Capital und NTV hier von Christina Lohner 21.05.2024
E-MOBILITÄT: Bei Genehmigungen von Schnellladestationen müsse der deutsche Staat schneller werden, kritisieren ExpertenDie Verkehrswende steht im Stau. Laut Branchenexperte Stefan Bratzel sei das E-Auto die einzige echte Lösung, doch Deutschland halte sich mit Phantomdebatten selber auf
Die Union will das für 2035 geplante Verbrenner-Aus kippen, selbst EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellt es öffentlich infrage. Die FDP pocht weiter auf E-Fuels. BMW-Chef Oliver Zipse nennt mit Blick auf das Verbot eine „Anpassung unumgänglich“. Und Mercedes stoppt die Entwicklung seiner reinen Elektro-Produktionslinie, bei der alle Teile und Maschinen neu konzipiert werden sollten. Stattdessen wollen die Stuttgarter Autos mit Verbrennermotor und Elektroantrieb weiter auf derselben Produktionslinie bauen. War es das also mit dem Verbrenner-Aus und der Elektromobilität? Branchenexperte Stefan Bratzel glaubt nicht an eine Abkehr, sondern dass die Bundesregierung einen großen Fehler gemacht hat – den sie schleunigst beheben sollte.
„Vor allem der kurzfristige Stopp der Umweltprämie für Elektroautos hat alle ziemlich geschockt“, sagt Bratzel im Gespräch mit ntv.de – Kunden wie Hersteller. Kein Wunder also, dass die deutschen Autobauer nun erneut auf die Bremse treten. Nachdem der Markthochlauf von Stromern hierzulande ohnehin schleppend lief, hat das unvermittelte Ende der staatlichen Kaufprämien dem Absatz einen deutlichen Dämpfer verpasst. Im März brachen die Neuzulassungen von E-Autos um 29 Prozent ein. Der schwache Absatz drückt auf die Gewinne der Hersteller. Auch höherpreisige Modelle verkaufen sich nicht wie erhofft, was Mercedes nun wohl den Stecker ziehen ließ.
Bratzel bezweifelt allerdings, dass die Stuttgarter ohne reine Elektro-Plattform die technischen Verbesserungen erzielen, die mit Blick auf die Konkurrenz nötig wären. „Die deutschen Hersteller brauchen sehr wettbewerbsfähige Modelle, vor allem für den wichtigsten Markt China.“ Insbesondere die Reichweite und damit zusammenhängend das Gewicht müssen stimmen, „sodass die Autos den Kunden begeistern“, sagt der Leiter des Center of Automotive Management an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach.
„Es gibt keine Alternativen“
Bratzel zählt selbst nicht zu den Verfechtern des strengen Verbrenner-Verbots ab dem Jahr 2035, ab dem in der EU neu zugelassene Autos emissionsfrei fahren müssen. „Das hätte man geschickter angehen sollen: durch CO2-Einsparziele, die dazu geführt hätten, dass 2035 faktisch kaum noch Verbrenner gebaut worden wären.“ Die „stark ideologisierte Begründung“ eines Verbots habe in der Öffentlichkeit zu einer starken Abwehrreaktion geführt. Das Verbot nun zu kippen, hält Bratzel aber für falsch. „Das würde dazu führen, dass die Öffentlichkeit denkt, dass wir uns nicht umstellen müssen.“
Durch die Diskussion um Technologieoffenheit wird laut dem Experten der falsche Eindruck vermittelt, es gäbe Alternativen zum E-Auto, um die CO2-Emissionen entsprechend den Klimazielen zu senken. „Die gibt es nicht.“ Wasserstoff werde etwa in der Stahlindustrie wichtig, wo es keine Alternative gebe. Bei E-Fuels handle es sich um eine theoretische Diskussion: „Einzelne könnten damit fahren, aber für die Masse fehlen die Mengen.“ Vor allem seien die Kosten für beide Technologien zu hoch. „Die Elektromobilität ist viel effizienter“, betont Bratzel. „Sie wird das Rennen machen.“
