Samstag, 25. Mai 2024

"Rückwärtsgewandt und peinlich": CDU-Abstimmung über Verbrenner-Aus geht nach hinten los

Süddeutsche Zeitung hier  24. Mai 2024  Von Vivien Timmler, Berlin

Klimaschutz in der EU: CDU-Abstimmung über Verbrenner-Aus geht nach hinten los

Das hatte sich die Union wohl anders vorgestellt. Im Rahmen einer Online-Kampagne hat die CDU zwei Wochen vor der Europawahl eine Abstimmung gestartet. "Unterstützen Sie die Forderung zur Rücknahme des Verbrenner-Verbots?", fragt sie, Antwortoptionen: ja oder nein.

Aus ihrer Intention macht die CDU keinen Hehl: "Verbrenner-Verbot abschaffen" steht inklusive Ausrufezeichen direkt über der Frage. Man lehnt sich nicht weit aus dem Fenster, wenn man der Partei unterstellt, dass sie sich mit der Abstimmung genau dafür gern den Rückhalt ihrer Wähler geholt hätte.

Das ist nach hinten losgegangen. Am Freitagabend gegen 23 Uhr hatten bereits mehr als 100 000 Menschen ihre Stimme abgegeben. Ärgerlich aus Sicht der CDU: 84 Prozent sagen "nein" zu ihrer Forderung.

Dabei hatten sich Spitzenpolitiker der Union in den vergangenen Tagen große Mühe gegeben, die Notwendigkeit einer Rücknahme des Verbrenner-Aus zu erläutern. "Dieses Verbot des Verbrenners muss rückgängig gemacht werden, weil wir heute nicht wissen, welche Mobilität in Zukunft wirklich umweltneutral und klimaverträglich entwickelt werden kann", sagte etwa der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz diese Woche bei einer Wahlkampfveranstaltung in Saarlouis. "Das Verbrenner-Aus schadet dem Wohlstand in unserem Land. Es sägt am Ast, auf dem wir sitzen", gab CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann in der Bild zu Protokoll. "Der Verbrennermotor ist Basis unseres Wohlstands in Deutschland. Es wäre Irrsinn, diese Technologie einfach zu verbieten", findet CSU-Generalsekretär Martin Huber.

Nach Manfred Weber und Markus Söder (beide CSU) brechen damit auch Merz, Linnemann und Huber endgültig mit einem Kern der Politik von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Die Entscheidung der EU, ab 2035 keine Neuwagen mit Verbrennungsmotor mehr zuzulassen, ist ein zentraler Bestandteil des Green Deals, des großen Klimaschutzpakets der aktuellen Legislatur. Zwar steht 2026 eine Überprüfung der Fortschritte durch die EU-Kommission an, mit einer echten Rücknahme des Verbrenner-Aus würde von der Leyen jedoch ihren eigenen Rechtsakt entkernen.

"Rückwärtsgewandt und peinlich"

"Macht die Union neuerdings schon Kampagnen gegen ihre eigene Spitzenkandidatin?", fragt die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Die Partei sammele Unterschriften gegen von der Leyens politische Erfolge. "Dieser Zickzackkurs schafft Unsicherheit", so Lang. Die verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Bundestag Isabel Cademartori wird noch deutlicher. "Diese ganze Kampagne der CDU ist rückwärtsgewandt und peinlich", sagt sie, "nur getoppt von dem Ergebnis der Abstimmung". Offensichtlich seien die Bürgerinnen und Bürger fortschrittlicher als die CDU, so Cademartori.

Aus Sicht von SPD und Grünen braucht die deutsche Automobilindustrie vor allem eines: Planungssicherheit. "Wenn das so weitergeht, gefährdet die Union Wettbewerbsfähigkeit, Klimaschutz und Wohlstand", so Ricarda Lang. Tatsächlich haben sich die meisten Hersteller und auch viele Zulieferer bereits auf das Verbrenner-Aus eingestellt und massiv in die E-Mobilität investiert.

Zwar haben zuletzt immer mehr deutsche Auto-Manager den starren Zeitplan für das Verbrenner-Aus kritisiert und sich für flexiblere Regeln ausgesprochen, darunter BMW-Chef Oliver Zipse und Mercedes-Chef Ola Källenius. Das Gesetz zu kippen sei dennoch falsch, sagt der Autoexperte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM), insbesondere vor dem Hintergrund rückläufiger Zulassungszahlen bei E-Autos. "Das würde dazu führen, dass die Öffentlichkeit denkt, dass wir uns nicht umstellen müssen", sagte er. Zudem vermittle die Diskussion um das Verbrenner-Aus in Zusammenhang mit dem Ausdruck der "Technologieoffenheit" den Eindruck, es gäbe langfristig echte Alternativen zum E-Auto. "Die gibt es nicht", so Bratzel.


