Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Interessierte,
aus Brüssel war ich es ja gewohnt, dass wichtige politische Vorgänge kaum öffentliche Aufmerksamkeit erhalten. Dass dies auch in Berlin passieren kann, erlebte ich in der Woche vor Weihnachten bei der jahrelang vorbereiteten und nun beschlossenen Reform der "Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Regionalen Wirtschaftsstruktur" (GRW). Die GRW ist das mit Abstand größte Förderprogramm des Bundes und der Länder zur Stärkung strukturschwacher Regionen. Seit über 50 Jahren fördern hier Bund und Länder 150.000 Projekte (!) mit insgesamt 78 Mrd. Euro. 380 Mrd. Euro an öffentlichen und privaten Investitionen wurden so angestoßen! Nun ist uns die größte Reform und Modernisierung dieses Programms seit der Auflegung im Jahre 1969 gelungen. Das wird spürbare Auswirkungen auf die Bewohner*innen und Unternehmen in den Regionen haben. Trotzdem hat kaum ein Medium darüber berichtet. Deshalb schicke ich nun nach Weihnachten eine Rundmail, um "zumindest" Euch darüber zu informieren.
Die regionale Ungleichheit wächst mit der Globalisierung der
Wirtschaft.
Obwohl unser
Grundgesetz die "Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse" zum
Leitbild erklärt, nehmen überall in den westlichen Industrieländern die
Unterschiede zwischen den Zentren, die von der Globalisierung der Wirtschaft besonders
profitieren, und peripheren Regionen zu. Die von den Bürger*innen wahrgenommene
wachsende Kluft ist auch eine der Ursachen für wachsenden Rechtspopulismus in
vielen Staaten. So konzentrieren sich die Wähler*innen der extremen Rechten
eigentlich nie in den erfolgreichen Metropolen, sondern tendenziell in eher
abgelegenen ländlichen Regionen und in ehemals blühenden, doch nun absteigenden
Industrieregionen. Dabei haben sich in Deutschland in diesen Regionen die
Herausforderungen verändert. Nicht mehr Massenarbeitslosigkeit steht im
Mittelpunkt, sondern Fachkräftemangel, schlechte öffentliche Infrastruktur und
Armut.
In Deutschland liegt
die Regionalentwicklung und auch die Wirtschaftsförderung im Wesentlichen im
Verantwortungsbereich der Bundesländer. Doch der Bund beteiligt sich
insbesondere über die besagte GRW an der Stärkung sogenannter strukturschwacher
Regionen und ihrer Wirtschaftsentwicklung. Alleine 2023 stehen dafür 647
Millionen Euro zur Verfügung. Damit zählt die GRW zu den größten Förderprogrammen
überhaupt.
Und dieses Programm haben wir nun grundlegend reformiert und zwar
in einem gemeinsamen Beschluss mit den Bundesländern.
Da die Bundesländer
jeweils 50% kofinanzieren, entscheiden sie auch mit. Dabei gilt das
Grundprinzip, dass die Festsetzung der Regeln Bund und Länder gemeinsam
entscheiden, die Bundesländer aber die Fördergelder verwaltungsmäßig abwickeln
und auch die geförderten Projekte auswählen. Und diese Regeln zur Verwendung
der GRW-Gelder haben wir nun gründlich modernisiert.
Dabei gilt weiter, dass die Projekte die regionale
Wirtschaftskraft in strukturschwachen Gebieten stärken sollen. Es können sowohl
Infrastruktur gefördert werden als auch Unternehmen.
Die wichtigsten
Änderungen sind:
- Erweiterte Zielsystematik, die nicht mehr allein auf
die Schaffung von Arbeitsplätzen abzielt. Künftig gibt es folgende Hauptziele: Standortnachteile
ausgleichen; Beschäftigung schaffen und sichern, Wachstum und Wohlstand
erhöhen; Transformationsprozesse hin zu einer klimaneutralen und nachhaltigen
Wirtschaft beschleunigen. Neben der Schaffung und Sicherung von
Arbeitsplätzen werden so auch Klimaschutz und Nachhaltigkeit Ziele der
GRW.
- Geänderte Interventionslogik, die statt auf die
bisherige starre Exportorientierung auf die Stärkung der Produktivität
und Wertschöpfungsketten in den Regionen sowie der Grundlagen für eine
eigenständige Regionalentwicklung abstellt. Vor allem fällt als Fördervoraussetzung das Kriterium
eines überregionalen Absatzes weg (sog. „50-km-Regel“). Künftig können
auch Unternehmungen gefördert werden, die regionale Wirtschaftskreisläufe
stärken!
- Erleichterte Fördervoraussetzungen für
klimafreundliche Investitionen sowie für forschungsintensive Unternehmen.
