SPIEGEL Klimabericht hier Freitag, 23. Dezember 2022 von Julia Köppe
Sie sehnen sich nach guten Nachrichten? Wir hätten da was. Die Weltnaturkonferenz avancierte zum Krimi mit glücklichem Ausgang. In den Hauptrollen: eine Drama-Queen, ein Pokerface und ein strenger Boss.
Mussten sie schon mal mehr als neun Stunden warten, ehe Sie erfuhren, ob sich ihre beruflichen Anstrengungen auszahlen werden oder alles für die Katz war – bis mitten in der Nacht, ohne nach Hause gehen zu dürfen?
Genau das ist Delegierten aus rund 200 Ländern im großen Plenarsaal des Kongresszentrums bei der Weltnaturkonferenz im kanadischen Montreal passiert. Zusammen mit Vertreterinnen und Vertretern von Umweltorganisationen und Presse – darunter meine Kollegin Susanne Götze – bangten sie stundenlang, ob es eine Einigung geben würde. Die Nerven lagen blank. Waren die teils nächtelangen Verhandlungen umsonst? Oder würde es eine Sensation geben?
Happy End nachts um drei Uhr
Es kam zur Sensation. Um drei Uhr morgens am 19. Dezember setzten sich alle Delegierten zusammen, und plötzlich ging alles viel schneller als gedacht. Die Welt einigte sich auf ein zentrales Versprechen: 30 Prozent der Landfläche und 30 Prozent der Meere sollen bis 2030 unter Schutz gestellt werden. Das ist ein Riesenerfolg, an den viele schon nicht mehr geglaubt hatten. Das Versprechen ist ähnlich bahnbrechend wie das Pariser Klimaschutzabkommen.
Erde erlebt Massensterben
Die Verhandlungen glichen dabei teils einem mitreißenden Umwelt-Thriller. Dabei war die Uno-Artenschutzkonferenz kein aufwendig produzierter Blockbuster. Sie ist eher die kleine Schwester der Weltklimakonferenz, mit weniger Budget, weniger Teilnehmenden, weniger Tamtam. Aber eine, die kaum relevanter sein könnte. Denn die Kulisse, vor der das Umwelt-Treffen spielte, ist bedrohlich.
Der Erde steht das sechste Massenaussterben ihrer Geschichte bevor. Eine Million Arten sind vom Aussterben bedroht, warnt der Weltbiodiversitätsrat IPBES. Der Artenschwund verlaufe derzeit mindestens »zehn- bis hundertmal schneller als im Durchschnitt der letzten zehn Millionen Jahre«. Drei Viertel der weltweiten Landfläche seien »signifikant verändert«. Das Abkommen soll die Notbremse ziehen.
Der Weg dahin war holprig, gestritten wurde vor allem um Geld. Die EU forderte hohe Standards beim Naturschutz. Schön und gut, fanden ärmere Länder, doch wie sollten sie das bezahlen? Delegationen aus Südamerika und Afrika forderten finanzielle Hilfen in Höhe von 100 Milliarden Dollar pro Jahr. Utopisch, entgegneten Vertreter der EU.
Länder wie Brasilien stellten sich daraufhin quer, Verhandlungsführer Leonardo Cleaver de Athayde gab die Drama-Queen, verließ die Gespräche mehrmals und brachte andere Länder gegen den Westen auf – behaupten zumindest Vertreter aus Deutschland und der Schweiz.
Ève Bazaiba Masudi, Umweltministerin der Demokratischen Republik Kongo (M.), Leonardo Cleaver de Athayde, brasilianischer Außenminister (l.) und Daniel Tumpal Sumurung Simanjuntak, Vertreter Indonesiens (r.) beim Weltnaturgipfel in Montreal
Paul Chiasson / AP
China spricht ein Machtwort
Als sich die Wogen endlich glätteten – nicht zuletzt Dank der geschickten Verhandlungen von SPD-Staatssekretär Jochen Flasbarth im Entwicklungsministerium, der nicht selten fälschlicherweise für den Umweltminister gehalten wurde, trat der nächste Unruhestifter auf den Plan.
Kurz vor Schluss forderte die Demokratische Republik Kongo mehr Geld, sehr viel mehr Geld – eine bis zu dreimal höhere Summe Hilfszahlungen, als die, auf die sich die Verhandelnden nach zähem Ringen schon geeinigt hatten. Das Land pokerte hoch, vermutlich ein Bluff, um westlichen Ländern noch in letzter Minute mehr Geld abzuringen.
Huang Runqiu, chinesischer Umweltminister: China hatte die Präsidentschaft des Gipfels inne, der ursprünglich in China stattfinden sollte. Er musste jedoch wegen Corona verschoben werden und wurde nun in Kanada zum Teil nachgeholt.
Paul Chiasson / dpa
Doch der Präsident des Gipfels, der chinesische Umweltminister Huang Runqiu, mimte den Boss und machte dem Kongo einen Strich durch die Rechnung. Als morgens um drei die Delegierten endlich zusammenkamen, hob er den Hammer, »rasselte die Dokumentennummern runter, rief eilig ins Plenum, dass er keinen Widerspruch sehe – und erklärte das Abkommen für angenommen«. So beschreibt es meine Kollegin Susanne. Jubel brach aus, das ersehnte Happy End war Wirklichkeit geworden. Die Demokratische Republik Kongo blieb düpiert.
Weitere zentrale Einigungen des Abkommens:
Unterstützung für arme Staaten: Schwellen- und Entwicklungsländer hatten 100 Milliarden Dollar pro Jahr von den Industrieländern gefordert. Am Ende einigte man sich auf mindestens 20 Milliarden Dollar pro Jahr bis 2025 und bis 2030 auf mindestens 30 Milliarden. An der Summe gibt es Kritik. Die zugesagten 20 bis 30 Milliarden Dollar seien ein Witz, sagte etwa Georg Schwede von Campaign for Nature. Katar habe für die Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft 200 Milliarden ausgegeben.
Schädliche Subventionen: Das Übereinkommen sieht vor, dass staatliche Förderungen, die Artenvielfalt gefährden, »heruntergefahren« oder »reformiert« werden müssen. Insgesamt nennt das Übereinkommen 500 Milliarden Dollar weltweit, die abgebaut werden sollen.
Wiederherstellung zerstörter Ökosysteme: Bis 2030 sollen 30 Prozent der zerstörten Ökosysteme wiederhergestellt werden.
Weniger Verschmutzung und der Einsatz von Pestiziden: Das Risiko von Pestiziden und durch Nährstoffverluste soll bis 2030 um die Hälfte reduziert werden.
Verantwortung von Unternehmen: Diese können von Staaten dazu angehalten oder verpflichtet werden, ihre Lieferketten offenzulegen.
Ende gut, alles gut? Der Umwelt-Thriller bekommt eine Fortsetzung. In zwei Jahren trifft sich die Weltgemeinschaft zum nächsten Umweltgipfel, dann in der Türkei.
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