzt. Auf einen großen Teil haben wir gar keinen Einfluss. Wie viel Erneuerbare Energien ausgebaut werden, wie gut und günstig Busse und Bahnen sind, das können Einzelne ja nicht einfach so mitentscheiden. Dominic holt noch einmal tief Luft, überlegt es sich dann aber anders und widmet sich wieder den Knöpfen an seiner Lederhose. Timo guckt Dich einen Augenblick mit leicht geröteten Wangen an, trinkt sein mittlerweile zweites Bier aus und klopft Dir dann anerkennend auf die Schulter.
Timo: Weißt du was? Ich glaube, du hast da einen Punkt. Wir schaffen das schon irgendwie. Wäre doch gelacht, wenn die Menschheit das nicht hinkriegt. E-Autos sind nur der Anfang. Dann erfinden wir noch Kernfusion, riesige CO₂-Staubsauger und …
Du: Nee, so war das nicht gemeint! Natürlich brauchen wir auch Technologie, um die Klimakrise zu lösen. Wir lösen sie aber nicht, wenn wir auf neue Erfindungen warten. Dafür fehlt die Zeit. Und die Technologien, die wir brauchen – nämlich Windräder, Solaranlagen und Wärmepumpen – gibt es längst.
Timo: Aber so ein riesiger CO₂-Staubsauger wär schon verdammt praktisch.
Du: Kann sein, aber solche CCS-Technologien sind noch überhaupt nicht ausgereift. Außerdem könnten sie zu einem Rebound-Effekt führen.
Timo: Ich gucke kein Basketball.
Norbert: Er meint, selbst wenn CO₂ aus der Luft gefiltert werden könnte, würde das dazu führen, dass deswegen wieder mehr CO₂ ausgestoßen wird. Wie bei Autos. Die verbrauchen wegen ihrer höheren Leistung und ihrer Größe quasi genauso viel wie früher, obwohl die Technologie viel besser geworden ist.
Christoph: Aber wenn wir einen CO₂-Staubsauger hätten, wäre es ja auch nicht so schlimm, dass die Autos so viel ausstoßen. Das meinte doch auch Markus Lanz letztens (Öffnet in neuem Fenster): Gerade junge Menschen sollten optimistisch sein, bisher habe sich die Menschheit schließlich immer irgendwie angepasst.
Du: Abgesehen davon, dass Markus Lanz scheinbar noch nie in einen IPCC-Report geguckt hat, können wir uns eben nur bis zu einem gewissen Grad an die Erhitzung anpassen. Wie willst du dich vor einem immer weiter steigenden Meeresspiegel schützen, vor allem in ärmeren Ländern? Hinzu kommen noch die Kipppunkte, von denen wir womöglich schon einige überschritten haben. Da hilft uns auch keine ferne Supertechnologie.
Schweigen. Offenbar sind der Runde die Ausreden ausgegangen. Du klopfst Dir innerlich auf die Schulter und kürst Dich selbst zum Climate-Denial-Super-Detective.
Norbert durchbricht die Stille und sagt in scherzhaftem Ton: „Du bist ein ganz schöner Moralapostel, weißt du das eigentlich?“ Dann hebt er sein Glas. „Aber finde ich gut, dass Du da so engagiert bist. Auf Dich!“
„Wahrscheinlich liest er heimlich irgendwelche Klima-Newsletter“, sagt Dominic und hebt auch sein Glas.
„Der von Treibhauspost ist wirklich … “, sagst Du, aber wirst von Christoph unterbrochen.
„Kommt, eine Runde geht noch!“ Die anderen nicken zustimmend und bestellen ein Bier. Na gut, denkst Du, warum eigentlich nicht – und dieses Mal bestellst Du eins mit.
Das war’s mit unserem imaginären Volksfestbesuch. Wir hoffen, dass Dir ein paar der Argumente bei Deinen eigenen Diskussionen weiterhelfen können.
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