Dienstag, 7. Mai 2024

Die fetten Kohlejahre sind vorbei

SPIEGEL-Klimabericht  hier Von Susanne Götze  03.05.2024

Die G7-Staaten wollen bis Mitte der Dreißigerjahre aus der Kohle aussteigen. Ostdeutsche Politiker sind empört. Dabei wissen die Tagebaubetreiber in der Lausitz längst, was bevorsteht und bereiten die Post-Kohle-Ära vor.

Bild: Garzweiler

Dass das Ende der Kohle naht, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Sie ist der erste der drei fossilen Brennstoffe – Erdöl, Erdgas, Kohle – für die es in vielen Ländern einen konkreten Ausstiegsplan gibt. Offiziell begonnen hat der Anfang vom Ende im November 2021. Damals beschlossen die 195 Teilnehmer der Weltklimakonferenz im schottischen Glasgow, dass die Länder ihren Kohleausstieg beschleunigen und die Subventionen für fossile Brennstoffe herunterfahren sollen.

Nun ziehen die G7-Staaten mit einem konkreten Datum nach: bis zum Jahr 2035, so einigten sich deren zuständige Minister diese Woche auf einem Treffen in Turin, beabsichtige man, komplett aus der Verbrennung des klimaschädlichen Brennstoffs auszusteigen. Zur G7-Gruppe zählen die USA, Deutschland, Italien, Frankreich, Großbritannien, Kanada und Japan. Die Länder stehen für 38 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung und sind für 21 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen verantwortlich (Stand 2021).

Während Umweltverbände und die NGO Climate Analytics das Ausstiegsdatum als »zu spät« kritisierten, nannte das Bundeswirtschaftsministerium die Einigung einen »Meilenstein zur Abkehr von den fossilen Energieträgern weltweit«. Frankreich hätte den Kohleausstieg gern bereits 2030 gehabt. Das Land hat aber auch kaum Kohlekraftwerke, die es abschalten muss. In Deutschland hingegen kann die Kohle laut derzeitiger Gesetzeslage noch bis 2038 verbrannt werden.

Automatischer EU-Kohleausstieg durch Emissionshandel und Erneuerbare

Das neue Ziel – 2035 – erzeugte in den ostdeutschen Bundesländern Unruhe, insbesondere in Brandenburg und Sachsen. Während in den westdeutschen Kohle-Tagebauen bereits 2030 Schluss ist, soll Kohle im Osten (Lausitzer Revier und Mitteldeutsches Revier) eigentlich noch acht Jahre länger abgebaut werden. Die Ministerpräsidenten von Sachsen und Brandenburg, Michael Kretschmer und Dietmar Woidke, erinnerten die Bundesregierung dann auch gleich daran, dass der G7-Beschluss nicht mit dem vereinbarten Ausstieg von 2038 vereinbar sei. »Wir sind nicht nur verwundert, sondern verärgert, wie über die vergangenen Jahre immer wieder Daten genannt worden sind, die keine rechtliche Grundlage haben«, beschwerte sich Kretschmer.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck reagierte gelassen: »Für Europa und Deutschland heißt es faktisch nichts«, sagte Habeck am Dienstag in Hannover mit Blick auf den neuen Austrittstermin. Er begründete das mit der Wirkung des europäischen CO2-Handels (ETS). Aus seiner Sicht regelt sich der Kohleausstieg über knapper werdende Zertifikate und über den sukzessiv steigenden CO₂-Preis – nicht über das vereinbarte Datum. Das entspricht auch der Einschätzung von Experten. Die rechnen damit, dass Kohlestrom Anfang der Dreißigerjahre schlicht unrentabel wird. Zwar war der CO₂-Preis in den vergangenen Monaten extrem gefallen, mittlerweile hat er sich aber wieder bei rund 70 Euro pro Tonne  eingepegelt.