Forschungsintensive Betriebe
werden stärker in den Blick genommen, weil innovative Unternehmen auf
längere Sicht mehr regionale Wertschöpfung versprechen. Zudem werden die
Möglichkeiten zur Förderung von Umweltschutzinvestitionen erweitert, mit
denen Unternehmen über nationale oder EU-Normen hinausgehen.
- Erstmalig werden Aspekte „Guter Arbeit“ in der GRW
verankert. Für bestimmte Vorhaben wird
Tarifbindung bzw. ein bestimmtes Lohnwachstum zur Voraussetzung gemacht.
- Im Bereich der Infrastrukturförderung stärken wir den
Grundsatz „Planung vor Investition“. Integrierte Planung soll zu
einer konsistenteren Gesamtentwicklung der Region beitragen. Zudem wird
künftig z. B. die Weiternutzung bzw. Umgestaltung bereits genutzter
Industrie- und Gewerbegelände stärker gefördert als die Erschließung
neuer Flächen. Gleiches wird für die Eigenerzeugung erneuerbarer Energien
und andere Aktivitäten im Sinne einer nachhaltigen Wirtschaft gelten.
- Ein neuer Fördertatbestand „regionale Daseinsvorsorge“
für Vorhaben mit einem engen Wirtschaftsbezug wird eingeführt.
- Zusätzlich zu diesen Neuerungen gibt es viele weitere
Änderungen - etwa zur Verbesserung der
Haushaltsdurchführung, Stärkung der Evidenzbasierung & Evaluation und
Digitalisierung/Vereinfachung von Antragsverfahren.
Mit diesen Reformen
wird deutlich mehr Geld in nachhaltige Zukunftswirtschaft in strukturschwachen
Regionen fließen. Zudem bekommen Kommunen und Länder mehr Freiheit, ihre
Förderschwerpunkte zu wählen. Sie wissen am besten, was ihre Wirtschaft in den
Regionen braucht. So wird auch die Daseinsvorsorge förderfähig. Vor allem jedoch
wird die einseitige Fixierung der Förderung auf die Exportwirtschaft
aufgehoben. Künftig müssen Unternehmen nicht mehr nachweisen, dass sie für
Märkte außerhalb der Region produzieren, um förderfähig zu werden. Für
Feinschmecker: Schon im Studium fand ich die dahinterliegende
"Export-Basis-Theorie" in der Regionalökonomie esoterisch. Dass diese
fragwürdige theoretische Grundlage für Regionalpolitik nun in die Mottenkiste
für ungeeignete Wirtschaftstheorien kommt, freut mich persönlich außerordentlich.
Federführend in der
Bundesregierung für die GRW ist unser Bundesministerium für Wirtschaft und
Klimaschutz und dort die Abteilung 1. In dieser Abteilung habe ich jüngst eine
eigene Unterabteilung eingerichtet, die nun neben der nationalen
Strukturpolitik auch die europäische Regionalpolitik unter einem Dach
koordiniert. In dieser Unterabteilung leitet die Reformarbeiten an der GRW der
von mir hochgeschätzte Dr. Bastian Alm mit seinem Team das zuständige Referat
"Regionale Wirtschaftspolitik". Bei der Erarbeitung der Reform hat
eine öffentliche und ergebnisoffene Konsultation sehr geholfen, an der sich
viele beteiligt haben und die ich bei allen Gesetzgebungsprojekten in meinem
Verantwortungsbereich im BMWK zur Regel gemacht habe - ganz nach Brüsseler
Vorbild.
Nach diesem Erfolg
geht es weiter mit der Weiterentwicklung des „Gesamtdeutschen Fördersystems für
strukturschwache Regionen“ (GFS), das aus 22 Förderprogrammen des Bundes
besteht. In dieser Legislaturperiode wollen wir v.a. die Transparenz über die
Mittelverwendung und -wirkung sowie die Effizienz des GFS stärken. Zudem wird
die Bundesregierung in erstmals einen Gleichwertigkeitsbericht vorlegen, bei
dem wir eng mit dem Innenministerium zusammenarbeiten. Dabei ist mir wichtig,
dass wir gerade ländliche Regionen nicht nur als “schwache” sondern als
lebenswerte Regionen beschreiben, in deren Lebenssqualität und wirtschaftliche
Stärken sich zu investieren lohnt.
Diese Stärkung der
regionalen Strukturpolitik ist auch Voraussetzung für gelingende
Transformation. Denn die sozial-ökologische Transformation wird nur gelingen,
wenn alle Regionen darin erfolgreich sein können. Auch das ist
Sozial-Ökologische Marktwirtschaft.
Mit erfreuten Grüßen
Sven Giegold
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