NTV hier  24.05.2024,

Der Tag: CDU-Umfrage zum Verbrenner-Aus geht nach hinten los


WiWo  hier

Aus fürs Verbrenner-Aus? Mit dieser Kampagne schadet die Union dem Standort

„Verbrenner-Verbot abschaffen!“: Mit diesem Slogan geht die Union nun auf Stimmenfang zur Europawahl. Damit macht sie nicht nur den Wählern etwas vor – sie tut auch der Autoindustrie keinen Gefallen. Im Gegenteil. Ein Kommentar.

Zwei Wochen vor der Europawahl starten CDU und CSU eine bemerkenswerte Kampagne. Wahlberechtigte können seit heute über die Webseite „Ja zum Auto“ darüber abstimmen, ob sie das geplante Verkaufsverbot für Neuwagen mit Benzin- oder Dieselmotor ab 2035 ablehnen.

Aus Sicht der Union ist die richtige Antwort bereits klar: „Verbrenner-Verbot abschaffen!“, fordern CDU und CSU. „Wir stellen in Deutschland die effizientesten Motoren der Welt her“, sagt CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann zum Kampagnenstart: „Das Verbrenner-Aus schadet dem Wohlstand in unserem Land. Es sägt am Ast, auf dem wir sitzen.“ Ernsthaft?

Dabei hat Linnemann durchaus recht. Unser Wohlstand ist gefährdet – aber gerade deshalb, weil ausgerechnet die Autohersteller als Deutschlands Schlüsselindustrie ihren Tempomat auf Tiefschlaf eingestellt hatten. Sie haben es versäumt, E-Autos zu entwickeln, mit denen sie nicht nur in Deutschland, sondern weltweit wettbewerbsfähig sind.  

„Der Dachstuhl brennt“, warnte Volkswagen-Markenchef Thomas Schäfer bereits im vergangenen Sommer – doch eine komplette Kehrtwende vom Verbrenner-Aus, wie die Union sie nun fordert, wird freilich nicht die Rettung der deutschen Autoindustrie sein. Im Gegenteil. 

Kein Autoboss will eine Abkehr 

Kein deutscher Autoboss fordert eine Abkehr vom Verbrenner-Aus, selbst BMW wurde vom Zauderer zum Zauberer in Sachen E-Auto-Absatz. Dass die Deadline von 2035 um einige Jahre nach hinten geschoben wird, ist zwar durchaus realistisch. Hersteller bekommen so mehr Spielraum für die Umstellung, die Ladeinfrastruktur kann flächendeckender aufgebaut werden. Aber mehr als fünf Jahre werden es wohl nicht sein. 

Spätestens 2040 ist Schluss, heißt es in Kreisen der deutschen Autoindustrie – alles andere würde auch den Green Deal gefährden, mit dem die Europäische Union bis 2050 klimaneutral werden soll. Ein Prestigeprojekt von EU-Kommissionspräsidentin und CDU-Mitglied Ursula von der Leyen, das sie nach einer möglichen Wiederwahl auch in der nächsten Legislaturperiode kaum begraben will.  

Wachstumstreiber E-Mobilität 

Bis 2040 bleiben 16 Jahre, um im Autoland Deutschland das aufzuholen, was versäumt worden ist. Doch die Union wirbt nun ernsthaft für eine Technologie, die schon seit sieben Jahren rückläufig ist. Weltweit generieren die Automobilhersteller ihr Wachstum aus E-Autos. 

Allein 2023 haben der chinesische Autobauer BYD und der amerikanische Hersteller Tesla mehr E-Autos produziert als alle europäischen Hersteller zusammen. China drängt mit seinen subventionierten Modellen so massiv auf den europäischen Markt, dass die EU-Kommission Anfang Juni nun Strafzölle gegen E-Autos aus China verhängen wird. 

Autohersteller wollen Planungssicherheit 

Wenn die Union sich ernsthaft für Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit einsetzen will, dann sollte sie einen Beitrag zur Planungssicherheit leisten – genau die wird von den Automobilherstellern nämlich dringend gebraucht, wenn sie sich zukunftsfähig aufstellen wollen. Die Kampagne der Union trägt jedoch nur zur Verunsicherung bei.

