Samstag, 18. Mai 2024

Klimaklage der Deutschen Umwelthilfe: Neue Schlappe für die Ampel

Süddeutsche Zeitung  hier  17. Mai 2024 Von Michael Bauchmüller und Vivien Timmler, Berlin


"Was nutzen uns die Ziele, wenn uns die Maßnahmen fehlen?", fragt Remo Klinger, Anwalt der Deutschen Umwelthilfe, deren Aktivisten vor dem OVG in Berlin protestieren. (Foto: DUH)

Wieder erleidet die Bundesregierung Klima-Schiffbruch vor Gericht. Selbst das aufgeweichte Klimaschutzgesetz dürfte ihr diesmal nicht helfen. Denn es geht auch um den Naturschutz.

Der Freitag hätte aus Ampel-Sicht der geschmeidige Abschluss einer zähen Angelegenheit sein können. Als gewissermaßen letzte Instanz knöpfte sich der Bundesrat das deutsche Klimaschutzgesetz vor - und erledigte die Sache gerade einmal in zweieinhalb Minuten. Keine einzige Wortmeldung, kein Antrag auf Anrufung des Vermittlungsausschusses. Monatelange Diskussionen waren abgehakt.
Doch vor die Freude über ein abgeschwächtes Klimaschutzgesetz setzte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg ein Urteil. Wieder einmal.

Schon im vorigen November hatte das Gericht der Bundesregierung kräftig eingeschenkt.
Die Ministerien für Verkehr, Bau und Wirtschaft seien die vorgeschriebenen Sofortprogramme schuldig geblieben, urteilten die Richterinnen - und zitierten genüsslich die entsprechenden Passagen aus dem Gesetz. Die Koalition legte Revision beim Bundesverwaltungsgericht ein und änderte das Gesetz, letzter Akt diesen Freitag. Weil sich die Bundesrichter nun nicht mehr mit dem alten, sondern mit dem neuen Gesetz befassen werden, dürfte sich die Sache erledigt haben: Sofortprogramme für einzelne Ministerien sieht das Gesetz nun nicht mehr vor.

Die Regierung muss mehr für die Moore tun

So einfach wird das mit den neuerlichen Urteilen nicht. Zwei Klagen hatte die Deutsche Umwelthilfe angestrengt, in beiden folgte das Oberverwaltungsgericht ihrer Argumentation (OVG 11 A 22/21, OVG 11 A 31/22). Und beide lassen sich auch mit dem neuen Gesetz nicht einfach so erledigen - eher im Gegenteil.

So bezieht sich eines der Urteile auf das Klimaschutzprogramm der Regierung. Im vorigen Herbst wollte sie mit diesem "Gesamtplan" darlegen, wie sie die Klimaziele bis 2030 erreicht - und zwar jenseits der bisherigen Sofortprogramme für einzelne Ministerien. Doch nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts hält es die Klimaziele nicht ein. Mehr noch: Es leide an "methodischen Mängeln" und beruhe "teilweise auf unrealistischen Annahmen". An diesem Urteil ändere sich auch nichts, wenn man das Klimaschutzgesetz aufweiche, sagt Umwelthilfe-Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. "Das Defizit bleibt." Einer Revision sehe er gelassen entgegen.

"Wir nehmen das Urteil zur Kenntnis", heißt es aus dem Verkehrsministerium

Das andere Urteil dreht sich um einen Bereich, der oft übersehen wird: die Änderungen von Landnutzungen. Wird zum Beispiel aus einem Moor ein Acker, dann werden dadurch dauerhaft klimaschädliche Emissionen freigesetzt - macht man es umgekehrt, bindet man sie. Das Gleiche gilt für Wälder oder Grünland. Wie viel Kohlendioxid sich durch den Schutz von Mooren, Wäldern und Wiesen binden lässt, kann man ziemlich genau bilanzieren. Nur leider ist die Bilanz für Deutschland negativ: Es wird dort mehr CO₂ freigesetzt als gespeichert. Dabei sollen dort im Jahr 2045, wenn Deutschland klimaneutral sein soll, 40 Millionen Tonnen Negativ-Emissionen verbucht werden. Dieses Ziel werde "aus heutiger Sicht deutlich verfehlt", heißt es auch im jüngsten Projektionsbericht der Bundesregierung. Und das sieht das Gericht ganz ähnlich. Die Regierung muss also mehr für Moore und Co. tun.

Das findet auch der Bundesrat. Er rief zwar in Bezug auf das Klimaschutzgesetz nicht den Vermittlungsausschuss an, wie das Umweltverbände verlangt hatten. Aber er fasste eine Entschließung: Darin fordert der Bundesrat einerseits eine Nachsteuerungspflicht für den Fall, dass Deutschland absehbar seine Klimaziele verfehlt. Andererseits betont er, dass die im Klimaschutzgesetz vorgesehene Stärkung und Wiederherstellung natürlicher Ökosysteme "nicht geeignet sein kann, Defizite anderer Sektoren im Klimaschutz zu kompensieren". Das größte Defizit hat derzeit der Verkehr.