Hinzu kommt der wachsende Anteil der Erneuerbaren im Strommix. Aktuelle Zahlen geben einen Eindruck der stillen Stromrevolution: Im April waren 62 Prozent des erzeugten Stroms in Deutschland erneuerbar (siehe Grafiken), die Braunkohleverstromung ging im Jahresvergleich deutlich zurück.

Das Totenglöckchen der Kohle hören auch die Betreiber selbst sehr deutlich. Sie orientieren sich deshalb längst um. Ein Beispiel ist der tschechische Milliardär Daniel Křetínský, Vorstandschef des Energieunternehmens EPH, das wiederum das Mutterschiff des ostdeutschen Kohleunternehmens Leag ist. Křetínský sorgte vergangene Woche für Aufregung, weil er sich beim deutschen Stahlkonzern Thyssenkrupp einkaufte. Dort soll seine Holding EPCG 20 Prozent an der Sparte Thyssenkrupp Steel Europe übernehmen, später noch weitere 30 Prozent, wie das »Manager Magazin« berichtet. Der Stahlkonzern ist seit Jahren im Umbruch und will künftig klimaneutral produzieren.

Alte Braunkohleflächen: »Flächenschatz« für Erneuerbare

Dafür benötigt er massenweise Ökostrom, weil die Herstellung von Stahl extrem energieintensiv ist. Vielleicht, so mutmaßen nun Beobachter, könnte Křetínský den bald mit seinen erneuerbaren Energieanlagen liefern – der sogenannten Gigawattfactory –, die er in der Lausitz plant. Die 33.000 Hektar Bergbaufolgeflächen seien ein »Flächenschatz für erneuerbare Energien«, heißt es auf der Leag-Seite. Wind- und Solarparks sollen zum »Jobmotor« für Ostdeutschland werden – und das schon bis 2030. Zudem will Křetínský in der Lausitz Wasserstoff nutzen . Erste »wasserstofffähige Kraftwerke« sind schon geplant. Auch bei den Stahlriesen im Westen der Republik ist Wasserstoff als Rohstoff gefragt.

Wie viel von diesen grünen Träumen Wirklichkeit wird, ist noch unklar. Unternehmer wie Křetínský hoffen – nicht zum ersten Mal – auf großzügige staatliche Hilfen. Derzeit wartet Křetínský auf eine vom Staat versprochene Entschädigung für den Kohleausstieg 2038 von 1,75 Milliarden Euro. Und der Kohlebaron könnte für sein neues Geschäftsmodell noch mehr bekommen. So soll die Stahlbranche künftig mit Milliarden Euro Subventionen aus Brüssel unterstützt  werden. Auch bei der genutzten Fläche der Tagebaue oder beim Aufbau der Gigawattfactory rechnet die Leag vermutlich mit staatlicher Unterstützung.

Zudem gibt es noch einige technische Probleme mit »wasserstofffähigen Kraftwerken«. Das Rechercheportal Correctiv  hält Pläne dazu für einen »Bluff«, wie es seine jüngste Recherche zu dem ersten »vollständig wasserstofffähigen« Erdgaskraftwerk in Leipzig übertitelte. Von »wasserstofffähig« könne kaum die Rede sein, wenn nicht mal die Turbinen des Kraftwerks jemals unter Realbedingungen mit Wasserstoff getestet wurden, heißt es in dem Beitrag.

Stress gibt es nun auch mit Anwohnern in der Lausitz und der geplanten Gigawattfactory. Die Anwohner sind der Ansicht, dass Teile der Tagebauflächen ihren Gemeinden zustehen und nach dem Ende der Kohle wieder an sie zurückfallen sollten. Die Leag will diese aber einbehalten, wie der RBB berichtet .

Im Ende der Kohle, so ist schon abzusehen, liegen noch zahlreiche Konflikte, viele (manche auch haltlose) Versprechen und die Hoffnung auf Subventionen. 
Dennoch: mittlerweile redet man in der Region mehr von der Post-Kohle-Ära als von dem zwanghaften Erhalt einer unzeitgemäßen Energieform.
Höchste Zeit also, sich von dem Klimakiller endgültig zu verabschieden.


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