Samstag, 4. Mai 2024

Immer wieder die Gretchenfrage: höhere Strompreise durch Atomausstieg? Ökonomen kommen zu klarem Ergebnis

hier Merkur  Geschichte von Max Schäfer • 3.5.24

Debatte um AKW-Aus: Sind die Strompreise durch das Aus der Atomkraft gestiegen? Kritiker sagen ja, eine Studie zeigt das Gegenteil – besonders auf lange Sicht.

Der Atomausstieg in Deutschland ist weiterhin Streitpunkt. Im Zuge der Abkehr von relativ günstigem russischen Gas in Folge des Ukraine-Kriegs und vom fossilen Energieträgern aufgrund der Klimakrise fordern Politiker und Wissenschaftler den Wiedereinstieg in die Kernenergie. Dadurch könnten Strompreise gesenkt und die Versorgungssicherheit gewährleistet werden.

„Die Abschaltung der Atomkraftwerke hat die Strompreise nicht nach oben getrieben“, erklärte dagegen Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung für Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Ihr Institut hat untersucht, wie sich der Strommarkt entwickelt hätte, wenn die letzten Kernkraftwerke weitergelaufen wären. Dabei haben die Fachleute zwei Szenarios verglichen: eines mit, und eines ohne sechs Atomkraftwerke.

Atomausstieg hat in der Praxis nicht zu steigenden Stompreisen beigetragen – laut DIW-Studie

Das Abschalten der letzten Atomkraftwerke in Deutschland habe nicht wesentlich zu den Preisspitzen der vergangenen Jahre beigetragen und auch keine substanziellen Netzengpässe verursacht, lautet das Fazit der DIW-Studie. Die im Vergleich zu 2021 fehlende Menge von 65 Terawattstunden wäre im Modell den Forschenden zufolge von fossilen Brennstoffen ausgeglichen worden. Das hätte zu einem höheren CO₂-Ausstoß geführt. „In der Realität ist dieser Effekt aber dadurch kompensiert worden, dass zeitgleich erneuerbare Energien ausgebaut wurden und der Stromverbrauch insgesamt zurückgegangen ist“, berichtet das DIW.

„Vor allem die kriegsbedingten Gaspreissteigerungen und die enormen Ausfälle französischer Kernkraftwerke haben die Strompreise erhöht“, sagte von Christian von Hirschhausen, Studiendirektor. Der Einfluss des Atomausstiegs sei dagegen gering. „In der Realität sind bei der Abschaltung der verbleibenden drei Kernkraftwerke vor einem Jahr die Preise zunächst leicht gesunken“, berichtet das DIW. Die Fachleute führen das darauf zurück, dass der Abschalttermin von den Marktteilnehmern rechtzeitig antizipiert worden sei.

Maximal leichter Anstieg der Strompreise – im Vergleich zu Kosten der Atomkraft aber „vernachlässigbar“

Strompreise könnten durch den Atomausstieg dagegen „maximal sehr gering“ nach oben gehen, sagte Claudia Kemfert mit dem Verweis auf die Modellsimulationen. Dabei beobachteten die Fachleute einen Anstieg des durchschnittlichen Strompreises von elf Euro pro Megawattstunde für 2021. Der Preisanstieg von elf Prozent sei jedoch im Vergleich zur Entwicklung durch höhere Rohstoffpreise gering.

„In der Debatte über die Atomwende sind diese Größenordnungen grundsätzlich vernachlässigbar gegenüber den Gesamtkosten der Atomkraft, die seit Beginn der kommerziellen Nutzung vor allem durch Risikoübertragung auf die Gesellschaft beziehungsweise in Form von Subventionen bezahlt wurden“, erklären die Forscher zudem.

Bisher seien die Kosten von Zwischen- und Endlagerung radioaktiver Abfälle vollständig vernachlässigt worden, „obwohl diese auch in Deutschland erheblich sind und im Laufe der Zeit signifikant ansteigen werden“.


„Teuer, risikoreich, nicht sicher“:
Atomkraftwerke eignen sich laut Kemfert nicht für Energiewende


„Die Atomkraftwerke sind keine Option für die Energiewende“, folgert Kemfert. „Sie sind teuer, risikoreich und auch nicht automatisch sicher.“ Die Ökonomin verweist auf Frankreich, wo die Atomkraftwerke im Sommer wegen Wassermangel abgeschaltet werden mussten. „Das heißt, hier haben wir gar keine Versorgungssicherheit.“

Atomkraftwerke passen laut Kemfert auch nicht zur Energiewende, weil sie nicht so schnell hoch- und runtergefahren werden können, „wie wir es eigentlich bräuchten“. Sie stimmt dabei mit dem Wissenschaftler und Energieexperten Volker Quaschning überein. Ein Weiterbetrieb der Atomkraftwerke sei technisch „völlig sinnlos, da Grundlastkraftwerke zum Ausgleich der immer stärker fluktuierenden Erzeugung ungeeignet seien“. Der Experte hält die Debatte um einen Wiedereinstieg in die Kernkraft deshalb für „völlig überflüssig“.

DIW-Ökonomen halten neben Atomausstieg auch ein Kohle-Aus bis 2030 für realistisch

Im Zuge der Energiewende halten die DIW-Fachleute einen Ausbau von 80 Prozent erneuerbarer Energien und einen Kohleausstieg bis zu diesem Zeitpunkt weiterhin für realistisch. Phasen mit wenig Strom aus Windkraftwerken und Solaranlagen könnten mit einer flexiblen Nachfrage, Erzeugung in Pumpspeicherkraftwerken oder durch Stromimport überbrückt werden. Gaskraftwerke hätten nach den Modellen des DIW noch einen Anteil von 18 Prozent. (ms)


hier Zeit   4. Mai 2024, Quelle: dpa Sachsen

Lemke: Atomkraft zu teuer, zu langwierig und zu riskant

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hat den Atomausstieg in Deutschland verteidigt. Alle demokratischen Parteien hätten den Atomausstieg beschlossen, sagte Lemke am Samstag auf einem Landesparteitag der sachsen-anhaltischen Grünen in Magdeburg. CDU und CSU müssten für sich klären, ob sie tatsächlich für einen Wiedereinstieg in Deutschland streiten wollten, so Lemke. «Die Ampel will nicht wieder in die Atomkraft einsteigen. Es ist zu teuer, es ist zu langwierig und es ist zu riskant.»

Die Bundesumweltministerin äußerte sich in Magdeburg auch zu aufgekommenen Vorwürfen im Kontext des Atomausstiegs. Auslöser der Kontroverse war ein Bericht des Magazins «Cicero», wonach sowohl im Wirtschafts- als auch im Umweltministerium im Frühjahr 2022 interne Bedenken zum damals noch für den folgenden Jahreswechsel geplanten Atomausstieg unterdrückt worden sein sollen - was beide Ministerien bestreiten. Ein Journalist hatte die Herausgabe der Akten vor Gericht erstritten - und erhielt zwei dicke Aktenordner. Bis dahin hatte das Wirtschaftsministerium nur einen Teil der geforderten Dokumente übergeben und dies mit der Vertraulichkeit der Beratungen begründet.

Es gebe keine Geheimakten, sagte Lemke in Magdeburg. Die Debatte sei demokratisch und über Monate auf offener Bühne geführt worden. Es gebe nichts geheim zu halten, so Lemke

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