Doch heute bin ich auf einen Artikel gestoßen, der den fehlenden Leistungswillen in Deutschland beklagt - natürlich mit Fingerzeig auf die jungen Generationen. Manchmal finde ich diese haltlosen Diskussionen geradezu unerträglich, weil viel zu viel ausgeblendet wird, was das liebgewonnene Zerr-Bild stören könnte.
Von wegen links und woke. Ende April erschütterte eine Reihe von Schlagzeilen das Bild vieler Deutscher von jungen Menschen:
AfD: Beliebteste Partei unter jungen Leuten
Junge Generation rückt nach rechts
22 Prozent der jungen Menschen würden AfD wählen
Auch ich war fassungslos, als ich das Ergebnis der Trendstudie Jugend in Deutschland 2024 sah. Schließlich gehöre ich mit meinen 27 Jahren zu dieser Generation. Und 22% meiner Demographie-Gruppe (der 14–29-Jährigen) wollen laut Trendstudie bei einer aktuellen Wahl ihre Stimme der AfD geben …
Viele Medien stürzten sich auf diese alarmierende Nachricht und verbreiteten sie im Handumdrehen. Die Zahl 22% brannte sich ein – mit ihr die Angst vor dem weiteren Aufstieg einer Partei, die nach dem jüngsten Gerichtsurteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster Bestrebungen »gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen« sowie gegen die Demokratie verfolgt und vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wird.
Warum sollte das so attraktiv für viele junge Menschen sein?
Ich habe mir die Ergebnisse genauer angeschaut und war erneut schockiert: Allerdings weniger von den Zuneigungen meiner eigenen Generation, sondern mehr von der unreflektierten Arbeit meiner journalistischen Kolleg:innen.
Fallen junge Menschen doch nicht auf die AfD rein?
Vergangene Woche veröffentlichte das Meinungsforschungsinstitut Forsa eine Umfrage, die einen ganz anderen Wert ergab. Ihr zufolge liegen die Grünen sowie die CDU mit jeweils 21% bei den Wähler:innen unter 30 vorne. Die AfD kommt dagegen »nur« auf 14%. Das sind ganze 8% weniger, als die Trendstudie gemeldet hat.
Obwohl Forsa nur 18–29-Jährige befragte, während die Trendstudie bereits Jugendliche ab 14 Jahren einbezog, ändert das nichts an den widersprüchlichen Ergebnissen. Im Gegenteil: Eine Auswertung ergab, dass sich der Abstand zwischen den beiden Umfragen bei Angleichung der Altersgruppe sogar erweitern würde.
Doch wie kommt es zu so schwerwiegend unterschiedlichen Ergebnissen?
Die Jugendstudie nutze für ihre Umfragen Internetportale, sogenannte »Online-Access-Panels«. Um an einer solchen Befragung teilzunehmen, müssen sich Menschen auf der Website registrieren und erhalten für ihre Antworten meist eine Aufwandsentschädigung. Statistikexpert:innen kritisieren, dass bei solchen Befragungen eine grundlegende Verzerrung in den Daten sehr wahrscheinlich ist. Insbesondere Menschen, die mitteilungsbedürftig seien, würden sich auf solchen Panels anmelden – und das seien vor allem AfD-Anhänger:innen. Sie sind es auch, die in ihrem Umkreis für die bezahlten Umfragen werben, wodurch eine homogene Gruppe an Teilnehmer:innen entsteht. Das repräsentiert nicht den Querschnitt der Gesellschaft.
In einer Pressekonferenz zur Trendstudie sagen die Autoren selbst, dass ihre Ergebnisse daher eine Fehlerquote von 5–10% aufweisen könnten. Das bedeutet: Die Wähler:innenstimmen für die AfD könnten in der befragten Gruppe zwischen 19 und 24% liegen – eine beachtliche Spanne, um in so vielen Artikeln vehement die »22 Prozent« zu pointieren.
Eine noch größere Abweichung ergibt sich durch eine genaue Betrachtung der Antworten zur Wahlpräferenz der jungen Menschen. Jede vierte Person gab nämlich an, gar nicht zu wissen, welche Partei sie aktuell wählen würde. Weitere 10% gaben an, nicht wählen zu gehen. Das sind insgesamt 1/3 aller Befragten – doch die tauchen in den verheerenden 22% nicht auf. So suggerieren die Schlagzeilen, dass alle Jugendlichen mitgemeint sind.
Die Zahlen der »22% der deutschen Jugendlichen« beziehen sich aber nur auf diejenigen Befragten, die wissen, wen sie wählen wollen, und auch wählen gehen. Das macht einen erheblichen Unterschied! Würde man die unsicheren Befragten miteinbeziehen, ergäben sich »nur« noch 14% Stimmen für die AfD – also genau das Ergebnis, zu dem auch die Forsa-Umfrage kommt.
Selbst die Autoren der Studie warnen davor, ihre Ergebnisse auf bestimmte Weise zu interpretieren: »Wir machen keine Wahlprognose. Man darf nicht im Detail auf die Prozente schauen. Das kann eine solche Studie nicht leisten«, sagt Klaus Hurrelmann, einer der 3 Autoren, während der Pressekonferenz.