Dazu suggerieren CDU und CSU ihren Wählerinnen und Wählern, dass die bei der Europawahl ernsthaft das Verbrenner-Aus abwählen können. Dafür gibt es auch in der Autoindustrie kein Verständnis: „Wer damit wirbt, macht den Menschen etwas vor“, sagt ein hochrangiger Manager eines deutschen Automobilkonzerns.       

Und doch gibt es am Ende jemanden, der sich über so rückwärtsgewandte Kampagnen wie die Abschaffung des Verbrenner-Verbots ganz besonders freuen wird: die Konkurrenz der deutschen Automobilindustrie! 


T-online hier  MEINUNG  von  Christopher Clausen

Aus für das Verbrenner-Aus?  Ein fatales Zeichen

Die Antriebswende im Verkehrssektor lahmt. Jetzt lässt die CDU auch noch über das Verbrenner-Aus ab 2035 abstimmen. Doch das würde nachhaltige Schäden anrichten.

Die Verkäufe von E-Autos lahmen, die Antriebswende kommt nicht voran – und was macht die CDU? Sie lässt ihre Mitglieder über eine Abkehr vom Verbrenner-Verkaufsverbot ab 2035 in Europa abstimmen (lesen Sie hier mehr dazu). Die Forderung: Technologieoffenheit statt Verbote.

Würde das Verbrenner-Aus tatsächlich zurückgenommen, wäre dies ein fatales Zeichen – nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Wirtschaft und die Glaubwürdigkeit der Politik.

Ja, die Umstellung auf E-Autos ist zäh. Viel zäher, als die politischen Verantwortlichen und die Autohersteller gedacht haben. Der Ausbau der Ladeinfrastruktur kommt nicht so voran wie gewünscht, und vor allem fehlt es aktuell an bezahlbaren E-Autos. Auch die Vorbehalte in der Bevölkerung gegen die neue Technologie sind groß. Der Stopp der E-Auto-Förderung hat zudem die Nachfrage nach elektrischen Neuwagen massiv einbrechen lassen – und auch die Preise für gebrauchte Stromer.

Autohersteller beginnen zu zögern

Selbst die Autohersteller, die in den vergangenen Jahren massiv in E-Autos investiert haben, scheinen nicht mehr so recht an den Erfolg zu glauben: VW will den elektrischen ID.7 erst einmal nicht in die USA exportieren und nennt dies eine "marktorientierte Entscheidung". Sprich: Der Konzern sieht zu wenig Interesse bei den Kunden. Mercedes hat die Entwicklung einer neuen Elektro-Plattform für kommende Modellgenerationen gestoppt, weil die Nachfrage nach E-Autos zu gering und das Investitionswagnis zu groß ist.

Eine Kehrtwende ist keine Option

Doch es ist keine Alternative, jetzt zaudernd die Entwicklungen der vergangenen Jahre zurückzudrehen. Die Batterietechnik hat sich massiv verbessert, neue Zellen ohne seltene Erden wie Lithium oder Kobalt sind in der Entwicklung. Mittlerweile kommen auch die ersten E-Fahrzeuge mit akzeptablen Reichweiten um die 25.000 Euro auf den Markt, weil die Fertigung durch höhere Produktionszahlen günstiger wird. Und das liegt unter anderem auch daran, dass der politische Druck auf die Autohersteller zuletzt hoch war, den CO2-Ausstoß drastisch zu reduzieren und neue Technologien zu entwickeln.

Wird dieser Druck wieder zurückgenommen, siegt die Macht der Gewohnheit – zum Nachteil unseres Wirtschaftsstandorts. Denn die großen Industrien anderer Länder, vor allem China, entwickeln weiter neue Antriebs- und Energiespeicheroptionen. Passen wir jetzt nicht auf und bündeln unsere Kräfte, verspielen wir die Chance, auf dem Weltmarkt mit technologischen Entwicklungen "Made in Germany" oder "Made in EU" in ein paar Jahren überhaupt noch eine Rolle zu spielen.

Politik muss einen zuverlässigen Rahmen schaffen

Aber auch die Politik macht sich dauerhaft unglaubwürdig: Sie muss stabile, zuverlässige und glaubwürdige Leitplanken schaffen, an denen sich Wirtschaft und Gesellschaft orientieren können. Schon das Aus für die E-Auto-Förderung hat einen massiven Vertrauensverlust nach sich gezogen – klamme Kassen hin oder her. Ein ständiger Schlingerkurs schafft Unruhe, die wir uns in der aktuellen Zeit nicht erlauben und leisten können.

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