Im Bundesverkehrsministerium gibt man sich dennoch gelassen. "Wir nehmen das Urteil zur Kenntnis", heißt es, man warte erst einmal die schriftliche Urteilsbegründung ab. Remo Klinger dagegen, Anwalt der Umwelthilfe, sieht in dem Urteil schon jetzt das Gegenstück zum Klimaurteil des Verfassungsgerichts von 2021, schließlich gehe es nun um die Instrumente. "Was nutzen uns schon die Ziele", sagt er, "wenn uns die Maßnahmen fehlen?"


hier WAZ  Geschichte von Theresa Martus  17.5.24

Beim Klimaschutz tut die Ampel das Schädlichste überhaupt

Eigentlich hatten die Ampel-Parteien wohl gehofft, dass sie jetzt erst einmal Ruhe haben würden mit dem leidigen Klimaschutz-Thema. Schließlich war man sich vor kurzem erst über neue Leitplanken für den Rest der Legislatur einig geworden. In bestimmten, für den Klimaschutz wichtigen Bereichen werden die gesetzlichen Höchstmengen für Emissionen Jahr für Jahr gerissen, im Verkehr praktisch mit der Abrissbirne. Das ist ärgerlich und öffentlich peinlich. Da ändert man doch besser das Gesetz.

Dieses überarbeitete Klimaschutzgesetz hat am Freitag den Bundesrat passiert. Aber das ist nicht die Nachricht zum Klimaschutz, die den Ausgang der Woche bestimmt. Stattdessen ist es die Ohrfeige, die das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg SPD, Grünen und FDP mitgegeben hat. Es hat der Regierung in aller Deutlichkeit erklärt, dass ihre Vorhaben für weniger CO₂-Ausstoß zu unkonkret sind und zu sehr getragen von der Hoffnung, dass es schon irgendwie reichen wird.

Diese Peinlichkeit wäre wohl auch mit dem neuen Gesetz nicht zu verhindern gewesen. In ihrem Eifer, passend zu machen, was einfach nicht passt, hat die Koalition übersehen, dass es Dinge gibt, die sich nicht per Regierungswillen biegen lassen: die Einschätzungen von unabhängigen Gerichten zum Beispiel. Oder die physikalischen Grundlagen, auf denen diese beruhen. Ob das Urteil an der Klimapolitik der Ampel etwas ändern wird, muss man aber mit einem großen Fragezeichen versehen.

Zweifelhaft, ob die Ampel noch die Energie für Neues hat

Nichts deutet derzeit darauf hin, dass diese Regierung den Ehrgeiz oder die Energie aufbringt, bis zur nächsten Wahl noch nennenswert Neues anzustoßen, um die Emissionen in Deutschland zu senken

Zu drückend sind dafür die externen und internen Probleme: die schwächelnde Wirtschaft, die prekäre außenpolitische Sicherheitslage, die gähnenden Löcher im Haushalt. Nicht zuletzt das Verhältnis der Koalitionspartner untereinander, das derart gezeichnet ist vom gegenseitigen Sticheln und Nervenaufreiben, dass es praktisch im Wochentakt Fragen nach dem Ablaufdatum des Bündnisses provoziert.

Nach einem für sie ähnlich unschmeichelhaften Urteil des Oberverwaltungsgerichts aus dem November zu den Sofortprogrammen für Verkehr und Gebäude war die Bundesregierung in Revision gegangen, das Verfahren läuft. Sollte sie sich dazu entschließen, das auch in diesem Fall zu tun, ist eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts erst in einigen Monaten zu erwarten. Es könnte Winter werden oder sogar Frühjahr, bis die Sache juristisch geklärt ist.

Mit jedem Tag, der verstreicht, wird die Aufgabe schwieriger

Das Ergebnis fiele in den beginnenden Bundestagswahlkampf, mit großen gemeinsamen Anstrengungen ausgerechnet beim schwierigen Thema Klimaschutz wäre dann kaum noch zu rechnen – auch wenn die Notwendigkeit dann höchstrichterlich bestätigt wäre. Kümmern müsste sich, wer auch immer nach der Wahl verantwortlich ist. Sollte sich die Ampel nicht dazu durchringen, doch noch einmal Anlauf zu nehmen für einen echten Kurswechsel vor allem im Verkehr, dann tut sie das vielleicht Schädlichste, was man in der Klimaschutzpolitik tun kann: Sie verschenkt Zeit.

Mit jedem Tag, der verstreicht, wird die Aufgabe schwieriger. Volker Wissing hatte Fahrverbote als Schreckgespenst an die Wand gemalt. Aber je länger es dauert, bis sich im Problem-Sektor Verkehr wirklich etwas in Richtung weniger Emissionen bewegt, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass die Einsparungen irgendwann wirklich nur noch erreicht werden können, in dem irgendwo etwas stillsteht.

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