Doch taten viele Medien genau das. Warum sind den Journalist:innen diese Ungereimtheiten nicht aufgefallen? Man darf vermuten, dass das Framing der Artikel einfach gut zu einem anderen Reizthema passte, das zur selben Zeit viel Aufmerksamkeit erhielt: Das Revisionsverfahren des OVG Münster zur Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz. Hier war die Versuchung wohl groß, ein Detail einer Studie zu benutzen – und Klicks zu generieren.
Dabei hätte es ein wichtiges Framing gegeben, das dadurch unter den Tisch fiel: Die vielen Jugendlichen, die nicht wissen, welche Partei sie überhaupt wählen würden. Denn genau darum geht es doch eigentlich in der Studie: die Verunsicherung junger Menschen.
Die eigentliche Erkenntnis der Studie: Junge Menschen fühlen sich nicht gehört
»Junge Menschen fühlen sich durch die politische und wirtschaftliche Lage verunsichert«, sagen die Autoren der Jugendstudie in der Pressekonferenz. Menschen unter 30 Jahren leiden seit der Coronapandemie unter einer hohen mentalen Belastung. Während der Krise haben sie sich nicht gehört gefühlt und dieses Empfinden hält bis heute an. In der Befragung gab mehr als die Hälfte von ihnen an, unter Stress zu leiden. Viele seien erschöpft und antriebslos. Das deckt sich mit anderen Studien zur mentalen Gesundheit der Jugendlichen.
Laut Trendstudie Jugend in Deutschland 2024 liegt das vor allem an der fehlenden Perspektive: hohe Wohnungskosten, Inflation und ein fragiles Rentensystem geben jungen Menschen wenig Hoffnung auf eine sorgenfreie Zukunft. Hinzu kommen der voranschreitende Klimawandel und angsteinflößende Kriege.
Das Fazit der Autoren der Jugendstudie am Ende der Pressekonferenz:
Junge Menschen wünschen, dass sie viel stärker beteiligt werden, dass sie gehört werden, dass ihre Stimme zählt und auf diese Weise das Gefühl entsteht, dass sie an der Gesellschaft mitgestalten können. Sie brauchen positive Zukunftsvisionen. Aber im Moment fehlt ihnen der Mut dazu und entsprechend sind zukunftspessimistische Töne langsam dabei, die Oberhand zu gewinnen. Noch herrscht jedoch ein Grundoptimismus vor und wir können nur hoffen, dass wir den bewahren.
Klaus Hurrelmann
Auch ich spüre das. Oft wird mir gesagt: »Du wirst noch mit 80 arbeiten, dann brauchst du auch kein Rentengeld mehr.« Als sei die Sache schon entschieden und unumgänglich. Ähnlich bei der Klimakrise. Natürlich deprimiert die aktuelle Weltlage. Viele haben bereits jetzt finanzielle Nöte oder Angst vor Altersarmut. Aber ebenso viele sind bereit anzupacken, wollen Veränderung und fordern sie schon seit vielen Jahren. Fridays for Future ist da nur ein Beispiel. Warum wird nicht darüber berichtet, wie junge Menschen wieder positiver gestimmt werden können, wie ihnen ihre Sorgen genommen werden können, wie wir »den Grundoptimismus bewahren«?
Es ist wieder genau das eingetreten, was in der Studie kritisiert wurde: junge Menschen werden nicht gehört. Es wird über sie gesprochen und geurteilt, statt mit ihnen zu sprechen.
Nehmt uns endlich ernst!
Bei der Pressekonferenz der Trendstudie waren auch junge Menschen anwesend, die ihre Sicht auf die Ergebnisse der Studie schilderten. Louisa Charlotte Basner, Generalsekretärin der Bundesschülerkonferenz, bringt es auf den Punkt: Das Schulsystem muss an die Bedürfnisse der Jugendlichen angepasst werden. Schulen sollten Medienkompetenzen fördern, um rechte Inhalte auf sozialen Medien erkennbar zu machen, Finanzbildung etablieren und über mentale Gesundheit aufklären.
Was bringt uns der Satz des Pythagoras, wenn wir außerhalb der Schulmauern nicht aufs »Erwachsenenleben« vorbereitet werden? Ich kenne viele Menschen unter 30, denen es schlecht geht, die nach Hilfe suchen und vergeblich auf einen Therapieplatz warten. Mir ging es genauso: Ein halbes Jahr wurde ich mit Wartelistenplätzen vertröstet, bis mir endlich geholfen wurde. Das kann nicht sein! Es muss ausreichend Hilfsangebote und Gehör für die Sorgen und Ängste junger Menschen geben.
Wie kann von meiner Generation erwartet werden, dass es uns gut geht und wir die Wirtschaft weiter ankurbeln, während sich unser Planet immer weiter erhitzt, wir uns keine Wohnung leisten können und uns ständig gesagt wird, dass wir faul und verweichlicht sind?
Nehmt uns endlich ernst und hört zu, was wir euch versuchen zu sagen! Wir wollen doch etwas verändern, wir sind bereit anzupacken. Nur kann die ganze Last der »letzten Generation, die noch etwas beeinflussen kann« nicht allein auf unseren Schultern liegen.
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