Donnerstag, 16. Mai 2024

Aktivisten diskutieren in der Kunsthalle Kleinschönach über Protest

 Südkurier hier  16.5.24  Siegfried Volk

Mitglieder der Letzten Generation, Waldbesetzer und S21-Gegner und ihre Meinung zur Klimakrise und Verdrängungsgesellschaft

Bundesweit sorgen die Protestaktionen der „Letzten Generation“ für Aufsehen und Ärger. Vor 14 Jahren formierte sich der Widerstand gegen das Megaprojekt Stuttgart 21 und seit drei Jahren fordert die Waldbesetzung im Altdorfer Wald den Rechtsstaat. Was motiviert diese Aktivisten? Was wollen sie erreichen? Wie reagiert das persönliche Umfeld auf ihr Engagement? 

Antworten auf solche Fragen liefern der 21-jährige Samuel Bosch, der seit drei Jahren im Baumhaus im Altdorfer Wald lebt sowie Christoph Houtmann, der seit Beginn gegen Stuttgart 21 kämpft und Ulrike Stalitza, die seit zwei Jahren bei der „Letzten Generation“ aktiv ist. Auf der Bühne in der Kunsthalle Kleinschönach erleben die Besucher ein Trio, das offen, ehrlich, skeptisch und hoffnungsvoll über sein Aktivistenleben erzählt.

Trio treibt Sorge um die Zukunft um

Wer klischeehafte Vorstellungen über Mitglieder von Protestbewegungen hat, wird herb enttäuscht. Keine moralische Überlegenheitsattitüde oder vorwurfsvollen Anwürfe an die mehrheitlich nicht aktive Bevölkerung, sondern getrieben von der Sorge um die Zukunft der Erde, Gesellschaft und Familie, treibt diese drei Personen an. Dass sie als bürgerliche Frau diesen Weg beschreite, sei der „Enkelfrage“ geschuldet, erklärt Ulrike Stalitza. Wie wolle man den nachfolgenden Generationen angesichts der Erderhitzung eine lebenswerte Zukunft bieten? Sie habe lange der Politik vertraut, dass diese Maßnahmen auf den Weg bringt, um den Klimawandel einzudämmen, bekennt die in Heidelberg wohnhafte Psychotherapeutin, dass sie vor zwei Jahren, wie vom Donnerschlag gerührt, erkannte: „Die haben es nicht im Griff.“

Widerstand gegen Stuttgart 21

Für seinen seit 14 Jahren andauernden Widerstand gegen Stuttgart 21 gibt es von Christoph Houtmann eine eindeutige Begründung: „Ich lasse mir meinen Bahnhof nicht kaputt machen.“ Für den autolosen Stuttgarter ist klar, dass S21 ein Immobilienprojekt ist, denn durch die Tieferlegung des Bahnhofs würden 100 Hektar bebaubare Fläche frei. Mancher Besucher staunt, als er berichtet, dass es später statt bislang 16 nur noch acht Gleise und weniger Zugverkehr geben wird.

Millionen Menschen sind vom Klimawandel betroffen

Schier den höchsten Bekanntheitsgrad in der Region hat der 21-jährige Samuel Bosch, der seit drei Jahren mit Gleichgesinnten den Altdorfer Wald besetzt hält, um dessen Abholzung und die geplante Kiesförderung zu verhindern. Die Klimakrise verursacht beziehungsweise verstärkt nach Überzeugung von Bosch auch die globale Ungerechtigkeit. Nur durch die Ausbeutung der Ressourcen ärmerer Länder sei der „reiche“ Norden zu seinem Wohlstand gekommen und nun seien die armen Länder von den Folgen der damit verursachten Klimakrise am stärksten betroffen: „Dort sterben jetzt schon Menschen.“ Auch Ulrike Stalitza ist überzeugt: „Viele Millionen Menschen sind vom Klimawandel bedroht. Viele werden flüchten, auch zu uns und das wird die Rechten stärken“, sieht sie in Deutschland zudem die Demokratie in Gefahr.

Zunehmende Aversion gegen Klimaschutzmaßnahmen?

Widerspruch erntet Stalitza, als sie von einer Verdrängungsgesellschaft in Deutschland spricht, die sich den Herausforderungen des Klimawandels nicht ernsthaft stelle. Das Gegenteil sei der Fall, spricht eine Besucherin sogar von einer Übersensibilisierung bei diesem Thema, die sie besonders bei der Jugend beobachte. Es fehle eine stabile Gesellschaft, die der jungen Generation angesichts weltweiter multipolarer Krisen den nötigen Halt, Mut und Zukunftsoptimismus vermittle. „Die Leute waren schon weiter“, konstatiert die Zuhörerin eine zunehmende Aversion bei Klimaschutzmaßnahmen.

Ein Lösungsansatz: Weniger Bauen

Ein Beispiel für solches Frustpotenzial liefert sicher ungewollt Samuel Bosch, als er erklärt, wie in Deutschland das 1,5-Grad-Ziel erreicht werden könnte: „Weniger bauen.“ Wenn jede Person vier Quadratmeter weniger Wohnfläche in Anspruch nehmen würde, bräuchte man im Land nicht mehr zu bauen, sondern nur noch sanieren. Derzeit beträgt in Deutschland der verfügbare Wohnraum je Bewohner 45 Quadratmeter, während es in den 70er Jahren noch 37 Quadratmeter waren. Ulrike Stalitza fängt die aufkommende Skepsis beim Publikum ein und macht deutlich, dass solche Denkmodelle wichtig sind und Impulse auslösen sollen. Dass solche Ideen oder Aktionen von Aktivisten oftmals nicht auf uneingeschränktes Wohlwollen stoßen, weiß sie und benennt einen Grundsatz ihres Protestes: „Nicht gemocht, heißt nicht, nicht wirken.“ Unter dem Stichwort „Lasst uns ehrlich sein“ erzählen die drei Podiumsgäste, wie sie ihr Aktivistendasein erleben. „Es ist anstrengend, aber auszuhalten“, berichtet Ulrike Stalitza, dass sie anfangs schnelle Lösungen erwartete, dann merkte, „dass das ein Marathon ist.“ Auch er habe mit einer gewissen Naivität seinen Protest begonnen, bekennt Samuel Bosch und Christoph Houtmann hat extrem Engagierte erlebt, die irgendwann „ausgebrannt“ und dann plötzlich verschwunden waren.

Reaktion des Rechtstaates

Einig ist sich das Trio in seiner Einschätzung, dass der Rechtsstaat teilweise äußerst rigide gegen Aktivisten vorgeht. „Das macht mir mehr aus, als ich gedacht habe“, bekennt Stalitza. Samuel Bosch nimmt seinen bislang einzigen Gefängnisaufenthalt recht gelassen, denn diese zwei Wochen seien nichts im Vergleich zu den drohenden Folgen der Klimakreise. Er will ebenso wie seine beiden Mitstreiter weiter aktiv Widerstand leisten und nutzt die Gelegenheit, um die Besucher zu einem Workshop in den Altdorfer Wald einzuladen. Auf die Frage, von was er und seine Mitstreiter dort ihren Lebensunterhalt bestreiten, erklärt der 21-Jährige, dass man die Ressourcen nutze, die die Gesellschaft wegwerfe und präzisiert im SÜDKURIER-Gespräch, dass die Aktivisten containern.

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