An der Ladeinfrastruktur wird die Elektromobilität ihm zufolge nicht scheitern, solange die Politik entsprechende Vorgaben macht. Der Autoexperte ist gerade aus Shanghai mit seinen Hochhäusern und 29 Millionen Einwohnern zurückgekehrt. „Dort ist jedes zweite Auto auf der Straße ein Elektroauto – es funktioniert.“ In seinen Augen wird in Deutschland eine „Phantomdebatte“ geführt: „Wir diskutieren, ob das geht, statt zu diskutieren, wie es geht.“ Bei staatlichen Vorgaben, etwa für Energieanbieter, würden die nötigen Stromleitungen genauso gelegt, wie Ladesäulen errichtet. „Die Verteilnetze müssen viel schneller ertüchtigt werden, damit die Leute Wallboxen für zu Hause kaufen können und an Schnellladestationen der nötige Strom bereitgestellt werden kann.“
Schnellladeparks für Städter aus Mehrfamilienhäusern
Bei Genehmigungen von Schnellladestationen müsse der deutsche Staat schneller werden. Gerade Bewohner von Mehrfamilienhäusern in Städten müssten ihre E-Autos im öffentlichen Raum laden können. Bratzel sieht die Lösung in Schnellladeparks. „In China sieht man, dass das in Großstädten funktioniert“, berichtet er. „Es hilft nicht, zu warten, sondern der Hochlauf muss politisch orchestriert werden.“ Stattdessen sei sich nicht einmal die Ampel-Koalition einig. „Die Kakofonie muss aufhören.“
Die Politik sollte die Elektromobilität nach Meinung des Branchenkenners auch stärker über Kostenanreize fördern. „Der Verbrenner muss teurer werden, sodass die Nutzung eines E-Autos günstiger als Benziner oder Diesel ist.“ So müssten etwa die Strompreise stabilisiert werden. Aktuell ist das Laden unterwegs nach Berechnungen von Statista teurer als das Tanken eines Verbrenners. „Man muss politisch Druck machen“, fordert Bratzel.
Technisch sieht der Autoexperte keine Probleme. Die Entwicklung schreite schnell voran. In greifbarer Zukunft ließen sich Batterien so schnell laden, wie sich Sprit tanken lässt. So habe CATL noch für dieses Jahr eine Batterie mit einer Reichweite von 1000 Kilometern angekündigt, die sich innerhalb von zehn Minuten für 600 Kilometer beladen lassen soll. Deutschland stehe bei der Batteriezelltechnologie vor einem riesigen Aufholprozess, betont der Experte.
Abhängigkeit von China droht
„Wir dürfen jetzt nicht nachlassen“, mahnt Bratzel. Auch wenn nicht entscheidend sei, ob zwei, drei Jahre später als bisher geplant alle Autos elektrisch fahren. Die Bundesregierung sollte seiner Ansicht nach voll auf die Elektromobilität setzen. Die deutschen Autobauer ihrerseits müssten ihre Kosten entlang der Wertschöpfungskette so weit senken, dass sich die Preise für E-Autos dem Verbrenner annähern. „Die aktuellen Modelle sind technisch gut, aber noch zu teuer.“ Einsparpotenzial sieht Bratzel bei den Batteriezellen, beim Design, in der Produktion sowie bei der Rohstoffmenge.
„Die chinesischen Hersteller beschäftigen sich schon lange damit, auch deshalb können sie günstiger produzieren.“ Studien zeigen laut dem Experten, dass die Batteriezellkosten pro Kilowattstunde sinken. „Wir müssen zusehen, dass das nicht nur den Chinesen gelingt.“ Die deutschen Autobauer müssten ihre Kosten senken und Innovationen steigern. „Sonst werden wir sehr abhängig von China.“
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